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Diversity & Karriere „Wer behauptet, Chancengleichheit existiert, ist selbst extrem priviligiert“

Von in Insights & ErfolgsgeschichtenLesedauer: 10 Minuten
Fatima Hussain
Fatima Hussain: „Wer seine Privilegien nur für sich selbst nutzt, reproduziert den Status quo und ist Teil des Problems.“ | Foto: Alicia Minkwitz / Collage mit Canva
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DAS INVESTMENT: Frau Hussain, wie sind Sie zur Juristerei gekommen?

Fatima Hussain: Meine Berufswahl ist eng mit der meiner Eltern verbunden. Beide sind Akademiker – mein Vater promovierte in Deutschland in Agrarwissenschaften, meine Mutter studierte im Libanon Jura. Doch in Deutschland der 90er Jahre musste mein Vater trotz seiner Promotion als Taxifahrer arbeiten, meine Mutter konnte ihren Beruf gar nicht erst ausüben. Das war damals eine ganz andere Welt, wenn es um Diversity und Chancen ging.

Mir wurde sehr früh bewusst, dass ich zwar theoretisch ein Akademikerkind bin, aber ganz andere Startbedingungen hatte als viele andere. In der Schule haben wir im Politik- und Wirtschaftsunterricht die Grundrechte besprochen. Artikel 3 des Grundgesetzes sagt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und dass niemand wegen seiner Herkunft oder seines Geschlechts benachteiligt werden darf. Das hat mich fasziniert – dieses Ideal der Gleichheit auf der einen Seite und die völlig andere Realität auf der anderen. Insbesondere hat es mich inspiriert, mich intensiver mit dem Thema Chancengleichheit zu beschäftigen.

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Wie ging es nach dem Studium weiter?

Hussain: Ich habe zunächst in einer internationalen Großkanzlei gearbeitet, um mir den Master in England zu finanzieren. Dafür musste ich zusätzlich einen Studienkredit aufnehmen. Nach dem Master bin ich für das Referendariat nach Deutschland zurückgekehrt und habe wieder in der Großkanzlei gearbeitet. Nach dem zweiten Staatsexamen bin ich dann zu Audi gegangen, was für eine Juristin eher ungewöhnlich ist. Bei uns Jurist:innen ist der vorgezeichnete Weg eher die Großkanzlei – vorausgesetzt, man hat die Noten dafür.

Und wie war es dann bei Audi?

Hussain: Es war großartig! Ich finde Mobilität grundsätzlich total spannend. Was mich besonders begeistert hat, war die Projektarbeit. Ich sehe mich weniger als Juristin im stillen Kämmerlein, sondern als Teammitglied in Projekten. Man erlebt, wie aus einer Idee ein Produkt entsteht, das dann millionenfach auf der Welt unterwegs ist. Ich habe zum Beispiel das Marketing aus produkthaftungsrechtlicher Sicht beraten. Wenn dann die Werbung im Fernsehen lief, wusste ich: Da steckt auch meine Arbeit drin. Außerdem hatte ich ganz verschiedene Menschen um mich herum – Ingenieur:innen, Techniker:innen, ITler:innen. Diese Vielfalt hat mir sehr gefallen.

„Chancengleichheit existiert in Deutschland noch nicht“

Sie tragen ein Kopftuch – welche Erfahrungen haben Sie damit im Berufsleben gemacht?

Hussain: Im Referendariat wurde ich tatsächlich anders ausgebildet als meine Kolleg:innen – und zwar nur aufgrund meiner Religion. Ich musste ein Dokument unterschreiben, dass bestimmte Leistungen anders bewertet würden. Das hat mich anfangs sehr verletzt, ich habe mich ausgegrenzt gefühlt –  nicht von meiner Gruppe, sondern vom System und von der Struktur. Aber ich wusste: Ich bin eine gute Juristin. Die Punkte, die man mir wegen meines Kopftuchs abzieht, weil ich beispielsweise nicht vollumfänglich an der Station bei der Staatsanwaltschaft teilnehmen kann, werde ich durch schriftliche Leistungen ausgleichen. Und das habe ich geschafft.

Was bedeutet das für die viel beschworene Chancengleichheit?

Hussain: Chancengleichheit existiert in Deutschland noch nicht. Wer das behauptet, ist selbst extrem privilegiert. Ich und viele andere müssen oft doppelt oder dreifach so hart arbeiten, weil wir gegen viele strukturelle Barrieren ankämpfen müssen. Ein Beispiel: In Bayern hängen in jedem Gerichtssaal Kreuze, aber eine Richterin mit Kopftuch ist nicht erlaubt. Interessanterweise könnte ein muslimischer Mann Richter sein, aber eine muslimische Frau mit Kopftuch nicht. Das zeigt, wie spezifisch diese Ausgrenzung ist.

Kam bei Ihnen jemals der Gedanke auf, das Kopftuch abzunehmen?

Hussain: Niemals! Das wäre ja paradox: Ich werde als Juristin ausgebildet, um auf Basis der demokratischen Grundordnung zu arbeiten, in der Religionsfreiheit ein Grundrecht ist. Gleichzeitig wird mir genau deswegen die Ausbildung erschwert. Außerdem:

Meine geistigen Fähigkeiten haben nichts mit dem Kopftuch zu tun. Ich bin genauso kompetent – mit oder ohne.

Wie ist die Situation heute in Ihrem Job?

Hussain: Ich habe zum Glück sehr positive Erfahrungen gemacht. Es kommt auch darauf an, wie man selbst damit umgeht. Ich wurde aufgrund meiner Fähigkeiten eingestellt, nicht wegen meines Outfits. Natürlich gibt es manchmal Fragen, besonders im Ramadan – „Was, auch kein Wasser?“ Aber da bin ich geduldig und erkläre es, weil ich es sehr schätze, wenn es ehrliches Interesse ist.

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