Bantleon-Volkswirt Jörg Angelé
Die EZB saugt alle neuen Schulden auf
Jörg Angelé ist Volkswirt bei Bantleon. Foto: Thomas Wieland
Die EZB könnte mit ihren Anleihekäufen wie schon 2020 die gesamte Neuverschuldung der Euroländer absorbieren. Zahlreiche Analysten halten einen weiteren Renditeanstieg langlaufender Euro-Staatsanleihen daher für so gut wie unmöglich. Bantleon-Volkswirt Jörg Angelé teilt diese Einschätzung jedoch nicht.
Die Notenbank hat also überproportional viele Staatsanleihen mit sehr kurzer Restlaufzeit gekauft. Wir schätzen, dass mehr als 40 Prozent der Anleihen eine Restlaufzeit von weniger als zwei Jahren hatten, obwohl diese Bonds nur 20 Prozent der ausstehenden deutschen Staatsanleihen ausmachen. Ein starkes Übergewicht bei Kurzläufern ergibt sich auch für die Niederlande und Belgien.
Genau umgekehrt verhält es sich dagegen im Fall Österreichs, Frankreichs und Spaniens. Hier liegt die WAM der von der EZB gekauften Staatsanleihen teils erheblich über dem Wert, der sich für das zur Verfügung stehende Anleihenuniversum ergibt. Es wurden mithin überproportional viele Wertpapiere mit langer...
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Die Notenbank hat also überproportional viele Staatsanleihen mit sehr kurzer Restlaufzeit gekauft. Wir schätzen, dass mehr als 40 Prozent der Anleihen eine Restlaufzeit von weniger als zwei Jahren hatten, obwohl diese Bonds nur 20 Prozent der ausstehenden deutschen Staatsanleihen ausmachen. Ein starkes Übergewicht bei Kurzläufern ergibt sich auch für die Niederlande und Belgien.
Genau umgekehrt verhält es sich dagegen im Fall Österreichs, Frankreichs und Spaniens. Hier liegt die WAM der von der EZB gekauften Staatsanleihen teils erheblich über dem Wert, der sich für das zur Verfügung stehende Anleihenuniversum ergibt. Es wurden mithin überproportional viele Wertpapiere mit langer Restlaufzeit gekauft. Für Italien und Portugal ergibt sich schliesslich eine WAM, die nahezu derjenigen des verfügbaren Anleihenuniversums entspricht (vgl. Abbildung 4).
2021 dürfte das Volumen verfügbarer italienischer Langläufer sinken
In diesem Jahr sollte sich die EZB bei ihren Anleihenkäufen weiterhin am Kapitalschlüssel orientieren. Unterstellt man zudem, dass Quasi-Staatsanleihen weiterhin dem bisherigen Anteil entsprechend gekauft werden und die Abweichung der WAM vom jeweils verfügbaren Anleihenuniversum beibehalten wird, lässt sich prognostizieren, wie viele Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von mehr als zwei Jahren die EZB im laufenden Jahr erwerben wird.
Unseren Berechnungen zufolge werden diese Käufe im Fall Portugals, Deutschlands und Italiens das Angebot an Neuemissionen übertreffen, wobei die Differenz nur mit Blick auf Italien wirklich bedeutsam ist. Für Spanien, Belgien und Österreich erwarten wir ein in etwa ausgeglichenes Verhältnis von Käufen und Neuemissionen. Die französischen und niederländischen Neuemissionen lang laufender Staatsanleihen dürften rechnerisch dagegen nicht gänzlich von der EZB absorbiert werden (vgl. Abbildung 5).
Sollte die Neuverschuldung in den Euroländern stärker steigen als bisher unterstellt, würden die Anleihenkäufe der Notenbank das Neuemissionsvolumen in weiteren Ländern unterschreiten (vgl. Abbildung 5). Gleiches gilt, wenn die EZB den Anteil der Käufe von EU-Anleihen zulasten der Käufe von Staatsanleihen erhöht1.
Dies könnte insbesondere im 2. Halbjahr der Fall sein, wenn die EU beginnt, die ersten Mittel aus dem Wiederaufbaufonds Next Generation EU an die Mitgliedsländer zu verteilen. Die bis zu 70 Milliarden Euro an Zuschüssen und Krediten wird die EU über die Emission von Anleihen finanzieren.
Fazit
Die EZB könnte wie schon 2020 auch in diesem Jahr rechnerisch quasi die gesamte Neuverschuldung der Euroländer aufkaufen. Das Volumen der frei am Kapitalmarkt handelbaren Staatspapiere wird somit trotz der enormen Schuldenaufnahme in etwa stagnieren.
Der seit Anfang des Jahres zu verzeichnende Renditeaufwärtstrend, der einerseits auf Hoffnungen eines baldigen Pandemieendes und andererseits auf die spürbar gestiegenen Inflationserwartungen zurückzuführen ist, sollte sich ungeachtet dessen fortsetzen, wird jedoch im Ausmass gedämpft. Das gilt insbesondere für das 2. Quartal, in dem sich die EZB mit höheren Nettokäufen gegen den Aufwärtssog der steigenden US-Renditen stemmen will.
Da die Käufe im Rahmen des PSPP und des PEPP auch Quasi-Staatsanleihen umfassen und im Fall der meisten Euroländer nicht laufzeitenkongruent erfolgen, wird die EZB-Nachfrage das Angebot an Neuemissionen in den Euroländern teils über- und teils unterschreiten. Hiervon wird unserer Einschätzung nach in erster Linie das lange Ende italienischer Staatsanleihen profitieren. Relativ gesehen am ungünstigsten stellt sich die Situation für französische Langläufer dar, da die EZB weniger von diesen Papieren kaufen dürfte, als neu auf den Markt kommen.
Anders als von einigen Beobachtern erwartet, erwirbt die EZB in diesem Jahr mithin nicht erheblich mehr lang laufende Staatsanleihen, als die Euroländer neu emittieren. Das Argument, die Rendite am langen Ende könne aus diesem Grund gar nicht steigen, teilen wir daher nicht. Entsprechend halten wir an unserer Prognose eines moderaten Renditeanstiegs lang laufender Euro-Staatsanleihen fest, wobei sich der Anstieg im 2. Halbjahr etwas verstärken sollte. Dann dürften die Anleihenkäufe im Zuge der erwarteten kräftigen Konjunkturbelebung sowie weiter steigender Inflationszahlen spürbar zurückgefahren werden.
Die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen sehen wir Ende dieses Jahres bei +0,10 Prozent, Mitte 2022 bei +0,40 Prozent. Beim Spread von Peripheriestaatsanleihen – das gilt insbesondere für Italien – gegenüber deutschen Bundesanleihen sehen wir weiteres Einengungspotenzial. Der Renditeaufschlag 10-jähriger italienischer Staatspapiere dürfte im Lauf der nächsten Quartale von derzeit 100 Bp in Richtung 60 bis 70 Bp sinken.
1 Die Anleihenkaufprogramme ermöglichen statt des Kaufs von Staatsanleihen den Kauf von Bonds supranationaler Einrichtungen wie der EU, des ESM und der EIB.
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