Anlegerschutz Finfluencer: Wie die EU-Kleinanlegerstrategie ihr Wirken kontrollieren soll
Wenn es um Finanzthemen und Finanzprodukte geht, haben sie einen nicht unerheblichen Einfluss: „Finfluencer“. Ihre Wirkung machen sich zunehmend auch Produktanbieter zunutze. Mit der kürzlich von der EU-Kommission vorgestellten EU-Kleinanlegerstrategie kommen nun jedoch einige Veränderungen auf Finfluencer und Produktanbieter zu.
Was ist eigentlich ein „Finfluencer“? Kurz gesagt ist ein Finfluencer ein Influencer im Bereich des Finanzmarktes. Als Influencer lassen sich Menschen beschreiben, die über eine große Reichweite verfügen und mit ihrer Person und Authentizität Einfluss auf die Willens- und Meinungsbildung von Menschen nehmen können. Ein Beispiel für einen Finfluencer ist der deutsche Unternehmer, Investor und Autor Frank Thelen. Mit seinen Posts auf Linkedin, Tiktok, Instagram und Co. erreicht er hunderttausende Menschen. Dabei wirbt er offensiv unter anderem für seinen eigenen Fonds und die Aussicht auf hohe Gewinne.
Thelen nutzt seine Medienbekanntschaft mittels Selbstvermarktung somit, um Anleger, von denen viele nur wenig Kenntnis von der Materie haben dürften, zu einem Investment zu animieren. Thelens Gewinnprognosen haben sich bislang allerdings noch nicht bewahrheitet. Der Kurs liegt aktuell (Stand: 1. Juni 2023, seit Start am 1. September 2021) bei rund minus 40 Prozent. Finfluencer wie Frank Thelen tragen in der Konsequenz mit zum Teil undifferenzierten Gewinnversprechen immer wieder dazu bei, dass Kleinanleger sich vom Kapitalmarkt abwenden.
Derartigen Negativbeispielen will die EU mit der kürzlich veröffentlichten Kleinanlegerstrategie einen Riegel vorschieben, und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen soll die finanzielle Bildung des Bürgers gestärkt werden. Ein Kleinanleger sollte erkennen, dass Versprechungen der Art „mindestens dreifaches Wachstum in vier bis fünf Jahren“ unseriös und im Regelfall auch nicht realisierbar sind. Zum anderen sollen Unternehmen für die Aussagen der von ihnen genutzten „Finfluencer“ zukünftig haften müssen.
Die EU sieht es vor dem Hintergrund der gewünschten stärkeren Partizipation von Kleinanlegern am Kapitalmarkt und der Herausforderungen der Digitalisierung für zwingend erforderlich an, Anforderungen an die Marketingkommunikation und -praktiken zu definieren, die auch Inhalte Dritter, Gestaltung, Verkaufsförderung, Markenbildung, Kampagnen, Produktplatzierung und Belohnungssysteme umfassen können.
Im Vordergrund steht die Regelung, dass Marketing fair, klar und nicht irreführend sein darf, und zwar unabhängig davon, über welchen Kanal sie verbreitet wird und ob sie direkt von den Wertpapierfirmen oder indirekt, zum Beispiel über Finfluencer, erfolgt. Damit einhergehend wird verlangt, dass Risiken und Chancen ausgewogen dargestellt werden und vorhergehend geprüft wird, ob die vorgesehene Zielgruppe geeignet ist.
Bislang nicht regulierte Finfluencer rücken in den Fokus
Die EU hat das klare Ziel vor Augen, mit der Anwendung dieser Grundsätze den Anlegerschutz zu verbessern. De facto erstreckt sie diverse Regelungen, die bereits für das Marketing der Produkthersteller und der vertreibenden Wertpapierfirmen gelten, auch auf den Kreis der bislang im Grunde nicht regulierten Finfluencer.
Nach den vorgeschlagenen Regelungen muss über die bekannte Kennzeichnung als Werbung hinaus erkennbar sein, von welchen Wertpapierfirmen, Versicherungsunternehmen oder Versicherungsvermittlern die Werbung stammt. Wichtig ist, dass die wesentlichen Informationen über Produkte und Dienstleistungen an prominenter Stelle angegeben werden. Die Darstellung der wesentlichen Merkmale in den Marketingmitteilungen – wozu auch Veröffentlichungen in den sozialen Medien zählen – muss gewährleisten, dass Kleinanleger die wichtigsten Merkmale leicht verstehen können.
Zusätzlich zu den vorgeschlagenen Anforderungen an den Inhalt des Marketings selbst macht das neue EU-Paket die Wertpapierfirmen für jedes in ihrem Auftrag durchgeführte Marketing haftbar. Die Wertpapierfirmen werden für den Inhalt und die Einhaltung der Vorschriften in der Marketingkommunikation verantwortlich sein, unabhängig davon, ob diese von Influencern oder anderen Dritten nach außen getragen werden.
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Im Zweifel ist die Wertpapierfirma verantwortlich
Mit anderen Worten, wenn eine Wertpapierfirma einen Influencer bezahlt oder andere Anreize dafür bietet, dass dieser Werbeinhalte erstellt, dann ist die Wertpapierfirma auch dafür verantwortlich, dass dieser sich an die vorgenannten Regelungen hält. Eine Wertpapierfirma soll sich nicht durch die Zwischenschaltung von Influencern den für sie bestehenden Pflichten rund um das Marketing entziehen können. Übrigens erfolgt die Bezahlung nicht immer in Form von Geld. Nicht anders als im Kosmetikbereich erhalten Influencer auch Produkte oder partizipieren in anderer Form von ihren Werbemaßnahmen, zum Beispiel durch kostenlose Teilnahmen an Seminaren. Auch diese nicht-monetären Leistungen können haftungsrelevant sein.
Die EU beabsichtigt jedoch keine uferlose Ausweitung der Haftung von Wertpapierfirmen. Die von einem Finfluencer selbst initiierte Werbung für ein Finanzprodukt oder eine Firma führt daher nicht zu einer Haftung. Dies wäre im Übrigen im Sinne einer allgemeinen Kapitalmarktinformation auch nicht wünschenswert. Andererseits strebt die EU im Falle der beauftragten Werbung an, dass auch diese einen Freigabeprozess durchläuft, den Wertpapierfirmen für ihre direkt geschaltete Werbung ohnehin bereits etabliert haben.
In jedem Fall sollen mit der neuen Kleinanlegerstrategie die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen verschärft werden. Firmenintern sollen angemessene Kontrollmechanismen auch für extern beauftragte Werbung bis hin zur Führungsebene geschaffen werden, um die Einhaltung der Anforderungen zu gewährleisten.
Kommt eine Wertpapierfirma ihrer Verantwortung nicht nach und wertet die zuständige Behörde die Marketingkommunikation in diesem Fall als irreführend, kann die zuständige Behörde beispielsweise die Einstellung der Kommunikation verlangen oder eine Geldbuße gegen den Finanzintermediär verhängen, der den Finfluencer vergütet. Um entsprechende Vergütungen zu identifizieren, sind die deutschen Aufsichtsbehörden durchaus gerüstet, etwa durch vergleichbare Regelungen im Zuwendungsbereich nebst seit einiger Zeit durchgeführter „Mystery-Shopping“-Aktivitäten im Internet. Was letztlich in dem vorgegebenen Rahmen noch gestattet sein wird oder auch nicht, dürften weitere Auslegungsschreiben konkretisieren.
Finfluencer sollen bei Vermittlung von Finanzwissen unterstützen
Etwas anderes gilt in Bezug auf die Vermittlung von Finanzwissen. Hier will die EU sich den Einsatz von Influencern zunutze machen und sie zur Vermittlung von Finanzwissen quasi instrumentalisieren.
Dies kommt in der neuen Kleinanlegerstrategie dadurch zum Ausdruck, dass dieser Bereich ausdrücklich von den Marketing-Regelungen ausgeschlossen ist. So heißt es in einer der Erwägungsgründe: „Um sicherzustellen, dass die Anbieter von Anlageprodukten nicht davon abgehalten oder daran gehindert werden, Material zur Vermittlung von Finanzwissen zur Verfügung zu stellen und die Finanzkompetenz der Anleger zu fördern und zu verbessern, sollten solche Materialien und Tätigkeiten nicht als unter die Definition von Marketingkommunikation und Marketingpraktiken fallend angesehen werden.“
Ein Beispiel dafür sind etwa die Betreiber des deutschen Youtube- und Twitchkanals Finanzfluss. Finanzfluss beschreibt sich selbst als eine Bildungs- und Informationsplattform zum Thema Finanzen. Eine individuelle Anlageberatung bietet Finanzfluss auf keiner der Plattformen an. Laut dem Mitgründer Thomas Ansgar Kehl gehe es nicht darum, konkrete Produkte zu empfehlen, sondern um Aufklärung und Hilfe zur Selbsthilfe. Unentgeltlich werden wöchentlich die Wertpapierportfolios der Zuschauer kommentiert und bewertet. Finanziert wird der Kanal nach eigenen Aussagen durch Affiliate-Marketing-Provisionen, Werbe- und Sponsoring-Einnahmen und Verkaufserlöse des Finanzfluss-Campus.
Es bleibt abzuwarten, ob die EU es mit der neuen Kleinanlegerstrategie schafft, Finfluencern Einhalt zu gebieten und ihre ungezügelte Selbstvermarktung zu begrenzen. Wünschenswert wäre ganz sicher, dass die EU mit ihrem Ansatz, Kapitalmarktbildung auf jeder Ebene zu erhöhen, durchdringt. Hier besteht schon seit langer Zeit erheblicher Handlungsbedarf, um Kleinanleger für den steigenden Bedarf, privat für die Rente vorzusorgen, zu sensibilisieren.
Über die Autoren:
Jochen Kindermann ist Partner und Spezialist für Bank- und Kapitalmarktrecht bei der Kanzlei Simmons & Simmons.
Preni Giragosian arbeitet als Diplom-Juristin ebenfalls bei Simmons & Simmons.