Frau Waske, wie sind Sie Ethikanalystin geworden?
Marlene Waske: Ich habe nach einer Bankausbildung recht unentschlossen angefangen zu studieren: VWL, Ethnologie, Indologie – abgeschlossen habe ich dann mit einem Diplom in VWL und einem Magister in Ethnologie, BWL und osteuropäischer Geschichte.
Während meines Ethnologie-Studiums führte ich ein Forschungsprojekt im Hochland von Papua-Neuguinea durch – in einem abgelegenen Dorf ohne Wasser, Strom oder medizinische Versorgung. Diese Erfahrung hat mich grundlegend verändert. In Papua-Neuguinea gibt es extreme soziale Ungleichheit und ökologisch sehr kritische Wirtschaftszweige. Als ich zurückkam, war ich sehr aufgewühlt von diesen Erlebnissen.
Dann las ich in der Financial Times einen Artikel zu Arete Ethik Invest, in dem es um nachhaltiges und ethisches Investieren ging. Skeptisch schrieb ich eine E-Mail und bot an, meine Magisterarbeit mit ihnen zu schreiben – in der Erwartung einer Absage. Doch überraschenderweise erhielt ich eine positive Antwort vom heutigen CEO.
Während meiner Promotion – die sich mit einem ganz anderen Thema beschäftigte, nämlich Ethnizität und Fettleibigkeit, fragte ich, ob ich nebenbei als Freelancerin bei Arete Ethik Invest arbeiten könnte. So begann ich 2017 mit dem Schreiben von Analysen, was ich dann neben der Dissertation und meinem ersten Job fortsetzte. Nach meiner Elternzeit 2021 und dem Management-Buyout stieg ich 2022 fest ein. Es war also eine Mischung aus Zufall, Neugier und eigenem Engagement.
Welche Tipps würden Sie jungen Menschen geben, die in den Bereich der nachhaltigen Geldanlage einsteigen möchten?
Waske: Das Spannende an Nachhaltigkeit ist ihre Vielfalt: Sie umfasst ökologische und technische, aber auch soziale Aspekte. Ich bereue nicht, zwei diametral entgegengesetzte Fächer studiert zu haben – VWL auf der einen Seite und Ethnologie auf der anderen. Diese unterschiedlichen Blickwinkel sind wertvoll.
Grundsätzlich ist ein wirtschaftswissenschaftlicher Hintergrund hilfreich, aber auch Kombinationen aus Mint-Fächern mit Philosophie oder Soziologie können eine gute Grundlage sein. Wer direkt in die Finanzbranche will, für den ist natürlich eine Bankausbildung oder etwas Ähnliches als Grundlage sinnvoll. Man sollte keine Angst vor Geschäftsberichten haben – das ist kein Hexenwerk.
Sie engagieren sich auch für Frauen in der Finanzbranche. Warum ist Ihnen das wichtig?
Waske: Studien zeigen: je höher das Karrierelevel in der Finanzbranche, desto geringer der Frauenanteil. Das liegt nicht an mangelndem Interesse oder gar fehlender Kompetenz, sondern daran, dass Frauen auf dem Karriereweg verloren gehen. Um das zu verhindern, brauchen wir Maßnahmen von Arbeitgeberseite, aber auch von den Frauen selbst. Viele Frauen sind zu zurückhaltend, wenn es darum geht, ihre Ansprüche und Ziele zu formulieren. Ich glaube, wenn wir mehr weibliche Vorbilder in den Vordergrund stellen, können wir schon viel erreichen.
Welchen persönlichen Rat würden Sie jungen Frauen in der Finanzbranche geben?
Waske: Man darf sich nicht einschüchtern lassen und sollte ein dickes Fell entwickeln. Mit einer guten fachlichen Ausbildung sollte man diese auch zeigen und keine Angst haben, ins Scheinwerferlicht zu treten.
Bei der Arbeitgeberwahl ist es wichtig, die eigene Definition von Nachhaltigkeit zu berücksichtigen. Wir verbringen einen Großteil unserer Lebenszeit bei der Arbeit – wenn man nach 20 Jahren feststellt, dass man eigentlich etwas ganz anderes erreichen wollte, ist die Frustration groß.
Mein wichtigster Rat: eine solide Ausbildung anstreben und sich vernetzen, vernetzen, vernetzen.
Was halten Sie von reinen Frauennetzwerken? Oder sind gemischte Netzwerke sinnvoller?
Waske: Es ist keine Entweder-Oder-Entscheidung. In der aktuellen Phase, wo Frauen noch stark unterrepräsentiert sind, sind Frauennetzwerke wertvoll, damit man sich gegenseitig unterstützen kann. Aber das schließt Männer nicht aus – im Gegenteil: Wir wollen, dass Männer in Führungspositionen sehen, dass es Frauen gibt, die etwas erreichen und verändern wollen.
Nichts ist schlimmer als Unternehmen, die sagen: „Wir würden ja gerne Frauen einstellen, finden aber keine.“ Die Frauen sind da, sie sind nur oft nicht so laut wie ihre männlichen Kollegen.
War Ihnen klar, dass es diese Geschlechterungleichheit gibt, bevor Sie in der Branche gearbeitet haben?
Waske: Ehrlich gesagt habe ich darüber vorher kaum nachgedacht. Man erlebt dann aber diese kleinen Momente, in denen man denkt: „Was war das denn jetzt?“ Ich glaube nicht, dass Männer morgens aufstehen und sich vornehmen, Frauen zu benachteiligen. Vielmehr handelt es sich um tief eingeschliffene und erlernte Verhaltensweisen.
Ein wichtiger Beitrag, den wir leisten können, ist, diese Situationen zu artikulieren – nicht anklagend, sondern indem wir sagen: „Diese Situation war für mich komisch oder unangenehm. Wie würdest du dich fühlen, wenn du an meiner Stelle gewesen wärst?“
Über Marlene Waske
Marlene Waske ist seit über sieben Jahren als Ethik- und Datenanalystin bei der unabhängigen Investmentboutique Arete Ethik Invest in Zürich tätig. Darüber hinaus engagiert sie sich als Vorstandsbeisitzerin beim Forum Nachhaltige Geldanlage (FNG).
Wie Marlene Waske Unternehmen auf Nachhaltigkeit prüft, welche Kriterien erfüllt sein müssen und wie die Zusammenarbeit zwischen Ethikkomitee, Analysten und Portfoliomanagement funktioniert, können Sie hier nachlesen.