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Gerd Kommer und Jonas Schweizer Wie eine Cash-Flow-Kaskade Risiken sichtbar macht

Jonas Schweizer (li.) und Gerd Kommer von der Honorarberatung Gerd Kommer Invest erläutern das betriebswirtschaftliche Konzept der Cash-Flow-Kaskade.
Jonas Schweizer (li.) und Gerd Kommer von der Honorarberatung Gerd Kommer Invest erläutern das betriebswirtschaftliche Konzept der Cash-Flow-Kaskade. | Foto: Gerd Kommer Invest

Wenn man Anlegern die Frage stellt, warum Aktien risikoreicher als Anleihen oder andere zinstragende Investments sind, dann kommt oft die Antwort: "Weil Aktien eine höhere Volatilität aufweisen", ihr Kurse oder Renditen also stärker schwanken. Statt Volatilität werden in diesem Zusammenhang manchmal auch andere Risikokennzahlen wie zum Beispiel maximaler Drawdown oder Value at Risk genannt. Unabhängig von der gewählten Risikokennzahl ist die Aussage streng genommen in jedem Fall falsch. Volatilität und andere Risikomesszahlen sind nur ein Ausdruck von Risiko, aber nicht seine Ursache.

Das höhere Risiko von Aktien gegenüber Anleihen lässt sich mit ihrer höheren Volatilität oder anderen einschlägigen Risikokennzahlen nur zeigen und quantifizieren aber nicht erklären. Die Erklärung von Risiko erfordert die Beschreibung einer Kausalität, d. h. einen sachlogischen Ursache-Wirkung-Zusammenhang. Ohne die Identifikation einer sachlogischen Kausalität ist insbesondere die entscheidende Frage, ob historisch gemessene Risiken bzw. Unter- oder Überrenditen gegenüber einer sinnvollen Benchmark sich in Zukunft so oder ähnlich fortsetzen werden, schwer oder gar nicht zu beantworten.

Daher nun zu der wohl wichtigsten Erklärung, warum Aktien risikoreicher sind als Anleihen beziehungsweise zinstragende Anlagen und warum sie deswegen in die Zukunft gerichtet eine höhere Renditeerwartung haben müssen. Eine höhere Rendite hatten sie in der Vergangenheit in rund 90 Prozent aller Zehnjahresperioden sowieso. (Es wird hierbei jeweils unterstellt, dass (a) die Aktien und Unternehmensanleihen sich auf dasselbe Unternehmen beziehen; (b) Unternehmensanleihen und Staatsanleihen die gleiche Laufzeit (Duration) und Währung haben; (c) die Staatsanleihen von dem Staat emittiert wurden, in dem das Unternehmen seine primäre Geschäftstätigkeit unterhält.)

Ein selten erwähntes Konzept

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Diese Erklärung fußt auf dem Konzept der sogenannten Cash-Flow-Kaskade. So wichtig dieses Konzept ist, so selten wird es in der wissenschaftlichen Finanzökonomie erwähnt. In Finanzratgeberbüchern sucht man vollends vergebens danach.

Die Cash-Flow-Kaskade ist eine bildhafte Bezeichnung für die Reihenfolge der rechtlichen Ansprüche auf die Gewinne, genauer die Cash-Flows (Zahlungsströme)  eines Unternehmens, die seine unterschiedlichen "Stakeholder" aufgrund ihrer rechtlichen Position für sich beanspruchen können. Stakeholder lässt sich hier mit "Anspruchsgruppe" übersetzen, beispielsweise Mitarbeiter, Aktionäre, Kreditgeber, Vermieter, Lieferanten oder der Staat. Gelegentlich wird auch die Bezeichnung "Cash-Flow-Wasserfall" statt Kaskade verwendet, aber Kaskade ist die treffendere Metapher, wie sich gleich zeigen wird.

Aus der Reihenfolge der rechtlichen Ansprüche (der "Rangigkeit" oder Rangfolge), die die Besitzer von Aktien und Unternehmensanleihen eines einzelnen Unternehmens einnehmen, erklärt sich nämlich der größte Teil der unterschiedlichen Sicherheit bzw. Unsicherheit der Cash-Flow-Ansprüche der einzelnen Stakeholder-Gruppen. Diese Unsicherheit drückt sich zum Beispiel in der Volatilität der Cash-Flows und schlussendlich der Volatilität der Aktienrenditen aus. Auch Einsichten darüber, weshalb Staatsanleihen grundsätzlich risikoärmer und daher renditeärmer als Unternehmensanleihen oder Bankschulden (Bankeinlagen) sein müssen, lassen sich aus dem Kaskadenkonzept ableiten. Die folgende Abbildung illustriert beispielhaft die typische Cash-Flow-Kaskade eines Unternehmens.