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„Frankreich muss endlich aufwachen“

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Glauben Sie denn, dass es der Regierung Hollande langfristig gelingt, Frankreich mit diesen Sparmaßnahmen wieder auf Kurs zu bringen?

Renaud: Sparmaßnahmen sind immer unpopulär, keine Frage. Vor allem aber stehen sie nicht im Einklang mit den Überzeugungen der Sozialisten, was es für die Regierung Hollande noch einmal schwerer macht.

Ich glaube aber, dass unsere Wirtschaftspolitiker den Ernst der Lage mittlerweile verstanden haben, auch wenn die Reformen im Schneckentempo vorangehen. Sie sind vergleichbar mit der Agenda 2010, die die damalige Regierung Schröder in Deutschland vor zehn Jahren beschlossen hat. Auch dort stießen viele Reformen nicht auf Gegenliebe.

In Frankreich ist die Situation aber doppelt herausfordernd, weil die Franzosen nicht an die freie Marktwirtschaft glauben. Im Gegenteil: Sie schieben einen Großteil der Verantwortung auf den Staat ab, in manchen Bereichen herrscht eine regelrechte „Der- Staat-wird’s-schon-richten“-Mentalität.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Renaud: Die jüngste Diskussion über die Länge der Sommerferien: Bildungsminister Vincent Peillon hat Ende Februar angeregt, die neunwöchigen Sommerferien auf sechs Wochen zu verkürzen, damit nicht das ganze Land im Juli und August stillsteht. Die Empörung war groß – über alle Partei- und Interessensgrenzen hinweg.

Viele Bürger erwarten soziale Wohltaten statt ökonomischer Reformen. Ein Zusammenhang zwischen den Staatsschulden und ihrer persönlichen Situation wird schlicht ignoriert. Sie sind nicht bereit, Abstriche zu machen.

Frankreich spielt neben Deutschland eine tragende Rolle in Europa. Wie wirkt sich die aktuelle Situation in Frankreich auf die deutschfranzösischen Beziehungen aus?

Renaud: Die beiden Länder geben den Kurs der Europäischen Union in gewisser Weise vor und sind aufeinander angewiesen. Frankreich kann nicht ohne Deutschland, Deutschland nicht ohne Frankreich.

Allerdings haben sie sich in den vergangenen Jahren immer mehr zu einem ungleichen Paar entwickelt. Während Angela Merkel vorprescht und wichtige Reformen anpackt – auch auf die Gefahr hin, sich in anderen Ländern unbeliebt zu machen – wartet Frankreich in vielen Belangen ab.

Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass die deutsch-französischen Beziehungen etwas abgekühlt sind. Zumindest scheint das Verhältnis zwischen Kanzlerin Merkel und Präsident Hollande distanzierter zu sein als zwischen ihr und Nicolas Sarkozy.

Was sollte Präsident Hollande also tun?

Renaud: Frankreich darf sich nicht darauf verlassen, dass Deutschland alles richtet und Europas Probleme löst. Diese Erkenntnis muss sich dringend durchsetzen. Wenn Frankreich als zweitgrößte europäische Volkswirtschaft seine wirtschafts- und sozialpolitischen Probleme nicht in den Griff bekommt, könnte das Pulverfass über kurz oder lang explodieren.

Die Finanzmärkte beobachteten diese Entwicklung mit zunehmender Sorge. Es ist unklar, wie lange Frankreich sich noch zu so niedrigen Zinssätzen wie heute refinanzieren kann. Wenn das Land keine Reformen auf den Weg bringt, könnten die Renditen für Frankreich- Bonds irgendwann explodieren.

Insgesamt ein ziemlich düsteres Bild der französischen Wirtschaft ...

Renaud: Ja, es müssen jetzt viele Dinge auf den Weg gebracht werden. Frankreich muss endlich aufwachen. Weitermachen wie bisher geht nicht.

Aber ich sehe kein durchweg düsteres Szenario. Frankreich ist nicht Spanien oder Griechenland. Momentan bahnt sich eine Erholung der Weltwirtschaft an. Wenn sich die Fundamentaldaten für die USA und China verbessern, wird sich das auf Europa auswirken – und damit auch auf Frankreich.  


Über den Interviewten: Marc Renaud hat Mandarine Gestion im Februar 2008 gegründet. Der Franzose ist seit über 25 Jahren im Fondsgeschäft tätig. Er ist bekennender Value-Fan und Contrarian-Investor. Diese Philosophie ist über zwei Jahrzehnte unverändert und erfolgreich geblieben. Gemeinsam mit Yohan Salleron managt er den Mandarine Valeur (WKN: A0RF7M). Derzeit setzt er verstärkt auf Titel aus den Branchen Industrie, Bau und Finanzwesen.  

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