Georg Graf von Wallwitz Vermögensverwalter ruft Bärenmarkt an Aktienmärkten aus
Nun haben wir aber Aktienkurse, die eine andere Sprache sprechen. Sie bewerten die meisten Unternehmen wie sonst nur in einer Rezession. Ein Zusammenbruch in China, wenn sich dort die Kredite der letzten fünf Jahre als nicht werthaltig herausstellen? Das kann sein. Pleiten im Rohstoffsektor? Das ist wahrscheinlich, aber kaum genug, um eine Bankenkrise auszulösen. Wenn es aber nicht zu einer Rezession kommt, dann sind die Aktienmärkte heute sehr billig.
Die Erklärung für die gegenwärtigen Kurse scheint in folgendem Dreischritt zu liegen: Erstens entwöhnen sich die Anleger gerade von dem billigen Geld und der mehr oder weniger expliziten Versicherung der Zentralbanken, man werde die Aktienmärkte zur Not stützen. Seit Alan Greenspan gehörte die Pflege der Märkte zum Repertoire der Zentralbanker, Frau Yellen scheint sie aber ihrer eigenen Vernunft überlassen zu wollen. So paradox es klingt, die Börsen sind nach dem endgültigen Ende der Finanzkrise riskanter geworden: Ihnen fehlt der Rückhaltdurch die Zentralbanken.
Zweitens haben viele Anleger festgestellt, dass einige ihrer Aktien doch sehr teuer geworden sind im Aufschwung der letzten Jahre - weit teurer als es die Gewinnentwicklung gerechtfertigt hätte. Dies trifft insbesondere auf Wachstumswerte zu, die in einer stagnierenden Welt mit einer Prämie bewertet wurden, die sie nun wieder einbüßen.
Und drittens führen diese Verkäufe ab einem bestimmten Punkt zu immer neuen Verkäufen und es etabliert sich eine Spirale nach unten. Es wird zum Verhaltensmuster, dass es immer richtig ist, jeden Aufschwung mit Verkäufen zu begrüßen. Und mit jedem neuen Abschwung werfen immer neue Aktionäre das Handtuch, teils weil sie nicht mehr zusehen wollen, teils weil sie sich zu vorübernommen haben und nun finanziell am Ende sind. Dadurch verursachen sie einen neuen Abschwung, der wiederum neue Verkäufe provoziert … und so weiter, bis keine Verkäufer mehr da sind und irgendjemand feststellt, dass es der Wirtschaft eigentlich gut geht und dass die Aktien billig geworden sind.
Wo und wann dieser Bärenmarkt zu Ende sein wird, entzieht sich der Kenntnis desrationalen Anlegers. Denn wieviel Vernunft in den Kursen ist und wie viel Gefühl, ist immer erst im Nachhinein festzustellen. Heute können wir sagen, dass die Kurse im letzten April (DAX bei 12.300 Punkten) zu hoch waren, aus pragmatischer Sichtkeine Kaufkurse. Allerdings bringt diese Einsicht für die Gegenwart nichts. Denn sie sagt nichts darüber aus, ob der DAX bei den heutigen 8.800 Punkten fair oder billig oder teuer bewertet ist. So sehr Kurse nach oben übertreiben können, so sehr können sie es auch nach unten. So sehr es nervenberuhigend sein mag, sich dem Sog zu überlassen und zu verkaufen, um sich keinen weiteren Verlusten auszusetzen, so wenig lässt sich dies rational begründen.
Rational ist es, auf die Bewertungen der Aktien sowie den Zustand der Bilanzen und der Geschäftsmodelle zu achten, das Rezessionsrisiko richtig einzuschätzen und sich einen langen Zeithorizont zu bewahren.
Wo die Aktienmärkte in drei Monaten stehen, kann man nur raten - und das ist immer gefährlich. Dass sie aber in drei oder fünf Jahren deutlich höher stehen werden, ist eine Vermutung, die sich gut begründen lässt.
PDF nur für Sie. Weitergabe? Fragen Sie uns.