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Chefökonom von Vanguard Europa Folgen des Brexit – das sind die Baustellen

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Der Brexit könnte in den kommenden Jahren zu einer Reihe von strukturellen Veränderungen in der Finanzlandschaft der EU führen. Die EU wird Märkte in Bereichen entwickeln müssen, in denen sie derzeit auf das Vereinigte Königreich angewiesen ist. Dazu zählen beispielsweise das Clearing von Derivaten und das Investment Banking. Da viele Investmentbanken die Eurozone bislang von London aus betreuen, könnte sich der Brexit maßgeblich auf den Zugang der EU zu den globalen Finanzmärkten auswirken. Die genauen Folgen sind jedoch schwer abzusehen und können sich je nach weiterem Verlauf noch ändern.

Denn das Vereinigte Königreich und die Europäische Union haben in puncto Finanzdienstleistungen eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der sie ihren „Willen, die Finanzstabilität, die Marktintegration und den Schutz von Anlegern und Verbrauchern zu wahren“, bekräftigen. Sie bekunden ihre Absicht, bis zum 31. März 2021 eine Vereinbarung über den Rahmen für eine Zusammenarbeit und Abstimmung in Regulierungsfragen vorzulegen. Allerdings werden derartige weitergehende Vereinbarungen nicht Bestandteil des Handelsabkommens sein. Aktuell stehen hier Entscheidungen des britischen Finanz- und Wirtschaftsministeriums und der europäischen Finanzaufsicht European Securities and Markets Authority (Esma) aus. Dabei hofft das Vereinigte Königreich, dass die EU in naher Zukunft über die Gleichwertigkeit von Finanzdienstleistungen entscheidet. Bevor das geschehen kann, braucht die EU indessen weitere Klarstellungen über die Unterschiede zwischen britischen und EU-Regelungen. Daher ist kaum vor Ende 2021 oder 2022 mit einer Entscheidung zu rechnen.

Brexit-Folgen sind eingepreist

Ungeachtet der negativen Auswirkungen, die der Brexit trotz des Handelsabkommens und diverser Unsicherheiten für beide Wirtschaftsräume mit sich bringt, werden einzelne Anlageklassen im Euroraum derzeit attraktiv bewertet. Insbesondere erscheinen Aktien des Euroraums sowohl im Vergleich zu anderen entwickelten Aktienmärkten als auch zu den USA und den Aktienmärkten der Schwellenländer vielversprechend (siehe Abbildung).

Europäische Aktien erscheinen trotz Brexit günstig bewertet

Bewertung auf Basis des Shiller-KGV (Cyclically Adjusted Price-Earnings Ratio, kurz CAPE). Maßstäbe für Aktien aus entwickelten Märkten sind das aktuelle CAPE-Perzentil relativ zum Fair-Value-CAPE für den lokalen MSCI-Index. Das aggregierte Bewertungsmaß der entwickelten Märkte ist der gewichtete Durchschnitt der Bewertungsperzentile der einzelnen Regionen (USA, Australien, Großbritannien, Eurozone, Japan und Kanada). Die Bewertungsmaßstäbe für Schwellenländer und China sind zusammengesetzte Maße der relativen Bewertung zu den USA und dem aktuellen CAPE-Perzentil der USA im Verhältnis zu ihrem Fair Value CAPE. Geschätzt über den Zeitraum ab Januar 1940 für die USA, Januar 1970 für Australien und Großbritannien, Januar 1980 für andere entwickelte Märkte und Januar 1990 für Schwellenländer und China, bis September 2020. Quelle: Vanguard; Stand: 30. September 2020.

Insgesamt sind die Erwartungen zu den Auswirkungen des Brexit auf die Fundamentaldaten wie auch auf künftige Unternehmensgewinne weitgehend eingepreist. Die Frage für Anleger ist aber gar nicht, ob der Brexit die Finanzmärkte weiter beeinflussen wird. Um davon zu profitieren, müssten sie die Lage schließlich treffender einschätzen als alle anderen. Das ist eine sehr hohe Messlatte und spricht dafür, dass Anleger weiterhin auf ein ausgewogenes Portfolio über Anlageklassen und Regionen hinweg setzen sollten, das auf einer langfristigen Anlagestrategie fußt.


Über den Autor:
Peter Westaway ist Chefökonom bei Vanguard Europa. In der Vergangenheit war Westaway auch für Nomura und als Senior Research Adviser für die Bank of England tätig gewesen.

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