- Themen:
- Märkte
- Denker der Wirtschaft
Feri-Chefvolkswirt
Führt die Digitalisierung zu Massenarbeitslosigkeit?
Axel Angermann
Axel D. Angermann, Chefvolkswirt der Bad Homburger Feri-Gruppe Foto: Feri
Welche Auswirkungen der digitale Wandel auf die Produktivität und den Arbeitsmarkt hat, ist nach wie vor umstritten.
Yual Noah Hariri berichtet in seinen „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“, in Gesprächen über die Digitalisierung steige sofort die Aufmerksamkeit seiner Gesprächspartner, wenn er auf die Beschäftigungswirkungen zu sprechen komme. Tatsächlich hat das Thema Digitalisierung viele Facetten, von denen die meisten so komplex erscheinen, dass viele Menschen sich davon überfordert sehen. Dies gilt auch für die Beschäftigungswirkungen der „Vierten industriellen Revolution“, wie die Digitalisierung oft auch genannt wird.
Weil es hier um eine Frage von grundsätzlicher gesellschaftlicher Bedeutung geht, haben sich hierzu – aller Komplexität zum Trotz – zwei grundlegende Positionen herausgebildet:...
Bitte loggen Sie sich ein oder registrieren Sie sich kostenlos, um Artikel aus der Reihe Denker der Wirtschaft lesen zu können.
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Yual Noah Hariri berichtet in seinen „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“, in Gesprächen über die Digitalisierung steige sofort die Aufmerksamkeit seiner Gesprächspartner, wenn er auf die Beschäftigungswirkungen zu sprechen komme. Tatsächlich hat das Thema Digitalisierung viele Facetten, von denen die meisten so komplex erscheinen, dass viele Menschen sich davon überfordert sehen. Dies gilt auch für die Beschäftigungswirkungen der „Vierten industriellen Revolution“, wie die Digitalisierung oft auch genannt wird.
Weil es hier um eine Frage von grundsätzlicher gesellschaftlicher Bedeutung geht, haben sich hierzu – aller Komplexität zum Trotz – zwei grundlegende Positionen herausgebildet: Pessimisten halten es für geradezu unausweichlich, dass der Einsatz von Robotern und künstlicher Intelligenz in großem Stil Arbeitsplätze vernichten werde, ohne dass es dafür hinreichenden Ersatz geben werde. Die Folge wäre also eine dramatische Unterbeschäftigung.
Optimisten verweisen demgegenüber vor allem auf die historische Erfahrung mit den bisherigen industriellen Revolutionen, in denen zwar in der Tat in bestimmten Bereichen sehr viele Arbeitsplätze verloren gingen, dafür aber an anderer Stelle mindestens genauso viele neue Arbeitsplätze entstanden. Das Ergebnis solcher Revolutionen sei demnach also nicht Massenarbeitslosigkeit, sondern vor allem ein grundlegender Strukturwandel innerhalb der Wirtschaft.
Als Ausgangspunkt der inzwischen sehr breit geführten Debatte über die Beschäftigungswirkungen des digitalen Wandels gilt eine Studie von Frey und Osborne aus dem Jahr 2013. Demnach stelle die Digitalisierung mehr als 50 Prozent aller heute bestehenden Berufsbilder mehr oder weniger stark in Frage. Die Interpretation dieser Studie, nachdem also der Verlust von 50 Prozent aller Arbeitsplätze drohe, ist allerdings sachlich nicht richtig, und sie wird von der Studie auch nicht intendiert: Tatsächlich hatten Frey und Osborne gar nicht die Absicht, auf makroökonomischer Ebene die Beschäftigungswirkungen der Digitalisierung zu untersuchen, und ihre Studie liefert dafür auch gar nicht den adäquaten Rahmen.
Stattdessen wird auf mikroökonomischer Ebene danach gefragt, wie viel Prozent der heute von Menschen ausgeübten typischen Tätigkeiten in einer Vielzahl klar definierter Berufsbilder perspektivisch von Robotern oder künstlicher Intelligenz übernommen werden könnten. Die Frage wurde für jedes einzelne Berufsbild von Experten beantwortet. Unabhängig davon, dass sich auch Experten im Einzelfall irren können und sich die Antworten im Zeitablauf vielleicht auch hier oder da ändern könnten, zeigt sich als zentraler Befund: Die Digitalisierung betrifft nahezu alle Sektoren der Wirtschaft, sie erfasst die Mehrzahl der Berufsbilder, und sie stellt nicht nur Tätigkeiten mit einem geringen Qualifikationsprofil, sondern auch höherwertige Tätigkeiten in Frage. Zu den Berufsbildern, deren Tätigkeiten zu mehr als 90 Prozent digitalisierbar sind, gehören eben nicht nur Maschinisten, Lokführer und Taxifahrer, sondern auch Kreditanalysten und Kreditsachbearbeiter sowie Dentaltechniker.
In diesem Befund zeigt sich ein zentraler Unterschied zu den bisherigen industriellen Revolutionen: In der dritten industriellen Revolution beispielsweise wurden im Zuge der Automatisierung der Produktion durch den Einsatz von Elektronik und IT viele einfache menschliche Tätigkeiten ersetzt. Das hatte innerhalb der Industrie deutliche Produktivitätsgewinne und tendenziell auch sinkende Beschäftigungszahlen in diesem Sektor der Volkswirtschaft zur Folge. Zugleich stieg aber die Zahl der Beschäftigten in vielen Dienstleistungsbereichen, sodass per Saldo kein genereller Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen war. Wenn nun aber in nahezu allen Sektoren der Wirtschaft durch den Einsatz von Robotern und künstlicher Intelligenz Beschäftigungseinbußen drohen, fehlt es möglicherweise an expandierenden Auffangbereichen, mit deren Hilfe ein ähnlicher gesamtwirtschaftlicher Ausgleich gelingen könnte. Insoweit könnten also die Pessimisten am Ende mit ihren Befürchtungen Recht behalten.
Über den Autor