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Georg von Wallwitz „Eine gute Idee, sich an höhere Volatilität zu gewöhnen“

Georg Graf von Wallwitz ist Fondsmanager der Phaidros Funds und Geschäftsführer der Eyb & Wallwitz Vermögensmanagement.
Georg Graf von Wallwitz ist Fondsmanager der Phaidros Funds und Geschäftsführer der Eyb & Wallwitz Vermögensmanagement.

Als französische Jesuiten im Februar 1737 den Begriff des Optimismus erfanden, um die Theodizee des großen Leibniz lächerlich zu machen*, ahnten sie nicht, dass sie damit eine großartige Vokabel schufen. Das Witzwort und sein bald aus der Taufe gehobenes Geschwister „Pessimismus“ lösten sich bald von der metaphysischen Streitfrage, die an ihrem Ursprung stand. Sie bezeichneten ab dem 19. Jahrhundert die Pole eines vor allem Denken liegenden psychischen Befindens. Wie wenig Optimismus und Pessimismus mit kritischem Nachdenken zu tun haben, lässt sich an der Börse wie in einem Labor studieren.

Der Aufschwung an den Aktienmärkten in den letzten Jahren war von vier wesentlichen Faktoren getragen: Erstens waren seit der großen Wirtschafts- und Finanzkrise der Jahre 2008/09 die Zinsen niedrig und die Geldpolitik locker angesichts einer lahmen Konjunktur, eines zerbrechlichen Finanzsystems und des Fehlens jeglichen Inflationsdrucks. Zweitens machten viele Unternehmen gute Gewinne, insbesondere wenn sie die Digitalisierung der Wirtschaft oder die niedrigen Zinsen für sich nutzen konnten. Drittens profitierte die Welt von fallenden Rohstoffpreisen und einem steigenden Dollar. Und viertens war die Vorsicht der Anleger nach den drei tiefen Einbrüchen an den Aktienmärkten zwischen 2001 und 2011 groß. Wenn der Pessimismus aber überwiegt, kann man davon ausgehen, dass die Bewertungen günstig sind – was mittelfristig für steigende Kurse sorgt.

Was ist passiert?

Dieses Bild hat in den letzten Monaten allerlei Risse bekommen. Die Konjunktur ist nicht mehr lahm, im Gegenteil, in allen Weltgegenden zeigen die Indikatoren nach oben. Das führt gegenwärtig zu höheren Lohnabschlüssen, was prinzipiell gut ist, allerdings in höheren Inflationsraten Enden kann. Die Rohstoffpreise steigen ebenfalls, was (jedenfalls in den USA, wo der fallende Dollar ein Übriges beiträgt) zusätzlichen Auftrieb für die Preise bedeutet. Beides lässt nun die Zinsen steigen, die wiederum schlecht sind für Aktienkurse – wenn sie über ein gewisses Niveau übertreffen. Darüber hinaus ist der Pessimismus längst in Optimismus umgeschlagen, wie sich an den Kapriolen der finanziellen Leichtmatrosen (oder Freibeuter) ablesen lässt, die ihr Geld in Bitcoin oder angeblich von Leonardo da Vinci stammenden Bildern anlegen. Die gute Stimmung hat aber sicher auch dazu beigetragen, dass heute viele ganz normale Menschen und Institutionen ihr Geld in Anlage-Klassen haben, in denen sie eigentlich nichts zu suchen haben, da sie die entsprechenden Risiken weder verstehen noch tragen können. Und sie hat (insbesondere am amerikanischen Aktienmarkt) zu Bewertungen geführt, die nüchternen Naturen durchaus zu Nervosität Anlass geben können.

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Wenn sich das Bild wandelt und hinreichend viele Marktteilnehmer realisieren, dass sie die Risiken nicht vertragen, kommt es zu Einbrüchen wie in den vergangenen Tagen, in denen Dax und Dow Jones um (bisher) etwa 9% gefallen sind, auf das Niveau vom Oktober des vergangenen Jahres. Zunächst hat es wohl bestimmte Produkte erwischt, die darauf gewettet haben, dass die Ruhe der letzten Jahre an den Märkten auch in Zukunft herrschen wird. Dann, als die Schwankungsbreiten zunahmen, mussten viele Fonds verkaufen, die weniger auf eine bestimmte Rendite, sondern vielmehr auf eine bestimmte Volatilität in ihren Portfolios abzielten. Und schließlich waren durch den fallenden Markt die so genannten Trendfolge-Fonds gezwungen zu verkaufen, denn diese müssen in schwachen Märkten ihre Positionen glattstellen.

Das Wechselspiel von Optimismus und Pessimismus, welches in den letzten Tagen zum größten Einbruch seit Januar 2016 geführt hat, war also vermutlich mindestens so sehr von der Angst um das hohe Kursniveau getrieben wie von Automatismen, die sich gegenseitig verstärkt haben. Weder Angst noch Automatismen haben aber mit kritischem Nachdenken zu tun.

* Journal de Trévoux ou Mémoires pour servir à l’hist. des sci. et des arts 37 (1737), S. 207 ff

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