Berenberg-Volkswirt Jörn Quitzau
Geldpolitik in der Zwickmühle
Jörn Quitzau, Volkswirt bei der Berenberg Bank und Leiter des Bereichs Wirtschaftstrends. Foto: Berenberg
Die Europäische Zentralbank (EZB) kämpft mit allen Mitteln für eine Inflation knapp unter 2 Prozent. Da die Inflation aber hartnäckig deutlich unter diesem Zielwert bleibt, stellt sich die Frage, ob das Ziel oder die von der EZB eingesetzten Mitteln geändert werden sollten.
Ist das EZB-Inflationsziel zu hoch? Aus den genannten Gründen ist weitgehend unstrittig, dass Zentralbanken ein positives Inflationsziel haben müssen. Gleichwohl ist damit noch nicht gesagt, wie hoch genau das Inflationsziel liegen sollte. Das EZB-Ziel von „unter, aber nahe zwei Prozent“ ist nur eine von mehreren Möglichkeiten. Die Inflationsrate in der Eurozone, aber auch in anderen Ländern, verharrt trotz äußerst expansiver Geldpolitik hartnäckig auf niedrigem Niveau. Möglicherweise gibt es also strukturelle Gründe, die höhere Inflationsraten verhindern und die sich dem Zugriff der Zentralbanken weitgehend entziehen. Seit langem gelten die Globalisierung und damit die Integration von Niedriglohnländern...
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Ist das EZB-Inflationsziel zu hoch?
Aus den genannten Gründen ist weitgehend unstrittig, dass Zentralbanken ein positives Inflationsziel haben müssen. Gleichwohl ist damit noch nicht gesagt, wie hoch genau das Inflationsziel liegen sollte. Das EZB-Ziel von „unter, aber nahe zwei Prozent“ ist nur eine von mehreren Möglichkeiten. Die Inflationsrate in der Eurozone, aber auch in anderen Ländern, verharrt trotz äußerst expansiver Geldpolitik hartnäckig auf niedrigem Niveau. Möglicherweise gibt es also strukturelle Gründe, die höhere Inflationsraten verhindern und die sich dem Zugriff der Zentralbanken weitgehend entziehen. Seit langem gelten die Globalisierung und damit die Integration von Niedriglohnländern in die Produktion als preissenkender Faktor.
Zudem begrenzt die gesunkene Verhandlungsmacht der Gewerkschaften auch bei guter Konjunktur die lohninduzierte Inflationsgefahr.
Zwei weitere Faktoren sind nennenswert: Die Digitalisierung und die Demographie. Die Digitalisierung hat die Wettbewerbsintensität in der Wirtschaft erhöht und übt damit Druck auf die Preise aus. Zudem kann die Sorge von Arbeitnehmern, bei zu hohen Lohnforderungen durch Roboter oder Computer ersetzt zu werden, zu moderateren Lohnansprüchen führen. Lohn-Preis-Spiralen, wie sie aus früheren Zeiten bekannt sind, werden dadurch gegebenenfalls im Keim erstickt.
Insbesondere die Demographie hat einen hohen Erklärungswert: In alternden Gesellschaften ist die Konsumfreude gedämpft, weil das Bedürfnis nach Vorsorgesparen hoch ist. Wer seinen Lebensstandard im Ruhestand halten möchte, ist auf private Vorsorge angewiesen. Der Versuch der Zentralbanken, Sparen weniger attraktiv zu machen und den Konsum mit niedrigen Zinsen anzukurbeln, kann also ins Leere laufen. Denn oft ist es in einer alternden Gesellschaft ja eine bewusste Entscheidung, heute weniger zu konsumieren, um einen Kapitalstock für den Ruhestand aufzubauen. Niedrige oder Nullzinsen können dann sogar kontraproduktiv sein, weil aufgrund des ausbleibenden Zinseszinseffekts noch mehr gespart werden muss, um auf die angestrebte Sparsumme für den Ruhestand zu kommen.
Für den Sparer bieten sich Investitionen in Sachwerte wie zum Beispiel Immobilien an, um für das Alter vorzusorgen. Wenn also eine expansive Geldpolitik aus den genannten demographischen Gründen nicht zu mehr Konsum, sondern zu mehr Sachwert-Investments führt, steigen eben nicht die Verbraucherpreise wie von der Zentralbank gewünscht, sondern die Vermögenspreise (Immobilien, Aktien) – genau das war in den letzten Jahren in Deutschland und in Europa zu beobachten.
Wenn nun strukturelle Gründe dafür sorgen, dass die Inflationsrate im Kern eher bei 1,0 bis 1,5 Prozent liegt und die EZB mit ihrem Instrumentarium kaum Aussichten hat, ihren Zielwert von knapp zwei Prozent zu erreichen, wäre es dann nicht sinnvoll, das Inflationsziel entsprechend zu senken? Auch damit würden die oben genannten Kriterien erfüllt, mit denen ein Abgleiten in die Deflation verhindert werden sollen. Als Vorteil käme hinzu: Für die EZB entfiele der Druck, mit allen Mitteln für höhere Inflationsraten kämpfen zu müssen. Allerdings würde sich die Zentralbank damit ein Glaubwürdigkeitsproblem einhandeln.
Der erste EZB-Präsident Wim Duisenberg sagte einst, man ändere die Spielregeln nicht in der Mitte des Spieles.4 Selbst wenn die EZB zu der Einschätzung käme, ein niedrigeres Inflationsziel von beispielsweise 1,5 Prozent sei künftig sinnvoll, wäre es der Öffentlichkeit nicht glaubwürdig zu vermitteln, nachdem die EZB jahrelang mit mäßigem Erfolg versucht hat, die Inflationsrate wieder Richtung zwei Prozent zu treiben. Der Verdacht des Scheiterns und der willkürlichen Zielanpassung wäre nicht zu vermeiden.
Strategiewechsel der EZB? Inflationssteuerung versus Preisniveausteuerung
Der finnische Notenbank-Präsident Olli Rehn, der auch als potentieller Nachfolger von EZB-Präsident Mario Draghi gehandelt wird, hat kürzlich eine andere geldpolitische Strategie für die EZB ins Spiel gebracht, um die Inflationserwartungen der Verbraucher und Marktakteure nach oben zu bewegen. Bei höheren Inflationserwartungen könnten die Verbraucher aus Sorge vor einem bevorstehenden Preisanstieg ihren Konsum vorziehen. Damit könnte es zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung kommen: Wegen höherer Inflationserwartungen steigen die Konsumausgaben, wodurch wiederum die Preise steigen.
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