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Main Street vs. Wall Street Gamestop und die Folgen

Robinhood-Trader vor der US-Börse
Robinhood-Trader vor der US-Börse: Der Erfolg der aufständischen Kleinanleger beruht auf den Dynamiken in sozialen Medien, deren Praktiken die Politik ähnlich kritisch beäugt. | Foto: IMAGO / ZUMA Wire
Carsten Roemheld, Fidelity-Kapitalmarktstratege

Nachdem die Kurse der Gamestop-Aktie zeitweise spektakulär anstiegen, fürchten etablierte Investoren nun den Zorn der Robin-Hood-Trader. Doch auch wenn weitere Attacken möglich sind, sollte niemand die Macht der Aufständischen überschätzen. Das Finanzsystem bringen sie bestimmt nicht in Gefahr.

Robin Hood, Rächer der Enterbten, Beschützer der Witwen und Waisen. Rund 700 Jahre, nachdem der berühmte Held aus dem Sherwood Forest bei Nottingham mit seiner Bande die Reichen überfiel und die Beute den Armen übergab, streifen nun die selbsternannten Nachfolger durchs Dickicht des Internets. Selbsternannte Mission des gleichnamigen US-Brokers, der Kleinanlegern den gebührenfreien Handel mit Aktien ermöglicht: Man will den Börsenhandel demokratisieren. Robin Hood ist damit zur wichtigsten Anlaufstelle junger US-Trader geworden, die sich neuerdings in Internetforen verabreden, um gezielt Aktien kleinerer Unternehmen zu kaufen, die Hedgefonds zu gegenteiligen Spekulationen nutzen.

Im Januar gelang ihnen ein spektakulärer Erfolg. Die Aktie des darbenden Videospiele-Verkäufers Gamestop legte zwischenzeitlich unglaubliche 1.700 Prozent zu. Das hat der Szene offenbar Mut gemacht: Inzwischen beobachten Händler bei anderen Aktien ähnliche Muster, in den USA etwa bei AMC und Blackberry, in Europa bei Nokia oder Varta. Weil Hedgefonds dort in besonders großem Umfang auf fallende Kurse gesetzt hatten, bescheren die Robin-Hoodler ihnen nun empfindliche Verluste. Gerade bei Nebenwerten mit knappem Angebot vermasseln die Kleinanlegern den Leerverkäufern so das Geschäft. Wegen der besonderen Konstellation geht es um viele Milliarden US-Dollar.

Aktienmärkte nähern sich exzessiver Phase

Der auf Shortselling spezialisierte Hedgefonds Melvin Capital etwa hat Medienberichten zufolge im Januar über die Hälfte seines Vermögens verloren. Andere Investoren verhinderten den drohenden Zusammenbruch mit einer Kapitalspritze von 2,75 Milliarden US-Dollar. Auch Citron Research musste viele Positionen mit hohem Verlust schließen. Leerverkäufer in Asien und Europa haben zwischenzeitlich ihre Aktivitäten zurückgefahren. Mancherorts wurden gar Vergleiche mit dem Jahr 1998 angestellt. Damals stand das globale Finanzsystem vor dem Kollaps, nachdem sich der 1,25 Billionen US-Dollar schwere Hedgefonds Long-Term Capital Management (LTCM) spektakulär verzockt hatte.

Doch der Vergleich ist unangemessen – und die Sorge unbegründet. Erstens hat das Finanzsystem schon weitaus kritischere Situationen gemeistert als die Zockerei mit Nebenwerten.  Zweitens ist die Hedgefonds-Industrie viel breiter aufgestellt, so systemrelevant wie LTCM sind die einzelnen Anbieter nicht mehr. Drittens stützt sich die Branche gerade offensichtlich gegenseitig. Einerseits mit Kapital, andererseits, indem sie versucht, die Kleinanleger-Foren in ihrem Sinne zu beeinflussen, um die Bewegung zu stören. Selbst wenn all das nicht fruchten sollte, wäre zudem die US-Notenbank Fed heute besser denn je in der Lage, finanziell auszuhelfen, bevor ein Zusammenbruch droht.

Kommt jetzt der dezentrale Handel?

Allerdings wirft die Causa Gamestop schon ein paar Fragen auf. So ist etwa unklar, ob eigentlich die finanziellen Reserven der Broker ausreichen, wenn Anleger ihre Positionen mal nicht mehr ausgleichen können – und was passiert, wenn das nicht mehr der Fall ist. So mussten Robinhood und andere Trading-Plattformen den Handel mit Gamestop und Co. zwischenzeitlich aussetzen, weil sie nicht ausreichend Kapital als Sicherheit hinterlegt hatten, um den Handel zwischen Käufern und Verkäufern abzuwickeln. Ein dezentralisierter Handel mit Hilfe neuer Technologien wie Blockchain und Tokenisierung könnte hier längerfristig interessant werden.

Wall Street vs. Main Street

Auch die Diskussion um eine schärfere Regulierung der Finanzmärkte ist neu entfacht. Der Regulierer steckt nämlich in der moralischen Zwickmühle. Prominente Vertreter der US-amerikanischen Demokraten wie Bernie Sanders fordern schon länger, die Praktiken vermeintlich destruktiver Hedgefonds unter die Lupe zu nehmen. Auf der anderen Seite fußt der Erfolg der aufständischen Kleinanleger auch auf den Dynamiken in sozialen Medien, deren Praktiken die Politik ähnlich kritisch beäugt.

Die Börsenaufsicht muss nun entscheiden, welches Narrativ sie bei der Verkündung möglicher Konsequenzen setzen will. Geht es ihr darum, die Wall Street gegenüber der Main Street zu verteidigen? Oder will sie künftige Kurskapriolen vermeiden, die daraus entstehen, dass eine Internet-Community ihre Herdenmacht missbraucht? Für eine verlässliche Preisfindung an Märkten ist vermutlich beides geboten.

Korrektur statt Kollaps

Das aktuelle Geschehen aber ist weniger ein Indiz für die Verletzlichkeit des Finanzsystems als ein Indiz dafür, dass sich die Aktienmärkte zusehends einer exzessiven Phase nähern. Denn die selbsternannten Rächer waren und sind ja vor allem deshalb so erfolgreich, weil gerade so viele Menschen nach den hohen Kursgewinnen der Vergangenheit neue Risikopositionen aufbauen und weiterhin enorm viel Liquidität die Märkte flutet. Eine ausgeprägte Korrektur ist daher weitaus wahrscheinlicher als ein Kollaps des Finanzsystems.

Im Text genannte Unternehmen dienen nur der Illustration und sind nicht als Kaufs- oder Verkaufsempfehlung zu verstehen.

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