


Ein eigenartiges Naturschauspiel ließ sich dieser Tage in Frankfurt beobachten: Falken verwandeln sich reihenweise in Tauben. Nicht etwa in den Parkanlagen des Palmengartens, sondern in der gläsernen Zentrale der Europäischen Zentralbank. Was im ersten Moment an Kafkas Metamorphose erinnert, ist in Wahrheit ein rein monetäres Phänomen, das für uns alle noch weitreichende Folgen haben dürfte.
Von den 26 Mitgliedern des EZB-Rates, zu denen auch unser Bundesbankpräsident Joachim Nagel zählt, sollen laut einem „Hawkometer“ der Commerzbank nur noch vier „Falken“ übriggeblieben sein. Der Rest hat sich in „Tauben“ verwandelt oder bestenfalls in „neutrale Pragmatiker“, wie es im Bankerjargon so schön heißt.
Nun könnte man einwenden, dass solche ornithologischen Klassifizierungen ohnehin wenig mit der Geldpolitik zu tun haben. Doch was sich hinter diesem Bildnis verbirgt, ist durchaus besorgniserregend: Die einstigen Verfechter einer harten Zinspolitik geben reihenweise auf.
Die Zinsen werden weiter sinken, das ist unausweichlich
Es ist mehr als wahrscheinlich, dass die Leitzinsen im Euroraum an diesem Donnerstag erneut gesenkt werden, bereits zum siebten Mal seit dem vergangenen Sommer. Und während Beobachter bis vor Kurzem noch von einer Pause ausgingen, erscheint nun ein Zinssatz von 2,25 Prozent für Bankeinlagen geradezu unausweichlich. Einige Analysten erwägen sogar einen größeren Zinsschritt nach unten.
Dies alles, obwohl die Inflationsrate im März mit 2,2 Prozent immer noch über dem Zielwert von 2,0 Prozent lag. Mancher Beobachter wird an dieser Stelle einwenden, dass dies doch immerhin nahe am Ziel sei. Doch hier übersieht man die entscheidende Frage: Warum geben die Währungshüter jetzt Gas?
Die Antwort findet sich nicht in den Wirtschaftsdaten des Euroraums, sondern weit entfernt in Washington. Der neue alte Präsident Donald Trump hat die Welt mit seinem „Tag der Befreiung“ – so sein euphemistischer Ausdruck für einen umfassenden Zollschock – in Aufruhr versetzt. Und nebenbei auch die Notenbanker in Frankfurt, die jetzt vor einem Dilemma stehen.
Dieses Dilemma besteht aus zwei Komponenten:
- Erstens hat der US-Dollar an Vertrauen verloren, während der Euro aufwertet – nicht etwa, weil unsere Wirtschaft so gut läuft, sondern weil Investoren aus dem US-Dollar flüchten.
- Zweitens drohen billige Waren aus Asien, die in den USA nicht mehr verkauft werden können, Europa zu überschwemmen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die US-Notenbank unter Jerome Powell nun vor einem Gleichungssystem mit zwei Unbekannten steht: Einerseits sieht sie die Wirtschaft auf eine Rezession zusteuern, andererseits rechnet sie mit steigender Inflation durch Trumps Zollpolitik. Powell hat bereits signalisiert, dass er in diesem Konflikt die Inflationsbekämpfung priorisiert. Die EZB neigt dagegen dazu, eher die Wirtschaft zu stützen – ein gefährliches Auseinanderdriften der Strategien.
Während die EZB wahrscheinlich die Zinsen senkt, könnte die Fed sie bald wieder anheben, um die drohende Inflation zu bekämpfen. Normalerweise würde dies zu einem schwächeren Euro führen. Doch paradoxerweise treibt der Vertrauensverlust in den US-Dollar den Euro bereits nach oben – um beachtliche zehn Prozent seit Jahresbeginn. Diese Dynamik verteuert europäische Exporte drastisch und belastet unsere Wirtschaft. Trumps Zollpolitik, die eigentlich Amerika schützen soll, zwingt letztlich die EZB in die Defensive, während die resultierenden Währungsverschiebungen der US-Wirtschaft ebenfalls schaden.
Im Zollkrieg gibt es keine Gewinner
In gewisser Weise wäre das gerecht. Warum sollte Europa allein die Last einer fehlgeleiteten US-Politik tragen? Doch in einer verflochtenen Weltwirtschaft gibt es selten Gewinner in solchen Konflikten. Die Kosten tragen am Ende vor allem die Sparer, deren Zinsen nun wohl weiter sinken werden, während die Aktienmärkte noch immer nicht wissen, ob sie lachen oder weinen sollen.
Die Verwandlung unserer Währungshüter von Falken zu Tauben mag im Moment alternativlos erscheinen. Doch sie verdeutlicht auch, wie fragil das globale Finanzsystem geworden ist und wie sehr es inzwischen von politischen Launen und nicht mehr von wirtschaftlichen Fundamentaldaten gesteuert wird. Die Notenbanker agieren nicht mehr autonom, sondern reagieren zunehmend auf Entwicklungen, die sie weder vorhersehen noch beeinflussen können.
In diesem Umfeld ist eine weitere Zinssenkung am Donnerstag gewiss. Ob sie die erhoffte Wirkung entfalten wird, steht jedoch in den Sternen – oder vielleicht eher in den Tweets aus dem Weißen Haus.
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