Gemischte Reaktionen auf Reformpläne der Bundesregierung Branche lobt „Zeitenwende“ in der privaten Altersvorsorge – es gibt aber auch Kritik
Eine Expertengruppe mit Vertretern aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Verbraucherschutz hat im Auftrag der Bundesregierung Vorschläge zur Reform der privaten Altersvorsorge erarbeitet – nun liegen die Ergebnisse vor. So schlägt die Kommission unter anderem den Umbau der Riester-Rente vor. Sparer sollen die Chance auf höhere Renditen erhalten, im Gegenzug könnte es Verträge ohne Garantien geben. Ein weiterer Baustein des Konzepts: Staatlich geförderte Altersvorsorgedepots, über die Sparer in Fonds und ETFs investieren können.
Die Reaktionen aus der Branche und von Verbänden fallen gemischt aus. Lob kommt von Vertretern der Finanzwirtschaft. Der deutsche Fondsverband BVI, der neben Vertretern von Bundesregierung und Verbraucherzentralen selbst Teil der Expertengruppe war, begrüßt die Reformpläne: „Der Bericht zeigt den Paradigmenwechsel in der privaten Altersvorsorge“, so BVI-Hauptgeschäftsführer Thomas Richter. Ohne den Garantiezwang könne das Aktiensparen ausgeweitet werden. Gerade Aktienfondssparpläne seinen bei langen Anlagezeiträumen renditestark, heißt es in einem Statement des Verbands. Der BVI spricht sich zudem ebenfalls dafür aus, den Verzicht der Beitragsgarantie auch auf bestehende Riesterverträge anzuwenden.
Dass es keinen Staatsfonds für die private Altersvorsorge geben soll, hält der Fondsverband für richtig: „Das ist ein wichtiges Signal“, meint Richter. In der sozialen Marktwirtschaft bestimme der Staat die Regeln und sei Schiedsrichter. „Sobald der Schiedsrichter selbst mitspielt, ist der Wettbewerb verzerrt und nicht marktwirtschaftlich“, so der BVI-Geschäftsführer. Das verhindere Produktvielfalt und fairen Wettbewerb.
Der Verband spricht sich dafür aus, die von der Fokusgruppe empfohlenen Eckpunkte umgehend in das Parlament einzubringen. „Eine weitere Legislaturperiode ohne Reform der privaten Altersvorsorge kann sich Deutschland nicht leisten“, sagt Thomas Richter.
Amundi-Deutschlandchef Christian Pellis lobt im Karriere-Netzwerk Linkedin ebenfalls das Votum gegen einen Staatsfonds als direkte Konkurrenz zur privaten Altersvorsorge. „Insbesondere der Vorschlag, chancenreichere Anlagen mit höheren Renditen zu ermöglichen, ist – wenn gut umgesetzt – ein Schritt in die richtige Richtung“, so Pellis. Förderfähige Altersvorsorgedepots ohne Garantievorgaben, die Anlagen in Fonds sowie andere geeignete realwertorientierte Anlageklassen ermöglichen, setzen die richtigen Anreize, meint der Amundi-Deutschlandchef.
Auch das Deutsche Aktieninstitut spricht „von einem wichtigen Signal“. Das geplante Altersvorsorgedepot sei ein Schritt in die richtige Richtung und müsse im Interesse künftiger Rentner zügig umgesetzt werden. „Die Bundesregierung muss renditestarke Aktien in die Altersvorsorge einbeziehen, um die Rente für die Zukunft zu stabilisieren“, sagt Christine Bortenlänger, geschäftsführende Vorständin des Deutschen Aktieninstituts.
Eine breitgestreute, langfristige Aktienanlage beispielsweise in den Dax habe in der Vergangenheit jährlich durchschnittlich sechs bis neun Prozent Erträge erwirtschaftet, rechnet Bortenlänger vor. In den USA, Schweden und Großbritannien seien Aktien bereits ein wesentlicher Bestandteil der Altersvorsorge. „Diesen Weg muss auch Deutschland einschlagen.“ Neben Fonds sollten die Bürger allerdings auch Geld in Aktien einzelner Unternehmen anlegen können, fordert der Verband.
Garantien bei so langen Anlagezeiträumen „überflüssig“
Den Vorschlag der Expertengruppe, auf Garantien zu verzichten, hält das Deutsche Aktieninstitut ebenfalls für sinnvoll. Bei langfristigen Anlagezeiträumen von 20 oder 30 Jahren seien Garantien überflüssig. Breit gestreute Aktienanlagen waren über so lange Zeiträume immer im Plus, heißt es. Zudem würden Garantien Rendite kosten, weil sie Anbieter zwingen, in festverzinsliche Wertpapiere wie Staatsanleihen zu investieren statt in Aktien.
Der Verband begrüßt zudem die größere Flexibilität bei den Auszahlungsplänen. Dadurch könnten Bürger auch in der Rentenphase verstärkt in rentablen Anlagen wie Aktien investiert bleiben. „Das bringt zusätzliche Rendite und ein Plus an Altersvorsorge“, meint Vorständin Bortenlänger.
„Mehr als zu erwarten war“: So kommentiert Norman Wirth, geschäftsführender Vorstand des Bundesverbands Finanzdienstleistung AfW, der die Interessen unabhängiger Finanzberater vertritt, die Vorschläge. „Riester soll endlich reformiert werden und man verabschiedet sich von der problematischen Idee eines Staatsfonds beziehungsweise eines öffentlich verantworteten Vorsorgefonds in der privaten Altersvorsorge“, fasst Wirth zusammen.
Der Vorschlag eines Altersvorsorgedepots, mit dem in Fonds oder andere geeignete realwertorientierte Anlageklassen investiert werden könne, sei eine zukunftsfähige Neuerung. Dass sich die Erkenntnis durchsetze, man müsse risikoorientierter und offensiver vorgehen, um die Altersvorsorgelücke zu schließen, sei „eine Zeitenwende“. Um Kosten zu reduzieren, solle bei Produkten und Bürokratie angesetzt werden, nicht bei der Vermittlervergütung, lobt der Verband.
Hallo, Herr Kaiser!
Branchenvertreter drängen auf schnelle Umsetzung der Reformen
Zudem begrüßt der AfW die Vorschläge zur Riester-Reform, darunter etwa den Verzicht auf Garantien, die Abschaffung der Verrentungspflicht sowie die Möglichkeit, Auszahlungen auch für Sanierung, altersgerechten Umbau oder Kredittilgung selbstgenutzter Immobilien zu ermöglichen. Darüber, sich von der Pflicht zur Leibrente zu verabschieden, werde sicherlich noch diskutiert werden, so die Einschätzung des Verbands. Dagegen hatte sich der Versicherungsverband GDV ausgesprochen. Es bleibe abzuwarten, was von den Vorschlägen der Fokusgruppe letztlich den Weg in ein Gesetzgebungsverfahren finden wird. „Die Uhr tickt. Reformen sind überfällig“, meint Wirth.
Für eine zügige Umsetzung spricht sich auch der Finanzdienstleister-Verband Votum aus. Der Abschlussbericht der Fokusgruppe sei ein erster Meilenstein auf dem Weg zur notwendigen Reform der privaten Altersvorsorge, der Hoffnung mache, heißt es – allerdings mit Beigeschmack: „Es ist eine bittere Erkenntnis, dass die Politik die gesamte Dauer der Niedrigzinsphase benötigt hat, um zu diesen Erkenntnissen zu kommen“, meint der geschäftsführende Vorstand Martin Klein. Die in den vergangenen Jahren beklagte mangelnde Rendite der Riester-Produkte sei daher auch politisch zu verantworten.
Der Verband begrüßt, dass der Forderung nach einem Staatsfonds „mit einer klaren Mehrheit eine Absage erteilt wurde“. Dafür hätten sich auch Vertreter der Wissenschaft eingesetzt. Dass Riester-Sparer auch nachträglich auf Garantien verzichten können, sei ebenfalls sinnvoll: „Mit dieser Einbeziehung der heutigen Riester-Sparer stärkt man das notwendige Vertrauen in die private Altersvorsorge. Ein daher unerlässlicher Schritt“, so Klein.
Insbesondere für Selbständige sieht der Verband Vorteile: „Die Fokusgruppe hat deutlich hervorgehoben, dass die neue Produktwelt als Alternative zur gesetzlichen Rentenversicherung für Selbständige offen sein muss“, erklärt Klein. Das habe der Votum-Verband immer gefordert.
Versicherungsvertreter und Verbraucherschützer kritisieren Reformvorschläge
Skeptisch äußert sich dagegen der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK), der die Interessen von Versicherungsvertretern und -maklern vertritt, zu den Vorschlägen der Expertengruppe. „Die Vorschläge sind für die Versicherungswirtschaft eher enttäuschend“, meint BVK-Präsident Michael Heinz und kritisiert, dass Vermittlerverbände nicht Teil des Ausschusses waren.
Begrüßenswert seien die Beibehaltung des Drei-Schichten-Modells aus Basis-Versorgung, Zusatz-Versorgung und Kapitalanlageprodukten sowie der Bestandsschutz für laufende Riester-Verträge und eine stärkere Flexibilisierung in der Auszahlungsphase. Skeptisch beurteilt der Verband dagegen die Pläne, „die Altersvorsorge über sogenannte Altersvorsorgedepots den volatilen Kapitalmärkten zu überlassen.“
Laut BVK sind Renten und Mindestgarantien „enorm wichtig“, um das Langlebigkeitsrisiko für Versicherte abzusichern und für Planbarkeit zu sorgen. „Statt eines fragwürdigen Neustarts der privaten Altersvorsorge plädiert der BVK weiter für eine vernünftige Reform der seit über 20 Jahren bestehenden Riester-Rente“, heißt es vom Verband.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) war ebenfalls Teil der von der Bundesregierung eingesetzten Fokusgruppe. Den Verbraucherschützern gehen die Vorschläge allerdings nicht weit genug. Empfohlen werde nicht die dringend nötige grundlegende Reform, sondern man halte am maroden System fest, heißt es in einem Statement des Verbands. „Die Empfehlungen der Kommission sind enttäuschend“, so VZBV-Vorständin Ramona Pop.
Zwar sprechen sich die Verbraucherschützer für Aktiensparen als Teil der Altersvorsorge aus. So gehe aus einem Gutachten im Auftrag des Verbands hervor, dass eine reine Aktienstrategie im Mittelwert eine etwa dreimal so hohe Rente bringe wie eine risikolose Anlage in Anleihen. Der VZBV hält allerdings einen Staatsfonds für das geeignete Mittel: Ein öffentlich verwalteter Fonds, der breit diversifiziert das Geld der Verbraucher in Aktien anlegt – „verlässlich und ohne unnötige Kosten und Gebühren“ – sei notwendig und privaten Angeboten wie Riester-Produkten klar überlegen. „Länder wie Schweden oder Großbritannien machen seit Jahren vor, dass ein solches Modell für die Sparer:innen funktioniert und das Geld nicht primär in den Taschen der Finanzwirtschaft landet“, so das Statement weiter.
Für Kritik sorgt zudem die Empfehlung, Garantieren abzuschaffen. „Aus Sicht des VZBV untragbar ist die Empfehlung der Fokusgruppe, dass Versicherungsunternehmen den Sparer:innen für ihre Zusatzrenten weniger Geld auszahlen können sollen, als sie eingezahlt haben“, meint Pop. So sinnvoll ein solcher Garantieverzicht bei Fondssparplänen sei, bei Versicherungsprodukten hätten Verbraucher das Nachsehen, so die Verbandsvorständin.