Feri-Vorstand Heinz-Werner Rapp
Europas Anlagemarkt droht der Zerfall
Aktualisiert am 17.03.2020 - 15:39 Uhr
Heinz-Werner Rapp ist Vorstand von Feri sowie Gründer und Leiter des Feri Cognitive Finance Institute. Foto: Feri
Investoren betrachten Europa als einheitlichen Anlagemarkt. Der Kontinent fragmentiert sich jedoch seit Jahren. Aus Sicht von Feri-Vorstand Heinz-Werner Rapp sind undifferenzierte Investitionsstrategien deshalb nicht mehr zeitgemäß.
Die europäischen Länder entwickeln sich nicht homogen und gleichgerichtet, sondern driften immer stärker auseinander. Dies gilt in politischer, ökonomischer, kultureller und ideeller Hinsicht. Europa erodiert, entfremdet und blockiert sich und zerfasert sowohl im Kern als auch an seinen Rändern. Sichtbarstes Zeichen dieser Entwicklung ist wohl der Brexit, der in Kürze eines der größten und wirtschaftlich stärksten Länder Europas aus der EU führen wird – wahrscheinlich sogar in einem ungeregelten Verfahren. Weitere Symptome dieser Fragmentierung sind der Dauerstreit mit Italien sowie zunehmende Spannungen mit Osteuropa, die nicht zuletzt auf unterschiedliche Kulturen und Wertesysteme zurückzuführen...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Die europäischen Länder entwickeln sich nicht homogen und gleichgerichtet, sondern driften immer stärker auseinander. Dies gilt in politischer, ökonomischer, kultureller und ideeller Hinsicht. Europa erodiert, entfremdet und blockiert sich und zerfasert sowohl im Kern als auch an seinen Rändern. Sichtbarstes Zeichen dieser Entwicklung ist wohl der Brexit, der in Kürze eines der größten und wirtschaftlich stärksten Länder Europas aus der EU führen wird – wahrscheinlich sogar in einem ungeregelten Verfahren. Weitere Symptome dieser Fragmentierung sind der Dauerstreit mit Italien sowie zunehmende Spannungen mit Osteuropa, die nicht zuletzt auf unterschiedliche Kulturen und Wertesysteme zurückzuführen sind. All dies erschwert eine kohärente Entwicklung und erzeugt neue strategische Bruchlinien.
Schwache Rolle Deutschlands
Problemverstärkend wirkt die seit Jahren anhaltende Konturlosigkeit der deutschen Politik. Deutschland als wirtschaftlich führendes Land in Europa scheint merkwürdig entrückt und hat seit Jahren keine politische Vision mehr hervorgebracht, weder für sich selbst noch für Europa. Wechselnde Episoden einer großen Koalition haben Stillstand, Reformstau und sozialromantische „Politik mit der großen Kelle“ hinterlassen. Inzwischen beginnt sich jedoch auch dieses Bild bereits stark zu verändern: Die auffallende Schwäche in früheren deutschen Schlüsselsektoren wie Energieerzeugung, Banken oder dem Automobilbau deutet an, dass auch Deutschland und seine Wirtschaft vor profunden Umwälzungen stehen.
Im politischen Hintergrund Europas zeigt sich derzeit ein volatiles Bild mit oft widersprüchlichen Strömungen. Auch das vielbeschworene deutsch-französische Tandem wackelt stark und hat anscheinend nur noch wenig Luft im Reifen: Die anfängliche Macron-Euphorie ist deutlich abgeflaut, und das deutsch-französische Dream-Team „Merkcron“ konnte zu keinem Zeitpunkt politischen Esprit entwickeln. Frankreich unter Macron geht zunehmend eigene Wege und zeigt politisch „klare Kante“, vermehrt auch gegenüber Deutschland. Die Art und Weise, wie zuletzt in Europa wichtige Richtungsentscheidungen getroffen und hochrangige Posten vergeben wurden, macht diesen Punkt sehr deutlich. Diese deutsch-französische Entfremdung dürfte sich als retardierendes Element für Europas Zukunft erweisen.
Der Elefant im Raum – Italien
Das zentrale Problem Europas liegt jedoch in Italien und dessen struktureller Schwäche. Italien ist seit Jahren „der kranke Mann Europas“ und konnte sich von dem Wachstumseinbruch seit der großen Finanzkrise 2008 noch immer nicht erholen. Das reale Wachstum Italiens verharrt auf dem Niveau des Jahres 2000, dem ersten Jahr der Euro-Zugehörigkeit. Diese schlechte Performance hat 2018 zur Wahl einer populistischen Regierung geführt, die gezielt eine weitere Spaltung der EU vorantreibt. Gleichzeitig missachtet Italien wichtige Prinzipien der Währungsunion und unterminiert so das Vertrauen in den Euro als europäischer Gemeinschaftswährung. Aktuell steuert Italien bereits wieder auf Neuwahlen zu, was neue Komplikationen mit sich bringt. Sowohl die mangelhafte wirtschaftliche Entwicklung Italiens als auch die politische Fragilität und der Dauerkonflikt mit EU sprechen Bände und widerlegen unmissverständlich die These der europäischen Konvergenz.
Daraus folgt: Die Zukunft Europas ist unsicher, und die Tendenzen einer fortschreitenden Fragmentierung sind unübersehbar. Das bisherige Paradigma einer „automatischen Konvergenz“, speziell im Euroraum, verliert damit klar an Substanz.
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