Seit der Veröffentlichung des Chatbots Chat GPT durch Open AI Ende 2022 hat sich künstliche Intelligenz (KI) vom Nischenthema zu einem der breiten Masse gewandelt. Zwar ist die Technologie keine Erfindung des 21. Jahrhunderts, doch hat Open AI die Verbreitung und Weiterentwicklung kräftig beschleunigt.

Mit dem Mitte März verabschiedeten Artificial Intelligence Act gibt es nun zudem einen klaren Rahmen für die Nutzung. Im Asset Management verwenden viele Anbieter bereits seit Jahren Machine Learning und analytische KI, beispielsweise für statistische Verfahren oder zur Portfoliooptimierung. Auch Large Language Models und generative KI (Generative Artificial Intelligence, Gen AI) kommen schon zum Einsatz.

Allerdings steht der Durchbruch auf breiter Front noch bevor: Viele Asset Manager sind aktuell in einer Phase der Exploration und beschäftigen sich mit den grundsätzlichen Möglichkeiten. Die strukturierte Einführung in der Breite steht bei vielen auf der Agenda für 2024.

Potenziale von generativer KI strukturiert erschließen

Bei aller Begeisterung für die großen Entwicklungssprünge von Gen AI sind Asset Manager gut beraten, strukturiert und schrittweise bei der Implementierung vorzugehen. Zuallererst ist es ratsam, sich eine Übersicht zu verschaffen, welche Anwendungsfälle von generativer KI für das eigene Unternehmen lohnend erscheinen.

Das gilt sowohl für das Risikomanagement als auch für alle anderen Geschäftsbereiche. Dabei kann es helfen, die Muster hinter den Anwendungsfällen zu beleuchten. Häufig geht es beim KI-Einsatz um eine neue Art von Wissensmanagement – also das Extrahieren von Wissen und Informationen aus internen oder externen Daten.

Ein bewährtes Vorgehen für den Anfang ist, zunächst mit den Anwendungsfällen zu starten, die per se ein geringeres Risiko haben. Unerlässlich für die Vorarbeit ist darüber hinaus, Gen AI in die interne Verwaltung einzubinden. Werden bereits Machine-Learning- und analytische KI-Verfahren genutzt, braucht es möglicherweise keinen völlig neuen Rahmen, sondern lediglich eine Erweiterung.

Darüber hinaus spielt die Kommunikation der Stärken und Schwächen der Verfahren im Unternehmen eine wichtige Rolle. Sie erleichtert die Akzeptanz und ist eine Voraussetzung für die Befähigung der Mitarbeiter für den Einsatz. Und zu guter Letzt steht die Entscheidung an, welche Technologie für die identifizierten Einsatzgebiete die richtige ist.

 

Wie generative KI das Risikomanagement unterstützt

Obwohl die Branche derzeit noch ein gutes Stück von der flächendeckenden Nutzung dieser Form von KI entfernt ist, zeichnet sich bereits jetzt ab: Asset Manager können ihr Risikomanagement dank verschiedener Anwendungsfälle auf die nächste Ebene heben.

Ein mögliches Einsatzgebiet sind Sentimentanalysen, also das Analysieren von Stimmungen auf Basis von Texten in den Nachrichten oder Social Media. Da Stimmungen Märkte und Entscheidungen von Anlegern beeinflussen, haben Sentimentanalysen in den letzten Jahren immens an Bedeutung gewonnen. Solche Sentimentanalysen sind zwar bereits heute mit „klassischer“ KI möglich. Doch durch Gen AI wird der Einsatz niedrigschwelliger, denn sie lässt sich künftig noch einfacher und schneller umsetzen, als es in der Vergangenheit der Fall war.

Ein weiteres relevantes Einsatzgebiet ist das Auswerten von Informationen im Kontext von ESG. In diesem Feld gab es vor Jahren bereits Versuche, ESG-Berichte automatisiert auszulesen. Bisher waren das immer sehr umfangreiche und komplexe Implementierungsprojekte, die dann in der Praxis mal mehr und mal weniger gut funktionierten.

Mit den jetzt auf dem Markt verfügbaren Lösungen von generativer KI können Unternehmen ESG-relevante Informationen mit wenigen Prompts auswerten. Gen AI ermöglicht so auf einfache Weise eine automatisierte Verarbeitung von sehr vielen textuellen Informationen, wozu der Mensch deutlich mehr Zeit brauchen würde.

Der große Fortschritt von Gen AI im Unterschied zu analytischer KI liegt bekanntlich in ihrer Fähigkeit, selbständig Daten zu generieren. Ebendiese Fähigkeit kann sich auch das Risikomanagement zu Nutze machen, indem man zusätzliche Daten generiert, auf dieser Grundlage Szenarien simuliert und untersucht, wie die Portfolios darauf reagieren.

Auch beim Testen von quantitativen Modellen kann die Technologie weiterhelfen. Dazu kann das Risikomanagement mithilfe von künstlicher Intelligenz synthetische Daten generieren und ihre Auswirkungen auf die Modelle durchspielen. Die Technologie wird so zum unerlässlichen Assistenten, um Marktsituationen zu simulieren und mögliche Entwicklungen früher zu antizipieren.

 

Vom Potenzial generativer KI werden obendrein die Kunden von Asset Managern profitieren. Denn die Technologie unterstützt dabei, Reportings für Investoren zu erstellen. Dadurch können die Unternehmen einfacher und effizienter darstellen, wie sich beispielsweise der Markt entwickelt und welche Kriterien sie für die Analyse zugrunde legen.

Das verbessert die Transparenz für die Anleger und verhindert böse Überraschungen. Denn für Kunden lässt sich durch ein verbessertes zeitnahes Reporting leichter nachvollziehen, wo und wie ihr Geld investiert wird. Das mindert das Risiko von Klagen und Reputationsschäden.

Blindes Vertrauen ist fatal

Wenn Asset Manager sich nun daran machen, die vielfältigen Möglichkeiten von Gen AI zu erschließen, dann sollten sie unbedingt die damit verbundenen Risiken im Blick behalten. Eines davon ist, dass die Modelle, auf denen generative KI derzeit basiert, in der Regel darauf trainiert sind, gute Texte oder schöne Bilder zu erzeugen. Sie sind jedoch nicht darauf trainiert, logisch korrekt zu sein oder mit Finanzinformationen umzugehen.

Verwendet man nun generative KI, um Informationen oder Sentiments aus Quellen zu extrahieren, so kann dies zu unerwünschten Effekten führen. Ein Beispiel sind Halluzinationen: Die KI liefert gut klingende Informationen, die aber fehlerhaft oder gar frei erfunden sind.

Um das zu verhindern, hilft es, dem KI-Modell per Prompt vorzugeben, wie es sich zu verhalten hat: Soll es kreativ sein oder nur die Information ausgegeben, die es wirklich gefunden hat? Das alleine reicht allerdings nicht. Abgesehen von der laufenden Optimierung der Prompts durch regelmäßiges Üben sind Kontrollmechanismen sinnvoll.

Dazu zählt etwa, nicht blind auf die Richtigkeit von Ergebnissen zu vertrauen, sondern alles kritisch zu prüfen beziehungsweise zu hinterfragen, bevor man sie verwendet oder herausgibt. Die Mitarbeiter sollten daher als „Human in the Loop“ fester Bestandteil beim KI-Einsatz sein.

Allerdings entstehen Risiken nicht nur einzelfallbezogen, sondern auch, wenn im Unternehmen verschiedene Anwendungsfälle und Tools parallel zum Einsatz kommen. Um diese Risiken stets auf dem Radar zu haben und sie erfolgreich zu steuern, ist eine unternehmensweite Übersicht ratsam: Wo kommt KI bereits zum Einsatz und welche Technologien werden genutzt?

Bei dieser Gelegenheit sollten die Gen-AI-Anwendungen umfangreichen Tests unterzogen werden, die als Baukasten auf dem Markt verfügbar sind und um Unternehmensspezifische Tests erweitert werden sollten. Sie helfen, die KI-induzierten Risiken zu erkennen und Vorsichtsmaßnahmen zu erarbeiten.

Klar ist: Generative KI revolutioniert das Risikomanagement und wird zum Booster für Produktivität und Qualität. Um KI sinnstiftend einzusetzen, sollten Asset Manager genau jetzt strukturiert die Grundlagen schaffen.


Über die Autoren:

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Benedikt Höck ist Partner im Bereich Financial Services bei KPMG und verantwortet die Beratung zu Customer Centricity sowie neuen Technologien wie generativer KI und Metaverse. Er vertritt einen ganzheitlichen Ansatz und möchte so Kundenreisen und Prozesse optimieren, um diese sicher und zukunftsfähig aufzustellen.

 

 

 

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Matthias Peter ist Partner im Bereich Financial Services und seit über zehn Jahren bei KPMG. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der quantitativen Risikomethode, Modellrisiko und Modellvalidierung sowie KI-Risiko und KI-Anwendungsfällen im Risikomanagement.