Günstige KGVs, defensiver Charakter „Gesundheitsaktien bieten in schwierigen Konjunkturphasen eine überdurchschnittliche Wertentwicklung“
Frau Xie, was macht den Gesundheitssektor heute attraktiv, insbesondere angesichts der weiterhin hohen Inflation und der schwächelnden Konjunktur?
Erin Xie: Seit Jahren zeichnet sich der Gesundheitssektor in Rezessions- wie Inflationsphasen durch Stabilität und überdurchschnittliche Wertentwicklung aus, denn die Nachfrage ist stabil und unabhängig von der Wirtschaftslage. Weltweit wachsen die Gewinne von Gesundheitsfirmen seit Langem konstant und überdurchschnittlich. In den letzten sieben US-Rezessionsphasen übertraf der Gesundheitssektor den Gesamtmarkt durchschnittlich um 10 Prozent. Auch in Inflationsphasen stellte er seine Widerstandsfähigkeit immer wieder unter Beweis. Wir stufen den Sektor als strukturellen Wachstumssektor ein – geprägt von dem globalen Trend einer alternden Bevölkerung.
Aber der Gesundheitssektor hat mehr als nur defensive Merkmale zu bieten, oder?
Xie: Auf jeden Fall. Wir sehen gute Möglichkeiten, gezielt in eine ganze Bandbreite unterschiedlicher Titel zu investieren, ob Standard- oder Nebenwerte, etablierte oder innovative Akteure. Unserer Ansicht nach macht dieses Diversifizierungspotenzial den Gesundheitssektor, neben seinem globalen Charakter, zum Allrounder in allen Szenarien.
Müssen Anleger für die Anlagechancen aktuell Aufschläge in Kauf nehmen?
Xie: Gesundheitsaktien sind derzeit nicht teuer und sogar günstiger bewertet als der Gesamtmarkt. In Abschwüngen ist die Art von Resilienz gefragt, die Gesundheitsfirmen aus unserer Sicht bieten können. Dennoch werden ihre Aktien mit einem Abschlag von 10 Prozent zum globalen Aktienmarkt gehandelt, statt des durchschnittlichen Aufschlags von 3 Prozent in den vergangenen 20 Jahren.
Weltweit behaupten sich viele Volkswirtschaften dank des anhaltend starken Konsums erstaunlich gut, sodass Rezessionen bisher ausgeblieben sind. Wegen der inversen Renditekurven, bei denen die Anleihenrenditen am kurzen Ende höher sind als am langen, nehmen die Wachstumssorgen allerdings zu. Denn dies war bislang meist der Vorbote einer Rezession.
Und daher bietet es sich für Anleger jetzt an, Gesundheitsaktien in den Blick zu nehmen?
Xie: Wir haben die Performance des Gesundheitssektors im Russell 1000 Index in den 24 Monaten nach früheren Umkehrungen der Renditekurve analysiert und kamen zu guten Ergebnissen. Im aktuellen Zyklus hinken Gesundheitsaktien bisher hinterher, weshalb wir momentan einen attraktiven Einstiegspunkt in einen günstigen, rezessionsresistenten Sektor sehen.
Defensiv ist nicht gleich langweilig. Welche spannenden Innovationen beobachten Sie im Gesundheitssektor?
Xie: Wir sehen erstaunliche Entwicklungen bei Therapien für einige der weltweit am stärksten verbreiteten Krankheiten wie Krebs, Diabetes, Alzheimer und Adipositas, die rasant zunehmen. Die jahrzehntelange Genomforschung zahlt sich nun aus und ermöglicht ein fundiertes Verständnis der Ursachen und damit neuartige Arzneimittel.
Den 1,5 Billionen US-Dollar schweren Markt für rezeptpflichtige Medikamente könnten neue Adipositas- und Diabetestherapien nach unserer Analyse um mehr als 100 Milliarden US-Dollar anwachsen lassen. In Windeseile haben sie sich zu den wachstumsstärksten Arzneimitteln im Pharmasektor entwickelt. Diese ursprünglich zur Diabetesbehandlung entwickelten Präparate haben einen positiven Nebeneffekt: Sie fördern die Gewichtsabnahme.
Auch in der Krebsforschung tut sich einiges, wie man hört.
Xie: In der Onkologie zählen zu den bahnbrechenden Erfolgen neuartige Antikörper-Wirkstoff-Konjugate mit beeindruckenden Studiendaten. Und die mRNA-Technologie, auf der Vakzine gegen Corona basieren, wird nun zur Entwicklung von Therapien gegen Krebs und altersbedingte Krankheiten genutzt. Wir erwarten, dass die Zahl der Alzheimer-Patienten wegen der weltweit alternden Bevölkerung weiter ansteigt. Nach UN-Schätzungen wird sich die Altersgruppe der über 80-Jährigen von 143 Millionen 2019 bis 2050 auf 426 Millionen verdreifachen. Neue Antikörpertherapien haben in Spätphasenstudien vielversprechende Ergebnisse geliefert, was sie aus unserer Sicht für Investoren attraktiv macht.
Die Fettleibigkeit mit ihren Folgen wird ebenfalls als lukrativer Markt von Unternehmen im Gesundheitswesen adressiert…
Xie: Diabetes ist eine weit verbreitete Erkrankung, unter der 10 Prozent der Erwachsenen weltweit leiden. Bis 2045 werden es laut International Diabetes Federation voraussichtlich knapp 13 Prozent sein. Auch hier beobachten wir spannende neue Behandlungsmöglichkeiten und Technologien. Mithilfe von Geräten, die kontinuierlich den Blutzucker messen, können Patienten ihren Diabetes in Echtzeit kontrollieren, ganz ohne schmerzhaften Pieks in den Finger. Die Geräte werden nicht nur kleiner, sondern auch leistungsfähiger. Möglicherweise können Diabetesdaten schon bald auf einer Smartwatch angezeigt werden.
Welche Chancen bieten sich in der Medizintechnik?
Xie: Innovationen und die Einführung neuer Technologien haben seit der Corona-Pandemie merklich Fahrt aufgenommen. Bemerkenswert sind vor allem Neuerungen in der Diagnostik, der Robotik und bei minimalinvasiven Eingriffen. Die Nachfrage nach Medizingeräten steigt, weil Kliniken den pandemiebedingten Rückstau an elektiven Eingriffen nun abbauen und der Fachkräftemangel etwas nachlässt. Wir sehen aber auch Anlagechancen bei Gesundheitsdienstleistern, die mithilfe von Innovationen effizienter werden und künftige Personalengpässe abfedern wollen. Die Zahl der robotergestützten chirurgischen Eingriffe hat sich bereits wieder auf das Niveau vor Corona erholt – Tendenz steigend.
Technologische Fortschritte bei minimalinvasiven Verfahren verbessern die Ergebnisse für die Patienten und eröffnen attraktive Anlagemöglichkeiten. Sie ermöglichen Eingriffe über kleinere Schnitte und damit eine schnellere Genesung der Patienten etwa in der Neuro-, Krebs-, endovaskulären und gynäkologischen Chirurgie. Für diesen Markt erwarten wir weiteres Wachstum.
Nennen Sie uns auch einige zentrale Risiken des Sektors?
Xie: An erster Stelle ist die Regulierung zu nennen, vor allem in Zeiten der US-Wahlen. Aktuell hat dieses Risiko aber etwas nachgelassen. Dass mit US-Präsident Biden eine bekannte Größe eine zweite Amtszeit anstrebt, sorgt für eine gewisse Stabilität, die dem Sektor zugutekommen könnte.
Ein Risiko für die wiederkehrenden Umsätze der Arzneimittelhersteller sind auslaufende Patente, da Wettbewerber die nicht mehr geschützten Medikamente kopieren und billigere Versionen auf den Markt bringen dürfen. Wir konzentrieren uns daher auf Unternehmen mit der nötigen Finanzkraft für Forschung und Entwicklung, die seit Jahren Innovationserfolge vorweisen können – sei es aus eigener Kraft mit starken Produkt-Pipelines oder durch Übernahmen kleinerer Wettbewerber.
Das unterstreicht, wie wichtig die Titelauswahl im Gesundheitssektor ist. Die Gewinne werden durch starke, langfristige, demografische Trends angekurbelt, von denen aber nicht alle Firmen gleichermaßen profitieren werden. Ein fundiertes wissenschaftliches Verständnis ist daher unseres Erachtens zentral, um wichtige Erkenntnisse zu gewinnen und resiliente, wachstumsstarke Unternehmen aufzuspüren. Die Mühe lohnt aber, denn Gesundheitsaktien bieten, wie gezeigt, gerade auch in schwierigen Konjunkturphasen eine überdurchschnittliche Wertentwicklung.
Erin Xie betreut den BlackRock Global Funds (BGF) – World Healthscience Fund. Mehr dazu erfahren Sie hier.
https://www.dasinvestment.com/fonds/vergleich/LU0171307068?index=1041