Zinsentscheid am Donnerstag Finanzprofis erwarten starkes Signal von der EZB

Am Donnerstag entscheidet der Rat der Europäischen Zentralbank über weitere Schritte der Geldpolitik. Unstrittig ist, dass die Notenbank erstmals seit elf Jahren die Zinsen anheben wird – spekuliert wird nun über die Höhe. Die Nachrichtenagenturen Reuters und Bloomberg berichten unter Berufung auf Insider, dass es eine Zinserhöhung um 50 Basispunkte geben könnte.
Vor wenigen Wochen hatte die Europäische Zentralbank noch eine Leitzinserhöhung um 25 Basispunkte angekündigt. Neben dem Hauptrefinanzierungssatz der Eurozone, der allgemein als Leitzins bezeichnet wird und derzeit bei null Prozent liegt, würde das auch für den Einlagenzins (- 0,5 Prozent) und den Spitzenrefinanzierungszins (0,25 Prozent) gelten. Mehrere Mitglieder des EZB-Rats hatten sich in den vergangenen Wochen bereits für eine stärkere Zinserhöhung ausgesprochen.
Für viele Finanzprofis ist ein solcher Schritt durchaus denkbar. „Die Gerüchte, dass die EZB den Zins stärker anhebt als erwartet, sind ernst zu nehmen. Die Entwicklung an den Finanzmärkten würde jedenfalls dazu passen“, sagt Marko Behring, Leiter Asset Management der Fürst Fugger Privatbank. So sei der Euro-Kurs nach dem Sturz wieder auf 1,02 Dollar gestiegen und auch die Rendite zweijähriger deutscher Anleihen, die auf kurzfristige Zinserwartungen besonders sensibel reagieren, sei auf mehr als 0,6 Prozent geklettert – der höchste Stand seit zwei Wochen.
Neben den Lieferkettenengpässen, dem Ukraine-Konflikt und den gestiegenen Energiepreisen habe auch der drastische Verfall des Euro die Inflation befeuert, so Behring. „Unter Berücksichtigung der Teuerungsraten von zuletzt 8,6 Prozent in der EU erscheint eine etwas mutigere Zinspolitik gerechtfertigt.“ Die Zinsdifferenz zur US-Zentralbank Fed habe durchaus ihren Anteil am schwachen Euro und begünstige Teuerungsraten, insbesondere bei der Energie.
Die hohe Inflation wirke sich zwangsläufig auf die Konsumfreude und die Ertragskraft der Unternehmen aus, das sei auf mittlere Sicht Gift für die Konjunktur, so Marko Behring. „Die Fed hat mit ihrer Erhöhung von 75 Basispunkten die Richtung vorgegeben – und ihre Glaubwürdigkeit gestärkt.“ Nun müsse die EZB zeigen, dass sie ihr Mandat noch ernst nehme und zumindest mit 50 Basispunkten nachziehen.
Dass die Notenbank nicht länger warten dürfe, betont auch Franck Dixmier, globaler Investmentchef für Anleihen bei Allianz Global Investors: „Unter ihrer Präsidentin Christine Lagarde sollte die EZB einen aggressiven Ton anschlagen und endlich handeln – und zwar mit einer ersten Zinserhöhung um 50 Basispunkte, im Unterschied zu den von den Märkten erwarteten 25 Basispunkten“. Bei der steigenden Inflation in der Eurozone seien Negativzinsen schwer vermittelbar. „Ein zusätzliches Argument für die EZB, ihre Entschlossenheit zu zeigen, ist die Schwäche des Euro gegenüber dem Dollar, der die Rohstoffpreise weiter in die Höhe treibt“, so Dixmier.
Der Investmentchef erhofft sich zudem Einzelheiten zu dem von der Notenbank angekündigten sogenannten Anti-Fragmentierungsinstrument, mit dem die Währungshüter ein zu starkes Auseinanderdriften der Eurozone verhindern wollen. Die Ankündigung des Programms, das hoch verschuldete Euroländer am Anleihemarkt stützen soll, habe bereits zu einer Einengung der Spreads zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen geführt. „Ohne eine offizielle Bestätigung auf der nun anstehenden Sitzung ist das Risiko für eine Enttäuschung der Märkte groß“, sagt Dixmier.
Details zu dem neuen Kriseninstrument erwartet auch Martin Wolburg, leitender Volkswirt bei Generali Investments: „Bislang sind kaum Details bekannt, und wir erwarten, dass die EZB zumindest sehr viel konkreter wird.“ Es bestehe jedoch das Risiko, dass die EZB den Markterwartungen nicht gerecht werde.
Wolburg kann sich „angesichts der rekordhohen Inflation“ ebenfalls eine Zinserhöhung um 50 Basispunkte vorstellen. „Darüber hinaus sollte Präsidentin Lagarde klarstellen, dass der Zinserhöhungszyklus gerade erst begonnen hat – jedoch der Zeitpunkt und der Umfang künftiger Zinserhöhungen von der erwarteten Mischung aus Wachstum und Inflation abhängen“, so der Volkswirt.