Wie sehen Sie die Situation von Frauen in der Branche?
Hussain: Da gibt es ein interessantes Paradox: Es studieren mehr Frauen Jura als Männer und sie machen auch die besseren Examina. Aber auf dem Weg nach oben gibt es eine regelrechte „Leaky Pipe“. In Führungspositionen finden Sie kaum Frauen und noch weniger Frauen mit Migrationshintergrund.
In Deutschland kenne ich keine einzige Partnerin in einer Großkanzlei, die ein Kopftuch trägt.
In Großbritannien und den USA ist man da schon weiter.
Wie sieht es speziell in der Fintech-Branche aus?
Hussain: Die Fintech-Branche bietet gigantische Chancen, weil sie so innovativ ist. Als Juristin entwickelt man das Recht mit. Die Technologie entwickelt sich rasend schnell, und die Regulierung versucht, Schritt zu halten. Wenn man es mag, an neuen, komplexen Fragestellungen zu arbeiten, ist das eine riesige Chance. Außerdem löst man echte Probleme für die Menschen. Es geht nicht darum, die zehnte ähnliche App zu entwickeln, sondern echte Finanzprobleme anzugehen.
Warum es weibliche Vorbilder braucht
Was muss sich ändern, damit mehr Frauen den Weg in die Branche finden?
Hussain: Vor allem brauchen wir mehr Vorbilder. Fragen Sie mal jemanden nach den Top-5-Investoren – da fallen allen Warren Buffett oder Peter Thiel ein. Aber weibliche Investoren? Da wird es schwierig.
Und wenn es weibliche Vorbilder gibt, sind es meist weiße, privilegierte Frauen.
Das ist ein guter erster Schritt, aber wir brauchen mehr Vielfalt, mehr Women of Color, mehr unterschiedliche soziale Hintergründe. Die Vorbilder müssen auch sichtbar sein. Es reicht nicht, wenn ich Ihnen sage, „es gibt da eine tolle Investorin, die in zehn erfolgreiche Unicorns investiert hat“. Man muss diese Personen sehen, ihre Interviews lesen, ihre Geschichte kennen.
Welche konkreten Tipps haben Sie für Frauen, die Karriere machen wollen?
Hussain: Erstens: Netzwerken, netzwerken, netzwerken! Und zwar alleine. Wenn Sie mit einer anderen Person zu Events gehen, bleiben Sie in Ihrer Komfortzone. Gehen Sie alleine hin, dann sind Sie gezwungen, mit Menschen zu sprechen. Zweitens: Schaffen Sie Sichtbarkeit und achten Sie auf Ihre Sprache. Frauen verwenden oft Weichmacher wie: „Ich mache das erst seit drei Jahren“ oder „Könnte ich kurz stören?“. Das müssen wir ablegen. Und drittens: Glauben Sie an sich selbst. Frauen fällt es oft schwer zu sagen „Ich bin Expertin“ – aber genau das müssen wir tun.
Wie stehen Sie zu reinen Frauen-Netzwerken?
Hussain: Das kommt darauf an, was man braucht. Frauen-Netzwerke können als Safe Space sehr wertvoll sein – ein Ort, wo man Erfahrungen teilen und sich austauschen kann. Aber ich bin kein Fan davon, nur in einer Bubble zu bleiben. Nutzen Sie auch andere Netzwerke, gehen Sie zu Fintech-Events und Banken-Events und tauschen Sie sich aus.
Was macht für Sie eine gute Unternehmenskultur im Konzern und im Start-up aus?
Hussain: Man kann das gar nicht pauschal auf der Basis der Unternehmensgröße vergleichen. Auch in großen Konzernen, die man vielleicht als verstaubt wahrnehmen würde, gibt es Teams, die super offen, divers und innovativ sind. Es gibt immer eine Unternehmenskultur. Und dann gibt es eine Teamkultur, die oft noch wichtiger ist, weil man täglich mit diesem Team zusammenarbeitet. In den Start-ups, in denen ich war, wurde Diversität definitiv als Benefit und Vorteil gesehen – nicht als Quote, die man erfüllen muss.
Realität anderer Menschen sehen und verstehen
Inwiefern ist Diversität auch wirtschaftlich sinnvoll?
Hussain: Studien belegen, dass Frauen die besseren Investoren sind. Es ist ein klarer Wettbewerbsvorteil, den weiblichen Blick auf Produkte zu haben. Natürlich können auch rein männliche Teams gute Produkte für Frauen entwickeln, aber die Vielfalt der Perspektiven erleichtert es enorm. Außerdem: Der Fachkräftemangel wird auch die Finanzbranche treffen. Wer da nicht alle Talente nutzt, hat schon verloren.
Sie sprechen oft von Resilienz – was bedeutet das für Sie?
Hussain: Wir freuen uns immer, wenn jemand resilient ist, aber fragen selten: Wie ist diese Person resilient geworden? Resilienz bedeutet ja unter anderem, dass man durch etwas extrem Schweres gegangen ist und jetzt Mechanismen hat, wie man in Zukunft mit solchen Situationen umgehen kann. Viele privilegierte Menschen können gar nicht nachvollziehen, welche Energie es kostet, wenn man immer wieder gefragt wird: „Wo kommst du wirklich her?“ oder „Wieso ist dein Deutsch so gut?“, obwohl man Deutsche ist. Das kostet alles Kraft.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Hussain: Dass wir mehr die Realität anderer Menschen sehen und verstehen. Viele soziale Aufsteiger:innen bringen wertvolle Soft Skills mit: Sie können sich schnell anpassen, sind resilient und ehrgeizig. In unserer Leistungsgesellschaft werden diese Qualitäten oft übersehen. Im Vergleich zu meinen Eltern bin ich heute privilegiert. Dieses Privileg zu nutzen, um nur für mich selbst erfolgreich zu sein, wäre falsch.
Wer seine Privilegien nur für sich selbst nutzt, reproduziert den Status quo und ist Teil des Problems.
Deswegen engagiere ich mich, bin sichtbar und sage: Ja, ich bin jetzt hier, und es ist auch mein Platz. Ich bin keine Ausnahme oder ein Einzelfall – ich gehöre genauso hierher wie alle anderen.
Über die Interviewte
Fatima Hussain ist Head of Legal bei Liqid. Zuvor war sie als Senior Legal Counsel bei der Trade Republic Bank sowie bei Tesla und Audi als Syndikusrechtsanwältin tätig. Darüber hinaus berät sie Rechtsabteilungen und Kanzleien zum Thema Innovation mit Schwerpunkt auf Female Empowerment und Diversität, bietet Workshops an, die sich insbesondere an Frauen und Menschen mit Migrationsgeschichte richten und veröffentlicht zahlreiche Artikel und Podcasts zum Thema. Für ihren Einsatz wurde sie vom Capital Magazin im Jahr 2022 als eine von „Deutschlands Top 40 unter 40“ und von Business Insider als eine von „25 Zukunftsmacherinnen“ ausgezeichnet.