Volkswirt Johannes Mayr
Europa muss weiter zusammenwachsen
Aktualisiert am
Johannes Mayr ist Chefvolkswirt bei Eyb & Wallwitz. Foto: Eyb & Wallwitz
Inzwischen ist klar: Große Notenbanken wollen die Inflation mit strafferen Finanzierungskonditionen bekämpfen. Johannes Mayr von der Investmentgesellschaft Eyb & Wallwitz erklärt, welche Folgen die Strategie für die Wirtschaft hat.
Nach langem Zögern stellen sich die großen Notenbanken entschlossen der hohen Inflation entgegen. Eine Straffung der Finanzierungskonditionen soll die Nachfrage dämpfen und in Einklang mit dem begrenzten Angebot bringen und so den Preisdruck lindern. Für die Fed wird eine Frage intensiv diskutiert: Gelingt ihr ein „soft landing“ der Konjunktur? Oder stehen wir vor einer US-Rezession? Letztere wäre für Investoren schmerzhaft, in ihren Folgen aber wohl begrenzt.
Anders die Gefahrenlage in Europa: Denn die EZB steht bei der Bekämpfung der Inflation vor einer besonderen Herausforderung. Die mangelnde wirtschaftliche Stabilität einiger Euro-Staaten birgt das Risiko, dass bereits eine moderate Straffung der Geldpolitik die Währungsunion wieder in schwere Turbulenzen stößt. Ein erstes Warnsignal war der deutliche Anstieg der Risikoprämien Italiens Mitte Juni, der die EZB bereits zu einem verbalen Eingreifen gezwungen hat. Der Markt wird aber wohl mehr fordern, um Zerfallsrisiken im Zuge der Zinswende nicht wieder einzupreisen. Europa wird weiter zusammenwachsen (müssen). Auch da der Marktdruck diesmal deutlich schwieriger zu begrenzen ist.
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Nach langem Zögern stellen sich die großen Notenbanken entschlossen der hohen Inflation entgegen. Eine Straffung der Finanzierungskonditionen soll die Nachfrage dämpfen und in Einklang mit dem begrenzten Angebot bringen und so den Preisdruck lindern. Für die Fed wird eine Frage intensiv diskutiert: Gelingt ihr ein „soft landing“ der Konjunktur? Oder stehen wir vor einer US-Rezession? Letztere wäre für Investoren schmerzhaft, in ihren Folgen aber wohl begrenzt.
Anders die Gefahrenlage in Europa: Denn die EZB steht bei der Bekämpfung der Inflation vor einer besonderen Herausforderung. Die mangelnde wirtschaftliche Stabilität einiger Euro-Staaten birgt das Risiko, dass bereits eine moderate Straffung der Geldpolitik die Währungsunion wieder in schwere Turbulenzen stößt. Ein erstes Warnsignal war der deutliche Anstieg der Risikoprämien Italiens Mitte Juni, der die EZB bereits zu einem verbalen Eingreifen gezwungen hat. Der Markt wird aber wohl mehr fordern, um Zerfallsrisiken im Zuge der Zinswende nicht wieder einzupreisen. Europa wird weiter zusammenwachsen (müssen). Auch da der Marktdruck diesmal deutlich schwieriger zu begrenzen ist.
Draghi’s „Whatever it takes“ – und warum die Lage heute deutlich schwieriger ist
Optimisten argumentieren, die EZB habe Erfahrungen mit der Rettung der Währungsunion. Und blicken dabei auf die Euro-Krise ab 2010. Damals drohten einige Mitgliedsstaaten den Marktzugang zu bezahlbaren Konditionen zu verlieren, die Rendite für zehnjährige italienische Staatsanleihen etwa schoss bis auf über 7 Prozent in die Höhe. Eine Staatspleite oder ein Ausstieg aus dem Euro-Raum waren diskutierte Szenarien. Nachdem es der europäischen Politik trotz umfangreicher Rettungsschirme nicht gelang, die akuten Zweifel der Investoren am Fortbestand der Währungsunion auszuräumen, gelang dies EZB-Präsident Mario Draghi mit seinem „Whatever it takes“ Versprechen im Juli 2012.
Im Nachgang unterlegte die EZB diese verbale Intervention mit einem Programm zum Ankauf von Staatsanleihen betroffener Länder (OMT-Programm), welches tatsächlich nie aktiviert werden musste. Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit und den Erfolg von Draghi’s Versprechen war, dass die EZB – anders als es der Fiskalpolitik möglich war – implizit ein unbegrenztes Interventionsvolumen zusagte. Dafür waren zwei Punkte zentral.
Dem juristischen Verbot einer monetären Staatsfinanzierung begegnete die EZB dadurch, dass die Unterstützung mit der Auflage eines strengen Reformprogramms für das betroffene Land verbunden wurde, kontrolliert durch die EU-Politik. Die Maßnahmen wurden so als Teil der fiskalischen Hilfen klassifiziert. Und ein Konflikt mit der Geldpolitik war deshalb kein Problem, da die EZB in dieser Zeit ohnehin bereits wieder im Lockerungsmodus war, weshalb ein Ankauf von Wertpapieren dem Kurs mit Blick auf das Inflationsziel nicht entgegengestanden hätte.
Heute ist die Ausgangslage in beiden Punkten deutlich schwieriger. Zum einen scheint die Auflage eines von der EU vorgegebenen Konsolidierungskurses für die betroffenen Länder politisch wenig realistisch. Die teils sehr negativen wirtschaftlichen Erfahrungen ab 2012 stecken den Ländern noch in den Knochen. Und die Parlamentswahl in Italien im Frühjahr 2023 begrenzt etwaige Gedankenspiele zusätzlich. Zudem dominieren mit Blick auf die Staatsfinanzen die akuten überregionalen Herausforderungen, u.a. die Bekämpfung der Covid-Folgen, die Finanzierung der Energiewende und die Pufferung von Kaufkraftverlusten der Haushalte durch die Energiepreisanstiege.
Zum anderen steht die EZB ökonomisch vor einem echten Zielkonflikt. Denn ein neues Unterstützungsinstrument steht dem begonnenen geldpolitischen Straffungskurs diametral entgegen. Um die Inflationsdynamik zu brechen zielt die EZB ja gerade auf eine Reduktion von Liquidität und Geldmenge. Um diesen Widerspruch zu lösen, muss sie in die Trickkiste greifen. Und alle Optionen haben dabei stets erhebliche Verteilungswirkung und dürften deshalb Widerstand in den bonitätsstarken Euro-Ländern hervorrufen, insbesondere in Deutschland.
Spread-Begrenzung, aber ohne offizielle Trigger-Punkte
Offizielles Ziel eines neuen Programms ist – wie 2012 – die „Sicherung des Transmissionsmechanismus“. Eine Veränderung der Geldpolitik soll also die Finanzierungskosten in allen Ländern gleichgerichtet beeinflussen. Aufgrund ihrer Ankerfunktion sollen dafür die Renditedifferenzen der Staatsanleihekurven begrenzt werden. Gleichzeitig sollen fundamentale länderspezifische Faktoren und Risiken in der Preisbildung nicht ausgeschaltet werden. Hier liegt aber das Problem. Denn die Fundamentaldaten in den Euro-Ländern sind nach wie vor so unterschiedlich, dass eine rein marktbasierte Bepreisung bei knapp werdender Liquidität zu großen Renditedivergenz führen und die Solvenz der Staatsfinanzen kurzfristig in Frage stellen könnte.
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