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EU-Taxonomie Gas- und Atomkraft nachhaltig? „Ein Schlag ins Gesicht“

Aktualisiert am in Nachhaltigkeit, ESG & SRILesedauer: 5 Minuten
Windräder und das Kernkraftwerk Brunsbüttel in Schleswig-Holstein
Windräder und das Kernkraftwerk Brunsbüttel in Schleswig-Holstein: Die EU plant, Kernenergie als nachhaltig zu klassifizieren. Investmentexperten finden deutliche Worte | Foto: Imago Images / imagebroker

Es sei „unmöglich“, ein „Supergau“ und „politisch gesteuertes Greenwashing“: Gunter Schäfer findet deutliche Worte. Der Grund für den Unmut des Sprechers von der ethisch-ökologischen Kapitalverwaltungsgesellschaft Ökoworld: Die Pläne der EU, Gas- und Atomkraft gemäß Taxonomie als nachhaltig zu klassifizieren. Zwar ist noch nichts in trockenen Tüchern. Kaum ein Experte rechnet jedoch ernsthaft damit, dass das Vorhaben zu stoppen ist.

Für Schäfer ist das ein Unding, „eine Rolle rückwärts“ und verstärke die Beliebigkeit beim Begriff Nachhaltigkeit. Daher sei die Taxonomie Wohl und Wehe zugleich: „Zwar hat sie das Thema in den Fokus gerückt. Wenn dann aber Atomkraft dabei ist…“ Man kann sich denken, wie der Satz endet.

Aus seiner Sicht gehe es bei der Entscheidung darum, der Atomkraft Zugang zum grünen Kapitalmarkt und damit günstigeren Finanzierungsbedingungen zu geben. Das sei ein „Schlag ins Gesicht“, sagt Schäfer und erinnert an die Atomkatastrophen 1986 in Tschernobyl und 2011 in Fukushima sowie die nach wie vor ungelöste Endlagerproblematik. Für Anleger mit Fokus auf Nachhaltigkeit sei es daher noch wichtiger, sich intensiv mit den Investmentangeboten zu beschäftigen und diese auf Transparenz, nachvollziehbare Kriterien und Glaubwürdigkeit zu prüfen.

An den Anlagerichtlinien von Ökoworld ändere sich durch die EU-Pläne indes nichts: Man bleibe bei Nulltoleranz gegenüber Atomkraft, versichert Schäfer mit Verweis auf die Historie des von Sozialarbeiter Alfred Platow und Mathematiker Klaus Odenthal gegründeten Unternehmens, dessen Ursprünge als nachhaltig orientierter Vermögensverwalter bis 1975 zurückreichen. In eine Zeit also, „als Nachhaltigkeit nur in der Forstwirtschaft ein Begriff war. Unsere beiden Gründer waren der Zeit als Vordenker voraus“, wie Schäfer sagt.

Atomkraft nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich fragwürdig

Beim nachhaltigen Vermögensverwalter ESG Portfolio Management wird eine Änderung der EU-Taxonomie ebenfalls keinen Einfluss auf die Anlagestrategie haben: „Wir halten an unseren Ausschlusskriterien fest“, betont Geschäftsführer Christoph Klein. Das heißt: Unternehmen, die für die Fonds infrage kommen möchten, dürften maximal 5 Prozent ihres Umsatzes im Gasgeschäft machen. Atomkraft wird vollständig ausgeschlossen.

Einverstanden mit den EU-Plänen ist Klein daher nicht, sondern  „überaus unglücklich“ und „enttäuscht“. Er verweist ebenfalls auf die mit Kernkraft verbundenen Gefahren, aber auch auf wirtschaftliche Aspekte: „Der Bau und Erhalt von Atomkraftwerken ist sehr kostenintensiv. Vielerorts sind erneuerbare Energien heute schon günstiger.“ Darüber hinaus verliere die EU-Taxonomie ihre internationale Vorbildrolle. Für umso wichtiger hält Klein Transparenz seitens der Finanzbranche und rät Anlegern, bei ihren Investments genau hinzuschauen.   

Christoph Klein betont, nicht gegen neue Technologien und Forschung zu sein. Das Gas als Übergangslösung genutzt werde, könne er sogar ein Stück weit nachvollziehen. Immerhin sei die Umweltbilanz besser als bei Kohle und Öl und die Infrastruktur könne später für Wasserstoff genutzt werden. Aber: „Ich hätte auf europäischer Ebene mehr Engagement für erneuerbare Energien erwartet.“

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Deka sieht Pläne „sehr kritisch“

Die Pläne, Gas- und Atomkraft als nachhaltig zu klassifizieren, sieht auch Ingo Speich „sehr kritisch“. Der Leiter Corporate Governance und Nachhaltigkeit bei der Deka sagt: „Die Produktion von Atomstrom ist aus Kapitalmarktsicht mit großen Risiken verbunden. Zum Beispiel könnten künftige Regierungen hohe Rückstellungen von Atomstromproduzenten wegen der ungeklärten Endlagerfrage verlangen. Anleger haben mit Atomwerten schon heute ein hohes regulatorisches Risiko im Portfolio.“ Außerdem widerspreche der EU-Vorstoß einem der UN-Grundsätze der Nachhaltigkeit, wonach künftige Generationen durch unser heutiges Handeln nicht belastet werden dürfen. „Dieses Nachhaltigkeitsversprechen wird mit der Endlagerproblematik gebrochen“, sagt Speich. Zudem handele es sich auch bei Atomstrom um eine endliche Ressource.

Gasunternehmen schließt die Deka in ihren Nachhaltigkeitsfonds laut Speich nicht grundsätzlich aus. „Wir schauen uns aber kritisch die Höhe des CO2-Ausstoßes an, so dass hier ebenfalls viele Unternehmen für uns nicht investierbar sind.“ Investitionen in problematische Branchen oder Tätigkeitsfelder sind weiterhin grundsätzlich ausgeschlossen. Dazu gehöre zum Beispiel neben Rüstung und Tabak auch Atomenergie. „Diese Ausschlusskriterien werden wir auch nicht aufweichen. Der Ausschluss erfolgt aus Praktikabilitätsgründen ab einem Umsatzanteil von mehr als fünf Prozent.“

Bedeutung der EU-Taxonomie aktuell begrenzt

Die Bedeutung der EU-Taxonomie ist in den Augen Speichs ohnehin begrenzt: „Aktuell ist die Taxonomie mit der Konzentration auf die Felder Klimawandel und Klimaschutz viel zu eng, um am breiten Kapitalmarkt Beachtung zu finden.“ Für Portfoliomanager habe die Taxonomie deshalb bislang so gut wie keine Relevanz. Würden sie sich danach richten, wäre das in Frage kommende Anlageuniversum viel zu klein. Speich ist aber optimistisch, dass sich das ändern wird, wenn sie in den kommenden Jahren breiter gefasst wird. Denn: „Nachhaltigkeit ist weit mehr als die EU-Taxonomie und umfasst auch weitere ökologische und soziale Aspekte sowie eine gute Unternehmensführung.“

Co-CEO & Gründer des britischen ETF-Anbieters HANetf, sieht die Sache differenziert, nennt die jüngste Ankündigung der EU-Kommission, Erdgas und Atomkraft als grüne Energie zu klassifizieren, „sehr umstritten“. Einerseits setze sich Frankreich dafür ein, Kernkraft als saubere Energie einzustufen. Deutschland hingegen, das seine Kernkraftwerke gerade stilllegt, sei gegen diese Einbeziehung. Stattdessen dränge man darauf, Erdgas als notwendigen Bestandteil der Energiewende mit einem grünen Label zu versehen.

„Die subjektive Ansicht dessen, was für die Aufnahme in einen nachhaltigen oder ESG-Fonds in Frage kommt und was nicht, führt zu endlosen Debatten, die über Umweltbelange hinausgehen. Es gibt keine allgemeingültige Definition“, stellt McNeil fest. „So wie die Länder uneins sind, sind es auch die Fondsmanager und Anleger.“

Auch der HANetf-Chef sagt: „Es gilt, die Anlagestrategie der Fonds genau zu verstehen, in die sie investieren. So können sie feststellen, ob ihr Fonds mit ihrer eigenen Vorstellung bezüglich nachhaltiger Unternehmen vereinbar ist.“

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