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Es begann mit 12,5 Cent: Der Aufstieg von Berkshire Hathaway

Der Name Berkshire Hathaway ist heute untrennbar mit Warren Buffett und seinem Partner Charlie Munger verbunden. Was als kriselnder Textilhersteller begann, entwickelte sich unter Buffetts Führung zu einem der wertvollsten Unternehmen der Welt. Diese bemerkenswerte Transformation illustriert nicht nur die Brillanz eines einzelnen Investors, sondern hat auch die Art und Weise, wie wir über Unternehmensführung, Kapitalallokation und langfristiges Investieren denken, nachhaltig geprägt. Ende 2025 wird Warren Buffett als Chef von Berkshire Hathaway zurücktreten - Zeit, nochmal einen Blick zurückzuwerfen.
Die bescheidenen Anfänge: Ein Textilunternehmen in Schwierigkeiten
Die Wurzeln dessen, was später als Berkshire Hathaway bekannt werden sollte, reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück. drei wichtige Unternehmen, die durch Fusionen miteinander verbunden wurden, bildeten die Grundlage:
Valley Falls Company (gegründet 1839 von Oliver Chace): Dies war einer der frühen Textilbetriebe in Rhode Island.
Berkshire Cotton Manufacturing Company (gegründet 1889 von der Familie Plunkett): Ein Textilunternehmen in Massachusetts.
Hathaway Manufacturing Company (gegründet 1888 von Horatio Hathaway): Ein Textilbetrieb in New Bedford, Massachusetts.

Der Weg zum heutigen Berkshire Hathaway verlief über folgende Schritte:
1929: Valley Falls Company und Berkshire Cotton Manufacturing fusionieren zur Berkshire Fine Spinning Associates
1955: Berkshire Fine Spinning Associates und Hathaway Manufacturing schließen sich zusammen – Berkshire Hathaway Inc. entsteht offiziell
Das neu geschaffene Unternehmen war zunächst beachtlich: 15 Produktionsstandorte, mehr als 12.000 Mitarbeiter und ein Jahresumsatz von etwa 120 Millionen US-Dollar. Doch bereits kurz nach dieser Fusion begannen die Probleme.

Die Krise der amerikanischen Textilindustrie
Berkshire Hathaway geriet schnell in Schwierigkeiten. Konflikte mit Gewerkschaften führten zu einem 13-wöchigen Streik. Gleichzeitig verschärfte sich der Wettbewerb: Textilfabriken im Süden der USA und in Überseeländern produzierten deutlich günstiger.
Die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich zusehends. Bis Ende der 1950er Jahre musste Berkshire Hathaway bereits sieben seiner 15 Werke schließen. Der Nettowert des Unternehmens sank in dieser Zeit um 37 Prozent. Massenentlassungen folgten, und vom einst stolzen Textilunternehmen blieb nur ein Schatten seiner früheren Größe.
In dieser Situation – ein klassischer „Cigar Butt“ („Zigarettenstummel“) im Anlagejargon, also ein heruntergekommenes Unternehmen mit nur noch einem letzten Zug Wert – trat ein junger Investor namens Warren Buffett auf den Plan.
Buffetts fatale 12,5 Cent
Als Warren Buffett 1962 erstmals auf Berkshire Hathaway aufmerksam wurde, war er ein 32-jähriger Investor mit bereits beachtlichem Erfolg. Seine Investmentgesellschaft Buffett Partnership Ltd. hatte Anlegern überdurchschnittliche Renditen beschert, indem sie nach unterbewerteten Unternehmen Ausschau hielt. Und Berkshire Hathaway erschien als perfekter Kandidat für Buffetts damalige Anlagestrategie.
Mit einem Aktienkurs von gerade einmal 7,50 US-Dollar – weit unter dem Buchwert von über 20 Dollar und sogar unter dem Netto-Umlaufvermögen von etwa 10 Dollar – war Berkshire ein klassisches „Cigar Butt“-Investment: ein heruntergekommenes Unternehmen, das zwar keine langfristige Zukunft hatte, aber noch einen letzten wertvollen Zug bot. Wie ein Zigarrenstummel eben. Buffett kalkulierte, dass die Firma im Zuge weiterer Fabrikschließungen liquide Mittel freisetzen und für Aktienrückkäufe verwenden würde – eine Chance für einen schnellen Profit.
Die Strategie schien aufzugehen. Buffetts Partnerschaft kaufte sich ein und besaß bald sieben Prozent des Unternehmens. Und tatsächlich: 1964 kündigte das Management einen Aktienrückkauf an. Buffett handelte mit dem damaligen CEO Seabury Stanton einen Verkaufspreis von 11,50 Dollar je Aktie aus – ein Gewinn von über 50 Prozent auf seine Investition.
Doch was dann geschah, führte zu einer der folgenreichsten Entscheidungen in Buffetts Karriere. Als das schriftliche Angebot eintraf, bot Stanton nicht die vereinbarten 11,50 Dollar, sondern nur 11,375 Dollar pro Aktie – eine Differenz von 12,5 Cent je Aktie. Ein lächerlicher Betrag, aber Buffett fühlte sich hintergangen.
„Ich war so dumm“, erinnerte sich Buffett später, „dass ich mich durch diese Preissenkung gekränkt fühlte und aus purem Trotz beschloss, statt zu verkaufen die Kontrolle über das Unternehmen zu übernehmen und den Manager zu feuern.“
In den folgenden Monaten kaufte Buffett, statt seine Anteile abzugeben, aggressiv weitere Aktien hinzu. 1965 hatte er schließlich die Mehrheit erreicht und übernahm selbst die Führung von Berkshire Hathaway. Seabury Stanton und sein Sohn räumten ihre Büros.

Was als emotionale Reaktion begann, entpuppte sich jedoch als kostspieliger Fehler. Buffett steckte nun mit einem kapitalintensiven, kaum profitablen Textilunternehmen fest, das in einem strukturellen Niedergang gefangen war. Jahrzehnte später bezeichnete er diesen Kauf als „die dümmste Investition meines Lebens“. Hätte er das Geld stattdessen direkt in Versicherungen investiert – wie er es später tat – hätte er nach eigener Schätzung rund 200 Milliarden US-Dollar mehr über die folgenden 45 Jahre erwirtschaftet.
Die 12,5-Cent-Geschichte ist heute eine interessante Fußnote der Wirtschaftsgeschichte. Sie zeigt, wie selbst der größte Investor aller Zeiten von Emotionen getrieben werden konnte – und wie aus einem scheinbaren Fehltritt durch geschickte Anpassung dennoch ein Imperium entstehen kann.
Der strategische Wandel zur Investmentholding
Als frischgebackener Eigentümer eines maroden Textilunternehmens stand Buffett vor einem Dilemma. Der emotionale Impuls, der zur Übernahme von Berkshire Hathaway geführt hatte, konfrontierte ihn nun mit der harten Realität eines strukturell kranken Industriezweigs. Seine ursprüngliche Idee, die Vermögenswerte einfach zu liquidieren und das Unternehmen abzuwickeln, wich schnell einem pragmatischeren Ansatz.
Er musste mit den Karten spielen, die er sich selbst ausgeteilt hatte. Statt Berkshire Hathaway vollständig aufzugeben, erkannte er die Möglichkeit, die Unternehmenshülle als Vehikel für andere, rentablere Investitionen zu nutzen. Er begann, das Textilgeschäft nicht als Kernaktivität, sondern als zeitweilige Cashflow-Quelle zu betrachten.
Buffett beauftragte 1967 Ken Chace, der das operative Geschäft führte, mit der schrittweisen Verkleinerung der Textilabteilung. Die Billigkonkurrenz aus Übersee mit ihren deutlich niedrigeren Lohnkosten setzte Berkshire immer stärker zu. Buffett sah klar, was andere Industriekapitäne nicht wahrhaben wollten: Die amerikanische Textilindustrie befand sich in einem irreversiblen Niedergang.
1985, dem Jahr der endgültigen Schließung der letzten Berkshire-Textilfabrik, reflektierte Buffett: „Ich habe einen fundamentalen Lehrsatz des Geschäftslebens bestätigt bekommen: Wenn ein Management mit hervorragendem Ruf sich einer Branche mit schlechten wirtschaftlichen Aussichten widmet, ist es gewöhnlich der Ruf der Branche, der intakt bleibt.“
Diese Einsicht führte zu einer der wichtigsten Lektionen in Buffetts Karriere und wurde zum Leitmotiv seiner späteren Investments: Kapital muss dorthin fließen, wo es die höchsten Renditen erwirtschaften kann. Die begrenzten Mittel, die das Textilgeschäft noch abwarf, lenkte er konsequent in vielversprechendere Bereiche um.
Diese Neuausrichtung – weg vom produzierenden Gewerbe, hin zu einer Investmentholding – markierte den Beginn einer Transformation, die aus einem wirtschaftlichen Fehltritt letztlich ein finanzielles Meisterwerk entstehen ließ.
Wie Buffett seinen Investment-Turbo entdeckte
Der wahre Genius in Buffetts Strategie offenbarte sich 1967, zwei Jahre nach seiner Übernahme des kriselnden Textilunternehmens. Für 8,6 Millionen US-Dollar erwarb Berkshire Hathaway die National Indemnity Company, einen mittelgroßen Haftpflichtversicherer mit Sitz in Omaha. Was zunächst wie eine weitere Akquisition aussah, sollte sich als fundamentale Wendung in Berkshires Geschichte erweisen und das gesamte Geschäftsmodell revolutionieren.
Mit dieser Übernahme erschloss Buffett einen finanziellen Mechanismus, der wie ein perfekt konzipierter Wachstumsmotor funktionierte: den „Float“. Dieses Prinzip basiert auf einer Besonderheit des Versicherungsgeschäfts. Versicherer nehmen Prämien von ihren Kunden ein, lange bevor sie mögliche Schadensfälle bezahlen müssen. In der Zwischenzeit steht dieses Geld – der Float – dem Unternehmen zur Verfügung.
Besonders geschickte Versicherer schaffen es sogar, einen „Underwriting-Profit“ zu erzielen – wenn die eingenommenen Prämien die Summe aus Kosten und Schadenszahlungen übersteigen. In diesem Fall wird der Float praktisch kostenlos oder generiert sogar einen zusätzlichen Gewinn. Buffett bewunderte das Management von National Indemnity, weil es konsequent auf Profitabilität statt auf reines Wachstum setzte.
Das Wachstum des Floats unter Buffetts Führung war beeindruckend: Von anfänglich 16 Millionen US-Dollar im Jahr 1967 wuchs er auf über 62 Milliarden US-Dollar im Jahr 2009 – ein enormer Kapitalpool, den Buffett für Investments nutzen konnte, ohne auf Banken oder Kapitalmärkte angewiesen zu sein.

In den folgenden Jahrzehnten baute Berkshire sein Versicherungsimperium strategisch aus. 1976 investierte das Unternehmen in Geico, einen damals innovativen Autoversicherer mit Direktvertriebsmodell, und übernahm ihn 1996 vollständig. Der bisher größte Schritt folgte 1998 mit dem 22-Milliarden-Dollar-Kauf von General Re, einem der weltweit führenden Rückversicherer – obwohl diese Übernahme zunächst durch unerwartete Verluste belastet wurde.
Diese Versicherungssparte – mit ihrem stetig wachsenden Float – wurde zum finanziellen Rückgrat von Berkshire Hathaway und ermöglichte Buffett die Schaffung eines diversifizierten Konglomerats mit Beteiligungen in zahlreichen Branchen. Der Versicherungs-Float war letztlich der Schlüssel, der aus einer fehlgeleiteten Textilübernahme einen der wertvollsten Konzerne der Welt entstehen ließ.
Die Buffett-Munger-Symbiose: Das Ende der „Kippen-Strategie“
Als Charlie Munger 1978 als stellvertretender Vorsitzender zu Berkshire Hathaway stieß, begann eine der fruchtbarsten Partnerschaften der Finanzgeschichte. Munger brachte eine fundamentale Veränderung in Buffetts Anlagestrategie – weg von günstigen, aber mittelmäßigen Unternehmen hin zu Qualitätsunternehmen.
In einem Aktionärsbrief schrieb Buffett später über Mungers Einfluss: "Der Plan, den er mir gab, war einfach: Vergiss alles, was du über den Kauf fairer Unternehmen zu wunderbaren Preisen weißt und kaufe stattdessen wunderbare Unternehmen zu fairen Preisen.“ Diese Maxime wurde zum Leitprinzip für Berkshires künftige Investitionen.
Munger erkannte, dass langfristiger Erfolg in erstklassigen Unternehmen mit dauerhaften Wettbewerbsvorteilen liegt, selbst wenn man dafür einen angemessenen Preis zahlen muss.

Diese Wendung führte zu einigen der erfolgreichsten Investitionen von Berkshire. Sie ermöglichte beispielsweise den Einstieg bei Coca-Cola nach dem Börsencrash 1987, als Berkshire mehr als eine Milliarde US-Dollar für einen 6-Prozent-Anteil investierte – eine Position, die inzwischen auf 22 Milliarden US-Dollar angewachsen ist.
Auch Buffetts Apple-Investment, das Berkshire bislang 160 Milliarden US-Dollar eingebracht hat, wäre ohne diese Neuausrichtung kaum denkbar gewesen.
Die beiden Partner Buffett und Munger entwickelten zentrale Investmentprinzipien: Nur in Unternehmen investieren, die man wirklich versteht (ihr „Circle of Competence“), stets mit einer Sicherheitsmarge agieren und nach Unternehmen mit nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen („Moats“) suchen. Buffett drückte dies einmal so aus: „Ich versuche, Aktien von Unternehmen zu kaufen, die so wunderbar sind, dass selbst ein Idiot sie führen könnte. Denn früher oder später wird das der Fall.
Der Erfolg dieser Partnerschaft spricht für sich. Mungers Einfluss half Buffett, über seinen ursprünglichen Ansatz hinauszuwachsen und Berkshire zu einem diversifizierten Konglomerat mit einer Marktkapitalisierung von nun über einer Billion US-Dollar zu formen – ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass die Konzentration auf Qualität langfristig die bessere Strategie ist.

Die Meisterstücke im Berkshire-Portfolio
Bei der Auswahl ihrer Investitionen folgten Buffett und Munger klaren Prinzipien. Sie suchten ausschließlich nach Unternehmen, deren Geschäftsmodell sie vollständig durchdrangen, die exzellente Zukunftsaussichten boten und von integren, kompetenten Führungsteams geleitet wurden. Der entscheidende Faktor waren dabei dauerhafte Wettbewerbsvorteile – was Buffett als „Burggräben“ bezeichnete – kombiniert mit hohen Eigenkapitalrenditen.
Besonders erfolgreich erwies sich ihr Fokus auf außergewöhnliche Qualität statt auf bloße Schnäppchenjagd. Vier Investitionen illustrieren diesen Ansatz:

See's Candies wurde 1972 für 25 Millionen US-Dollar übernommen – ein Meilenstein in Buffetts Karriere. Der kalifornische Pralinenhersteller brachte Berkshire eine spektakuläre Rendite von 8.000 Prozent. Noch wichtiger: Diese Akquisition offenbarte Buffett die außerordentliche Kraft starker Marken und begeisterter Kundenloyalität. Die Bereitschaft der Kunden, Jahr für Jahr Preiserhöhungen zu akzeptieren, ohne die Markentreue aufzugeben, wurde zum Musterbeispiel für künftige Übernahmen.

Coca-Cola kam 1989 ins Portfolio, als Berkshire für 1,15 Milliarden US-Dollar einen 6,3%-Anteil erwarb. Diese Investition verkörperte geradezu idealtypisch die neue Qualitätsstrategie: ein Unternehmen mit einer der stärksten Marken weltweit, stetigen Cashflows und außergewöhnlicher Preissetzungsmacht. Buffett bezeichnete dieses Investment schlicht als „passive Beteiligung“ – doch was bescheiden klang, entwickelte sich zu einer der lukrativsten Positionen im Berkshire-Portfolio.

Burlington Northern Santa Fe zeigte 2010 Buffetts Bereitschaft zu Großinvestitionen. Für insgesamt 44 Milliarden US-Dollar (inklusive übernommener Schulden) erwarb Berkshire die Eisenbahngesellschaft vollständig. Buffett nannte dies „eine komplette Wette auf die wirtschaftliche Zukunft der Vereinigten Staaten“ – ein Bekenntnis zu fundamentaler Infrastruktur, die sich als Rückgrat der amerikanischen Wirtschaft über Jahrzehnte bewährt hatte.

Apple markierte 2016 eine überraschende Wende. Obwohl Buffett traditionell Technologiewerte mied, investierte Berkshire zunächst eine Milliarde US-Dollar in den iPhone-Hersteller. Was zunächst als Anomalie erschien – Buffett hatte zuvor nur bei IBM einen größeren Tech-Einstieg gewagt – entpuppte sich als konsequente Anwendung seiner Qualitätsprinzipien. Buffett erkannte in Apple weniger ein Technologieunternehmen als vielmehr eine Konsumgütermarke mit außergewöhnlicher Kundenbindung – genau jene Eigenschaften, die er seit der See's-Candies-Erfahrung so hoch schätzte.
Diese vier Beispiele zeigen, wie Buffett und Munger ihre Philosophie in konkrete Investitionserfolge übersetzten und ein unvergleichliches Portfolio außergewöhnlicher Unternehmen aufbauten.
Vertrauen statt Kontrolle: Berkshires Führungsmodell
Berkshire Hathaway verkörpert ein Paradox moderner Unternehmensführung: äußerste Zentralisierung bei Kapitalentscheidungen, kombiniert mit radikaler Dezentralisierung im operativen Geschäft. In der Konzernzentrale in Omaha trifft Buffett mit einem Mini-Team die großen finanziellen Weichenstellungen, während die Leiter der Tochtergesellschaften nahezu vollständige Autonomie bei der Geschäftsführung genießen.
Die Schlankeit der Zentrale ist legendär. Von den rund 392.000 Mitarbeitern von Berkshire arbeiten weniger als 30 in der Zentrale in Omaha. Diese bewusste Bescheidenheit eliminiert nicht nur kostspielige Overhead-Strukturen, sondern beschleunigt auch Entscheidungsprozesse dramatisch. Zwar führt der Verzicht auf engmaschige Kontrollsysteme gelegentlich zu vermeidbaren Fehlern, doch die Vorteile überwiegen bei weitem.
Was auf den ersten Blick riskant erscheint, entpuppt sich als geniales System des „verdienten Vertrauens“, wie Charlie Munger es nannte. Buffett und Munger investierten immense Sorgfalt in die Auswahl ihrer Führungskräfte. Bei der Akquisition eines Unternehmens war die Qualität des Managements oft wichtiger als Finanzkennzahlen. Sie suchten nach Unternehmern mit Integrität, die „ihr Geschäft wie Eigentümer führen“ und langfristig denken – Eigenschaften, die keine Kontrollmechanismen ersetzen können.
Diese Kultur der Eigenverantwortung hat Berkshire zum Magneten für außergewöhnliche Talente gemacht. Viele erfolgreiche Unternehmer verkauften ihre Lebenswerke an Berkshire nicht primär wegen des Preises, sondern wegen des Versprechens fortgesetzter unternehmerischer Freiheit – eine Seltenheit in der Konzernwelt. Sie schätzen die Möglichkeit, ihr Unternehmen weiterzuführen, ohne sich mit Quartalsvorgaben, Corporate Policies oder Matrix-Strukturen auseinandersetzen zu müssen.
Mit diesem Modell schuf Berkshire eine Organisation, die trotz ihrer enormen Größe die Agilität und den Unternehmergeist eines Mittelständlers bewahrt hat – ein Erfolgsrezept, das in der Unternehmenslandschaft bis heute einzigartig geblieben ist.

Die Sache mit den Aktionärsbriefen
Warren Buffetts Aktionärsbriefe haben längst Kultstatus erreicht. Mit ihrer einzigartigen Mischung aus finanzieller Weisheit, ungeschönter Selbstkritik und volkstümlichem Humor sind sie weit mehr als bloße Unternehmensberichte – sie wurden zu einem jährlichen Ereignis für Investoren weltweit.
Anders als viele Firmenchefs, die Fehler kaschieren und Erfolge überhöhen, bespricht Buffett offen seine Fehlschläge und erklärt seine Denkprozesse. Diese Transparenz hat ihm ein Vertrauenskapital eingebracht, das kaum ein anderer Unternehmenslenker genießt.
Noch eindrucksvoller ist die jährliche Hauptversammlung, das jährliche „Woodstock für Kapitalisten“ in Omaha – ein Festival, das von bescheidenen Anfängen mit nur zwölf Teilnehmern im Jahr 1965 zu einer Großveranstaltung mit bis zu 40.000 Besuchern aus aller Welt herangewachsen ist.
Aktionäre von Berkshire Hathaway reisen nach Nebraska, um die Gelegenheit zu nutzen, Buffett und früher auch seinen Partner Charlie Munger direkt zu befragen. Das Format war bemerkenswert: Fünf Stunden lang stellten sich die beiden betagten Investmentlegenden den ungefilterten Fragen ihrer Aktionäre – ein Maß an Offenheit und Zugänglichkeit, das in der Unternehmenswelt seinesgleichen sucht.

Die Veranstaltung hat sich zu einem Spektakel entwickelt, mit einer Vielzahl von Nebenveranstaltungen über drei Tage, darunter ein 5-Kilometer-Lauf, Einkaufsmöglichkeiten bei dutzenden Berkshire-eigenen Unternehmen und mehrere private Investment-Konferenzen. Besonders beliebt sind die informellen Momente, wenn Buffett Ukulele spielt, Bonbons von See's Candies verteilt oder mit olympischen Tischtennisspielern antritt.
Was auf den ersten Blick wie pure Unterhaltung wirkt, ist in Wirklichkeit ein brillanter Kommunikationsstil, der tiefe Einblicke in Buffetts Unternehmensphilosophie gewährt. Seine Fähigkeit, komplexe finanzielle Konzepte in anschaulichen Metaphern zu erklären und dabei authentisch zu bleiben, hat eine engagierte Aktionärsbasis geschaffen. Diese Gemeinschaft teilt Buffetts langfristige Orientierung und hat ihm ermöglicht, auch in Krisenzeiten unbeirrt seinen Kurs zu verfolgen – ein entscheidender Wettbewerbsvorteil für Berkshire Hathaway.

Berkshires beeindruckende Bilanz
Seit Warren Buffett 1965 die Kontrolle über ein marodes Textilunternehmen übernahm, hat Berkshire Hathaway eine beeindruckende Erfolgsgeschichte geschrieben. Die langfristige Performance des Konglomerats ist legendär: Mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate des Buchwerts pro Aktie von 19,8 Prozent hat Berkshire den S&P 500, der im gleichen Zeitraum „nur“ 10,2 Prozent erzielte, deutlich übertroffen.
Im Jahr 2024 setzte sich diese Erfolgsgeschichte fort, als Berkshire mit einem Kursplus von 25,5 Prozent den S&P 500 (23,3 Prozent) erneut knapp übertraf und damit das neunte positive Jahr in Folge verzeichnete. Bemerkenswert ist, dass Berkshire dies ohne die Technologie-Euphorie erreichte, die den breiteren Markt antrieb. Stattdessen waren es solide operative Ergebnisse, insbesondere im Versicherungsgeschäft, die den Erfolg untermauerten.
Allerdings zeigen sich in den letzten Jahren auch Grenzen des Wachstums. In der Dekade vor 2025 lag Berkshires Rendite mit 11,8 Prozent leicht unter der des S&P 500 mit 12,0 Prozent. Selbst Buffett dämpft inzwischen die Erwartungen: „Mit unserer gegenwärtigen Geschäftsmischung sollte Berkshire etwas besser abschneiden als der durchschnittliche amerikanische Konzern ... Alles über ‚leicht besser‘ wäre jedoch Wunschdenken.“ Die schiere Größe des Unternehmens – die Marktkapitalisierung liegt bei einer Billion US-Dollar – macht es zunehmend schwieriger, den Markt signifikant zu übertreffen.
Ein weiteres Charakteristikum von Berkshire ist die Dividendenpolitik – oder vielmehr deren Fehlen. Anders als die meisten Großkonzerne schüttet Berkshire keine Dividenden aus, sondern reinvestiert sämtliche Gewinne in das Wachstum bestehender Geschäftsbereiche und neue Akquisitionen. In den letzten Jahren hat das Unternehmen allerdings vermehrt Aktienrückkäufe getätigt, wenn Buffett die eigene Aktie für unterbewertet hielt – eine alternative Form der Kapitalrückführung.
Dexter Shoe – Buffetts schmerzlichste Lektion
1993 erwarb Berkshire Hathaway die in Maine beheimatete Dexter Shoe Company für 25 .203 A‑Aktien im damaligen Gegenwert von 433 Millionen US‑Dollar – Buffett zahlte also nicht bar, sondern mit eigenem, damals unterbewertetem Aktienkapital. Im Rückblick erwies sich das als doppelter Fehler: Zum einen unterschätzte er, wie rasch Billigimporte aus Asien Dexters Wettbewerbsvorteil („durable competitive advantage“) aushebeln würden; schon 2001 schloss die letzte US‑Fabrik und die Marke wurde in die Schuhtochter H.H. Brown eingegliedert.
Zum anderen multiplizierte sich der Schaden dramatisch, weil die hingegebenen Berkshire‑Aktien inzwischen auf Milliardenhöhe gestiegen sind: 2007 bezifferte Buffett die „wahre“ Verlustsumme bereits auf 3,5 Milliarden US-Dollar – und bis 2025 hätte das einst eingesetzte Aktienpaket sogar einen Wert von rund 17,9 Milliarden US-Dollar erreicht. In seinem Aktionärsbrief nannte er Dexter daher „den schlechtesten Deal, den ich je gemacht habe“ und spickte das Eingeständnis mit dem Bobby‑Bare‑Zitat: „I’ve never gone to bed with an ugly woman, but I’ve sure woke up with a few.“
Die Lehre, die er daraus ableitet: Zahle niemals mit unterbewerteten eigenen Aktien für ein Geschäft, dessen Burggraben du nicht absolut sicher einschätzen kannst.
Zwischen Tradition und Wandel
So beeindruckend Berkshires Erfolgsgeschichte ist, steht das Unternehmen doch vor einigen Herausforderungen. Kritiker bemängeln die Komplexität und mangelnde Transparenz des weit verzweigten Konglomerats. Die dezentrale Struktur, die einerseits ein Erfolgsgeheimnis darstellt, erschwert andererseits die Analyse und Bewertung des Gesamtunternehmens.
Kontrovers wird Buffetts Haltung zu Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen (ESG) diskutiert. Bei den Jahreshauptversammlungen hat er sich konsequent gegen verbindliche ESG-Standards ausgesprochen und argumentiert, dass die dezentrale Struktur von Berkshire einheitliche Vorgaben unpraktikabel mache.
Ein lange Zeit ungelöstes Problem war das „Key Man Risk“ – die starke Abhängigkeit von Buffett selbst. Dieses Thema hat sich mit der jüngsten Ankündigung von Buffetts Rücktritt als CEO zum Jahresende 2025 und der Ernennung von Greg Abel als Nachfolger zugespitzt. Zwar hat diese Klärung Unsicherheiten gemildert, doch bleibt abzuwarten, wie Berkshire unter neuer Führung prosperieren wird.

Regulatorische Herausforderungen könnten ebenfalls zunehmen. Als hybrides Gebilde zwischen Versicherungskonzern, Industriekonglomerat und Investmentgesellschaft operiert Berkshire in regulatorischen Grauzonen. Diese Komplexität wird in Zeiten geopolitischer Spannungen noch verschärft, wie das Unternehmen selbst warnt: „Die Geschwindigkeit dieser Ereignisse, einschließlich internationaler Handelspolitik und Zölle, hat sich 2025 beschleunigt. Es bleibt erhebliche Unsicherheit bezüglich des endgültigen Ausgangs dieser Ereignisse.“
Was Berkshire Hathaway auszeichnet, ist nicht nur seine finanzielle Performance, sondern auch seine Widerstandsfähigkeit gegenüber Marktturbulenzen. Trotz gelegentlicher Underperformance in Boom-Phasen hat Berkshire in Krisenzeiten regelmäßig seine defensive Stärke bewiesen – eine Qualität, die im volatilen Finanzumfeld der kommenden Jahre besonders wertvoll sein könnte.
Machtwechsel in Omaha
Am 3. Mai 2025 erklärte Warren Buffett seinen Rückzug als CEO von Berkshire Hathaway zum Jahresende. Der 94-jährige, der sechs Jahrzehnte lang die Geschicke des Konglomerats lenkte, wählte die jährliche Aktionärsversammlung in Omaha für diesen historischen Schritt.
„Ich denke, die Zeit ist gekommen, in der Greg zum Jahresende Chief Executive Officer des Unternehmens werden sollte“, erklärte Buffett vor tausenden Aktionären, die ihm mit Standing Ovations dankten. Er kündigte an, dass er dem Vorstand Greg Abel, den bisherigen Vizevorsitzenden, als Nachfolger empfehlen werde – eine Entscheidung, die nach seiner Überzeugung einstimmig angenommen werden dürfte.
Um Sorgen über mögliche Marktturbulenzen vorzubeugen, betonte Buffett ausdrücklich, dass er während des Führungswechsels keine seiner Berkshire-Aktien veräußern werde – ein Signal seines ungebrochenen Vertrauens in das Unternehmen und seinen Nachfolger.
Greg Abel: Der Mann, der Buffetts Erbe fortführen soll
Der 62-jährige Greg Abel, bislang für die Nicht-Versicherungsgeschäfte von Berkshire Hathaway verantwortlich, steht nun vor der Aufgabe, in die Fußstapfen einer Investmentlegende zu treten. Als langjähriger Berkshire-Insider verkörpert er Kontinuität, muss aber gleichzeitig das Unternehmen durch die Herausforderungen einer zunehmend volatilen Weltwirtschaft steuern.
In ersten öffentlichen Äußerungen zur zukünftigen Strategie signalisierte Abel, dass er Buffetts konservative und unabhängige Politik fortsetzen werde: „Wir werden Berkshire bleiben und wir werden niemals von einer Bank oder einer anderen Partei abhängig sein, damit Berkshire erfolgreich ist.“ Diese Philosophie der finanziellen Autarkie war stets ein Grundpfeiler von Buffetts Unternehmensführung.
Ein Vermächtnis jenseits von Zahlen
Die Geschichte von Berkshire Hathaway ist letztlich mehr als nur die Chronik eines außergewöhnlichen Unternehmens – sie ist ein Lehrstück über die zeitlose Kraft von Prinzipientreue und langfristigem Denken. Was mit einer emotionalen Reaktion auf eine 12,5-Cent-Differenz begann, entwickelte sich zu einer der bemerkenswertesten wirtschaftlichen Transformationen des 20. Jahrhunderts.

In einer Welt, die zunehmend von Algorithmen, Hochfrequenzhandel und Quartalsdenken geprägt ist, steht Berkshire als Mahnmal für einen anderen Weg: den des geduldigen Kapitalismus, der auf Substanz statt Schein, auf Vertrauen statt Kontrolle und auf langfristige Wertschöpfung statt kurzfristiger Gewinnmaximierung setzt.
Mit Greg Abel übernimmt nun ein Nachfolger, der nicht nur Buffetts finanzielle Disziplin, sondern auch seine grundlegenden Werte zu verkörpern scheint. Während die Märkte den Übergang mit Spannung beobachten, bleibt Buffetts größtes Erbe nicht die beeindruckende Rendite oder die schiere Größe seines Konglomerats, sondern die Erkenntnis, dass wirtschaftlicher Erfolg und ethisches Handeln keine Gegensätze sein müssen – eine Lektion, die in der modernen Geschäftswelt wertvoller denn je erscheint.
Quellen: u.a. Letters to Shareholders (1977–2022), Wikipedia, SEC, Investorsfriend, Schroeder, A.: The Snowball: Warren Buffett and the Business of Life, Lowenstein, R.: Buffett – The Making of an American Capitalist, NPR, Brown Advisory, Business Insider, Washington Post, Reuters, CNBC