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Feri-Chefvolkswirt
Führt die Digitalisierung zu Massenarbeitslosigkeit?
Axel Angermann
Axel D. Angermann, Chefvolkswirt der Bad Homburger Feri-Gruppe Foto: Feri
Welche Auswirkungen der digitale Wandel auf die Produktivität und den Arbeitsmarkt hat, ist nach wie vor umstritten.
Tempo der Digitalisierung:
Von entscheidender Bedeutung für die Beschäftigungswirkungen dürfte die Geschwindigkeit der Digitalisierungsprozesse sein. Es ergibt natürlich einen großen Unterschied, ob die Digitalisierung in kurzer Zeit gewaltige Fortschritte macht und gewachsene Strukturen zerstört oder aber, ob es sich um einen längeren Prozess handelt. In der gegenwärtigen Praxis erleben wir beides: Die Möglichkeit, über digitale Plattformen etwa Musik hören und herunterladen zu können, hat innerhalb kurzer Zeit zu einer Umwälzung des gesamten Musikgeschäfts geführt.
Auf der anderen Seite gibt es nunmehr seit vielen Jahren durchaus plausible Visionen vom vernetzten...
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- Tempo der Digitalisierung:
Von entscheidender Bedeutung für die Beschäftigungswirkungen dürfte die Geschwindigkeit der Digitalisierungsprozesse sein. Es ergibt natürlich einen großen Unterschied, ob die Digitalisierung in kurzer Zeit gewaltige Fortschritte macht und gewachsene Strukturen zerstört oder aber, ob es sich um einen längeren Prozess handelt. In der gegenwärtigen Praxis erleben wir beides: Die Möglichkeit, über digitale Plattformen etwa Musik hören und herunterladen zu können, hat innerhalb kurzer Zeit zu einer Umwälzung des gesamten Musikgeschäfts geführt.
Auf der anderen Seite gibt es nunmehr seit vielen Jahren durchaus plausible Visionen vom vernetzten Eigenheim – in der Praxis ist davon bislang aber kaum etwas flächendeckend und vieles noch gar nicht umgesetzt worden. Fragt man nach dem Grund dafür, lohnt sich ein Blick auf das so genannte Solow-Paradoxon, mit dem vor 30 Jahren Robert Solow Berühmtheit erlangte. Er hatte festgestellt, dass von den mit dem Einsatz von Computern angeblich verbundenen Produktivitätsfortschritten in den Statistiken nichts zu sehen sei. Die umfangreiche Diskussion über diese Frage brachte zutage, dass Lern- und Anpassungsverzögerungen einer der wesentlichen erklärenden Faktoren (wenn auch nicht der einzige) für die erst sehr viel später zu beobachtenden Produktivitätsfortschritte waren. Von Bedeutung ist dies in unserem Zusammenhang vor allem deshalb, weil von den erwarteten beziehungsweise tatsächlichen Produktivitätswirkungen auch die Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts abhängt. Solange die Produktivitätsgewinne unklar oder gar nicht feststellbar sind, ist der auf Unternehmen lastende Wettbewerbsdruck, etwa neuartige Roboter einzusetzen, begrenzt.
Erik Brynjolfsson hat im Jahr 2017 in einem lesenswerten Aufsatz viele Indizien dafür herausgearbeitet, dass die Digitalisierung ein ähnliches „modernes Produktivitätsparadox“ generiert: Auch diesmal kommt Implementierungsverzögerungen dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Zahlreiche betriebswirtschaftliche Abhandlungen über Digitalisierung weisen darauf hin, dass die Nutzung von KI und digitalen Prozessen nicht nur neuartige Qualifikationen der Mitarbeiter bedingen, sondern auch eine – teilweise sogar erhebliche – Änderung von betrieblichen Prozessen und der gesamten Unternehmenskultur voraussetzen. Es liegt auf der Hand, dass diese Änderungen nicht über Nacht herbeigeführt werden können. Auch rechtliche und ethische Hürden dürften eine Rolle spielen. Die Geschwindigkeit, mit der sich beispielsweise autonomes Fahren verbreitet, ist eben nicht nur von der Lösung technischer Fragen abhängig, sondern auch von der Akzeptanz der gefundenen Lösungen unter den Verbrauchern, der Entwicklung neuartiger Geschäftsmodelle, mit deren Hilfe sich die Vorzüge autonomen Fahrens nutzen lassen, und schließlich auch von einer Reihe von regulatorischen Fragen etwa zu Sicherheit und Haftung.
Der Zeitpunkt, zu dem die Mehrzahl der Fahrzeuge auf den Straßen selbststeuernd ist, dürfte deshalb weiter in der Zukunft liegen, als es technologieaffine IT-Experten heute einschätzen würden. Allerdings, und auch das lehrt die jüngere Vergangenheit: Während eine Zeit lang der Nutzen einer neuen Technologie nur schwer erkennbar ist, steigt dieser Nutzen ab einer bestimmten Verbreitungsschwelle exponentiell an. Von da an hat ein großer Teil der potenziellen Nutzer der Technologie einen Anreiz zur Nutzung oder wird durch den Wettbewerb zu ihrer Nutzung gezwungen. Für die Beschäftigungswirkungen der Digitalisierung heißt das: Selbst wenn die Digitalisierung massenhaft bestehende Arbeitsplätze vernichten sollte und die oben dargestellten Effekte zu gering sein sollten, um ausreichenden Ersatz zu schaffen, erstreckt sich dieser Prozess über viele Jahre hinweg. Außerdem besteht zumindest in Teilbereichen über regulatorische Normen die Möglichkeit, diesen Prozess zu steuern.
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