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Gerd Kommer und Jonas Schweizer Wie eine Cash-Flow-Kaskade Risiken sichtbar macht

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Vereinfachte Cash-Flow-Kaskade eines typischen Unternehmens

Quelle: Gerd Kommer Invest

Auf den ersten Blick ähnelt die Abbildung ein wenig der traditionellen Gliederung einer betrieblichen Gewinn- und Verlustrechnung (GuV). Bei genauerer Betrachtung bestehen jedoch merkliche Unterschiede zu einer GuV. In der betrieblichen Cash-Flow-Kaskade geht es nicht darum, die Berichtstandards der Rechnungslegung und Buchhaltung oder unser davon oft abgeleitetes, gewohnheitsmäßiges Verständnis widerzuspiegeln, sondern rechtliche und ökonomische Realitäten darzustellen; vor allem in einem Szenario, in dem der Unternehmens-Cash-Flow nicht ausreicht, um einen nennenswerten Gewinn zu erzeugen.

Die Cash-Flow-Stufen (Rangigkeit) ergeben sich größtenteils aus dem Schuldrecht (zum Beispiel Kreditverträgen) im BGB, dem Gesellschaftsrecht (Unternehmensrecht), dem Konkursrecht, dem Steuerrecht, dem Verwaltungsrecht und typischen vertragsrechtlichen Gestaltungen im hier relevanten allgemeinen Rechtsverkehr. Diese Rechtsbestimmungen und -prinzipien dürften sich in allen marktwirtschaftlich verfassten Ländern stark ähneln und in den westlichen Ländern vielfach seit der Renaissance (16. Jahrhundert) existieren. Eine Parallele zum Cash-Flow-Kaskaden-Konzept existiert im Grundpfandrecht, wo das Prinzip der erstrangigen, zweitrangigen und drittrangigen Grundschulden oder Hypotheken zu Gunsten eines Kreditgebers eine essentielle Grundlage der gesamten Immobilienfinanzierung ist.

Wie sich die Reihenfolge ergibt

Die Abbildung unterstellt, dass in dem Unternehmen keine Verpfändung oder "Abtretung" spezifischer Teile des Unternehmensvermögens (Aktiva) an einzelne Gläubiger (zum Beispiel Lieferanten oder Banken) besteht. Solche zivilrechtlichen Sicherungsrechte sind zwar verbreitet und haben im Einzelfall Einfluss auf die Rangigkeit eines Einzelgläubigers, insbesondere im Konkursfall, sie ändern aber nichts an der grundsätzlichen Relevanz des Cash-Flow-Kaskaden-Prinzips. Generell gilt: Zahlungsansprüche privater Gläubiger (Lieferanten, Banken, Vermieter) sind normalerweise den Ansprüchen von Sozialversicherungskassen und denen des Staates (Steuern) von Gesetzes wegen nachgeordnet. Das gilt häufig selbst dann noch, wenn einzelne Gläubiger zivilrechtliche Sicherungsrechte an bestimmten Vermögensgütern (Aktiva) des Unternehmens besitzen, zum Beispiel Grundschuldpfandrechte oder Kontoverpfändungen zu Gunsten von Banken.

Innerhalb der Cash-Flow-Stufe 4 bis 9 ergibt sich die Reihenfolge normalerweise nicht mehr aus dem Gesetz, sondern aus ökonomischer Logik. Löhne, Energie und Rohmaterialien wird oder muss ein Unternehmen in der Regel – auch wenn seine Liquidität knapp ist – vor dem Kapitaldienst bezahlen, denn ohne diese Inputs dürfte oder könnte die Umsatzerzielung von einem Tag auf den anderen oder jedenfalls in kurzer Zeit zum Erliegen kommen. Das trifft normalerweise sogar dann noch zu, wenn das Unternehmen bereits unter Konkursverwaltung steht. Unterlassene oder verzögerte Kapitaldienstzahlungen an Anleihengläubiger, Banken oder Mietzahlungen an Vermieter hingegen führen oft noch monatelang, vielleicht sogar jahrelang nicht zum Ende der Produktion und der Umsatzerzielung. Schließlich muss die jeweilige Bank oder der Vermieter erst ein komplexes, rechtlich aufwendiges und oft sehr zeitaufwendiges Verfahren einleiten, um ihre Zahlungsansprüche durchzusetzen. 

Sehen wir uns das an einem Beispiel an. Wir unterstellen, dass ein Unternehmen ernste Rentabilitäts- und Liquiditätsprobleme hat. Das bedeutet, dass seine Ausgaben oder Cash-Outflows seine Einnahmen (Cash-Inflows) dauerhaft übersteigen. In einer solchen Situation steht es dem Unternehmern nicht frei, welche Stakeholder es mit seinen knappen Geldmitteln bezahlt und welche zeitweilig oder dauerhaft leer ausgehen. Die Reihenfolge der Zahlungsansprüche der verschiedenen Stakeholder (Reihenfolge der Gläubigerbefriedigung) wird primär vom Gesetz und sekundär von Verträgen sowie der soeben erwähnten ökonomischen Logik bestimmt. Die Höhe der verfügbaren Geldmittel und diese Reihenfolge bestimmen den Punkt, vor dem ein Stakeholder beziehungsweise eine Stakeholder-Gruppe noch Geld bekommt und ab dem die nachfolgenden Stakeholder kein Geld mehr sehen.

Hält sich der Unternehmer nicht an diese Reihenfolge, wird er sich wahrscheinlich strafbar und/oder vertragsbrüchig machen – mit möglicherweise gravierenden strafrechtlichen Folgen. Kommt es zum formalen Konkurs des Unternehmens und zur Einsetzung eines Konkursverwalters im Rahmen des Konkursrechtes, gilt diese Reihenfolge der Gläubigerbefriedigung nun für den Konkursverwalter, der an die Stelle des früheren Geschäftsführers tritt.