Berenberg-Volkswirt Jörn Quitzau
Geldpolitik in der Zwickmühle
Jörn Quitzau, Volkswirt bei der Berenberg Bank und Leiter des Bereichs Wirtschaftstrends. Foto: Berenberg
Die Europäische Zentralbank (EZB) kämpft mit allen Mitteln für eine Inflation knapp unter 2 Prozent. Da die Inflation aber hartnäckig deutlich unter diesem Zielwert bleibt, stellt sich die Frage, ob das Ziel oder die von der EZB eingesetzten Mitteln geändert werden sollten.
Tatsächlich haben sich die Inflationserwartungen bei rund eineinhalb Prozent eingependelt. Im Durchschnitt (Median) erwarten die von Bloomberg befragten Analysten für die Eurozone Inflationsraten von 1,4 Prozent (2019), 1,5 Prozent (2020) und 1,7 Prozent (2021). Darüber hinaus liegen die längerfristigen Markterwartungen sogar noch niedriger.
Die EZB könnte nun einfach ihr Inflationsziel anheben – zum Beispiel auf drei Prozent – und damit signalisieren, dass die Preise künftig stärker steigen sollen. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass ein solcher Schritt erfolgreich wäre. Wie oben erläutert erreicht die EZB schon das Ziel von knapp zwei Prozent nicht – trotz größter Anstrengungen...
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Tatsächlich haben sich die Inflationserwartungen bei rund eineinhalb Prozent eingependelt. Im Durchschnitt (Median) erwarten die von Bloomberg befragten Analysten für die Eurozone Inflationsraten von 1,4 Prozent (2019), 1,5 Prozent (2020) und 1,7 Prozent (2021). Darüber hinaus liegen die längerfristigen Markterwartungen sogar noch niedriger.
Die EZB könnte nun einfach ihr Inflationsziel anheben – zum Beispiel auf drei Prozent – und damit signalisieren, dass die Preise künftig stärker steigen sollen. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass ein solcher Schritt erfolgreich wäre. Wie oben erläutert erreicht die EZB schon das Ziel von knapp zwei Prozent nicht – trotz größter Anstrengungen und trotz des regelmäßigen Hinweises, sie verfüge über die nötigen Instrumente, um die Inflation auf das von ihnen gewünschte Niveau zu heben. Warum aber sollte jemand einen schnelleren Anstieg des Preisniveaus erwarten, nur weil die Zentralbank das Inflationsziel, an dem sie sich bereits die Zähne ausbeißt, noch weiter hochschraubt?
Eine Alternative dazu – worauf Olli Rehn Bezug nimmt – wäre ein geldpolitischer Strategiewechsel, weg von der Inflationssteuerung hin zur Preisniveausteuerung. Bisher versucht die EZB bei einem Unterschreiten oder Überschreiten des Zielwerts lediglich, die Inflation wieder in Richtung des Zielwerts zurückzubewegen (Inflationssteuerung). Sobald dies gelungen ist, ist die Zentralbank wieder im Plan, auch wenn die Preise zuvor über einen längeren Zeitraum zu langsam oder zu schnell gestiegen sind. Die zwischenzeitliche Zielabweichung wird im Nachhinein nicht korrigiert. Sobald es der EZB also gelingt, die Inflationsrate wieder in die Nähe von zwei Prozent zu bringen und dort zu stabilisieren, würden die zu niedrigen Inflationsraten der letzten Jahre zu den Akten gelegt.
Anders wäre das Vorgehen bei der Preisniveausteuerung. Hierbei müssten die über Jahre zu geringen Inflationsraten dadurch ausgeglichen werden, dass die Inflation über einen gewissen Zeitraum über dem Zielwert liegen, bis die Preise sich wieder dem eigentlich angestrebten Niveau angepasst haben. Durch das Inflationsziel von knapp zwei Prozent pro Jahr wäre also ein Pfad für das Preisniveau vorgezeichnet, auf das die Zentralbank die Preise nach Zielverfehlungen immer wieder zurückführen müsste.
Die Abbildungen 3 und 4 verdeutlichen den Unterschied. Bei der gegenwärtigen EZB-Strategie der Inflationssteuerung (Abbildung 3) reicht es bei einer überschießenden Inflationsrate in Periode 2 aus, die Inflationsrate in Periode 3 wieder auf den Zielwert zu drücken. Dass sich das Preisniveau durch den Anstieg in Periode 3 stärker als gewünscht nach oben verschoben hat und damit die höheren Preise auch in den nachfolgenden Perioden dauerhaft nachwirken, kann die EZB ignorieren.
Würde die EZB hingegen zur Preisniveausteuerung übergehen (Abbildung 4), müsste sie den Anstieg der Preise über das Inflationsziel in Periode 2 dadurch ausgleichen, dass sie die Inflationsrate in Periode 3 vorübergehend unter den eigentlich beabsichtigten Zielwert drückt. Somit wäre das Preisniveau am Ende des Betrachtungszeitraums wie gewünscht um durchschnittlich zwei Prozent pro Jahr gestiegen. Dagegen lässt die Inflationssteuerung den temporär stärkeren Preisanstieg zu, wodurch das Preisniveau am Ende des Betrachtungszeitraums höher liegt als ursprünglich angestrebt.
Für die aktuelle Geldpolitik der EZB würde dies konkret bedeuten: Die in den letzten Jahren zu niedrigen Inflationsraten wären dadurch auszugleichen, dass die Inflation für eine gewisse Zeit über zwei Prozent steigen müsste. Die EZB würde den höheren Preisanstieg bewusst laufen lassen, bis das Preisniveau wieder auf den Pfad zurückgekehrt ist, der durch eine Zielinflation von knapp zwei Prozent vorgezeichnet wurde. Die expansive Geldpolitik der EZB würde in diesem Fall noch deutlich länger fortgesetzt werden müssen als bisher allgemein erwartet wird.
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