Georg Graf von Wallwitz zur Behavioral Finance Darum treffen intelligente Menschen irrationale Anlageentscheidungen
Korrelation zwischen Rationalität und Irrationalität
Um dieses Problem anzugehen, haben weitere Professoren bei ihren Probanden erst den Intelligenzquotienten gemessen und dann eine Linda-Frage gestellt. Dabei haben sie festgestellt, dass die Korrelation zwischen Rationalität (das heißt der Zugehörigkeit zu den vernünftigen 15 Prozent) und Intelligenz sehr schwach ist. Wenn es überhaupt einen Zusammenhang gab, dann diesen: Menschen mit hohem IQ waren anfälliger für den Fehlschluss als die weniger Begabten.
Die Behavioral Finance hat bislang keine einfache Erklärung für diesen Befund. Das mag damit zusammenhängen, dass sich in der Branche alle für besonders intelligent halten. Aber es erklärt vielleicht so manches Phänomen, welches wir derzeit beobachten: Es mag intelligent sein, Deutsche Bundesanleihen mit negativer Verzinsung zu kaufen (damit hat man bislang immer Geld verdient), aber ist es rational (das heißt wie sicher kann man sich sein, dass man damit nicht eines Tages doch unter die Räder kommt)?
Es mag intelligent sein, auf der Basis des Versprechens der Europäischen Zentralbank italienische Staatsanleihen zu kaufen, aber ist es rational? Oder: Es mag (in gewissen effizienten Märkten) intelligent sein, in ETFs zu investieren, aber rational ist die Umschlaghäufigkeit von 859 Prozent pro Jahr (also eine durchschnittliche Haltedauer von 30 Handelstagen) sicher nicht.
Die Linda-Falle und der Lerneffekt
Die Liste der Beispiele von irrationalen Investitionen, die von intelligenten Leuten getätigt werden, ist ermüdend lang. An den Finanzmärkten tun zu viele Menschen zu viele Dinge, die im Grunde nicht vernünftig sind. Rationalität hat etwas mit Erfahrung zu tun - anders als Intelligenz, die zu einem guten Teil gottgegeben ist oder in einer Rechenmaschine steckt. Durch Erfahrung kann man lernen, bestimmte Fehler oder Fehlschlüsse zu vermeiden. Man lernt (oft schmerzhaft) den richtigen Umgang mit Kontexten, die Einordnung der kleinen Ereignisse in die größeren Zeitläufte. Diesen Lerneffekt bestätigen übrigens auch die Psychologen: Wer dreimal in die Linda-Falle getappt ist, hat eine bessere Chance, beim vierten Mal zu den rationalen 15 Prozent zu gehören.
Was also tut der rationale Investor im Unterschied zum intelligenten Investor? Er versucht nicht nur aus den eigenen, sondern auch aus den Fehlern der anderen zu lernen. Er hält sich fern von europäischen Staatsanleihen, auch wenn viele bedeutende Investoren auf der Käuferseite sind. Er ist vorsichtig bei den Aktien aus den USA, denn er hält ein Anhalten der Wachstumsschwäche für möglich. Und er traut sich etwas, das viele für bescheuert halten: Er kauft nachrangig besicherte Anleihen bestimmter europäischer Banken. Und er kauft mit einem Zeithorizont von Jahren, nicht von Tagen. So nah das Jahresende auch schon sein mag.