Vermögensverwalter Andreas Enke „Derzeit spricht kaum etwas dafür, in die Finanzmärkte einzusteigen“
Besser sieht es bei der Fiskalpolitik aus. Doch das angekündigte Konjunkturpaket in Höhe von 1,9 Billionen US-Dollar sollte längst eingepreist sein. Gleichzeitig dürfte die Schätzung der OECD für das Wachstum der US-Wirtschaft mit 3,7 Prozent fürs laufende Jahr zu hoch gegriffen sein. Hier ist also auch kaum eine positive Überraschung zu erwarten. Schließlich wirken sich die massiv gestiegenen Preise für Öl und Gas in den Vereinigten Staaten unterschiedlich aus. Den Exporteuren bringen sie unerwartete Gewinne, der Konsum und das produzierende Gewerbe im Inland leiden dagegen unter den erhöhten Energiekosten. Unterm Strich sind von den USA für die internationalen Finanzmärkte kaum positive Impulse zu erwarten.
Noch schlechter zeigt sich die Lage in Europa. Hier steht die EZB vor dem Dilemma einer kriegsbedingt geschwächten Wirtschaft und einer stärker steigenden Inflationsrate. Die europäischen Geldpolitiker werden wohl kaum um einen Stopp der Anleihekäufe und den einen oder anderen Zinsschritt herumkommen. Konjunkturell sieht es etwas besser aus, nicht zuletzt dank des Green Deals. Aber die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland und umgekehrt sowie der mögliche Stopp russischer Gaslieferungen sind noch lange nicht absehbar. Der Krieg in der Ukraine dürfte das Wirtschaftswachstum in der EU massiv belasten. Dazu kommt noch der unsägliche Brexit, der auch noch nicht wirklich verarbeitet ist.
China macht wenig Hoffnung
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob von der Volksrepublik entscheidende Impulse zu erwarten sind. Die Antwort lautet: leider nein. Zwar hat die Notenbank in Peking zuletzt die Leitzeinsen geringfügig gesenkt. Aber die Restriktionen im Immobilienbereich bleiben vorerst bestehen. Dasselbe gilt für die Tech-Konzerne. Hier soll es zwar vorerst keine weiteren „Strafmaßnahmen“ geben, die bereits bestehenden werden aber auch nicht gelockert oder aufgehoben.
Unterm Strich wird China selbst nach eigenen Prognosen in diesem Jahr so langsam wachsen wie seit Jahrzehenten nicht mehr. Zudem gibt es weiter die geopolitischen Spannungen mit den USA und mit Taiwan. Positiv ist zumindest, dass sich in China die Energieversorgung wieder stabilisiert. Das erfolgt allerdings durch die Ausweitung der Kohleverstromung und den Ausbau der Kernenergie auf Kosten der Umwelt.
Insgesamt negatives Gesamtbild
Alles in allem spricht derzeit kaum etwas dafür, schon wieder in die Finanzmärkte einzusteigen. Anleger sollten aber nicht warten, bis sich das „big picture“ wieder insgesamt positiv zeigt, sondern bereits bei den ersten anhaltenden Besserungstendenzen reagieren. Dabei gilt es, zu erkennen, welche der negativ wirkenden Informationen bereits im Markt verarbeitet wurden - natürlich genauso, welche neuen Informationen gerade dazukommen. Zu einer Korrektur der eigenen Entscheidung müssen alle Anleger heute jederzeit bereit sein. Die Unsicherheit ist einfach zu groß. Trotzdem ist es langfristig keine gute Entscheidung, nicht investiert zu sein.
Über den Autor:
Andreas Enke zählt zu den Inhabern und Vorständen der Vermögensverwaltung Geneon Vermögensmanagement. Der Diplom-Kaufmann verfügt über mehr als 28 Jahre Berufserfahrung in der Beratung vermögender Privat- und Geschäftskunden bei verschiedenen Großbanken.