Es ist der nächste Paukenschlag in der deutschen Insurtech-Szene: Das Heidelberger Unternehmen Getsafe hat einen „radikalen Strategiewechsel“ angekündigt. Das berichtet aktuell das „Handelsblatt“. Künftig will das Start-up Versicherungen ohne die eigene Bafin-Versicherungslizenz anbieten.
Stattdessen will Getsafe als reiner Assekuradeur verstärkt mit anderen Versicherern kooperieren. Als solcher übernimmt das Unternehmen die meisten Tätigkeiten eines traditionellen Versicherers, wie etwa den Vertrieb und die Schadenabwicklung. Die Risiken tragen aber ein oder mehrere andere Versicherer.
Fokus auf das Geschäft als Assekuradeur
„Die Lizenz bietet uns keinen Wettbewerbsvorteil mehr. Deshalb werden wir sie im Laufe des Jahres zurückgeben“, sagte Firmengründer Christian Wiens in einem Gespräch mit dem „Handelsblatt“. Die bestehenden Verträge sollen auf andere Versicherer übertragen werden. Ob das Unternehmen hier bereits nach neuen Partnern sucht oder diese bereits gefunden hat, geht aus dem Medienbericht nicht hervor.
Den größeren Teil des Umsatzes erzielt die Gruppe nach eigenen Angaben schon heute mit der Tätigkeit als Assekuradeur. Getsafe vermittelt Wiens zufolge inzwischen ein Beitragsvolumen von mehr als 500 Millionen Euro, mit Fokus auf Lebens- und Krankenversicherungen. Mit dem Kurswechsel erhofft sich Getsafe laut des Berichts über alle Sparten hinweg jetzt ein schnelleres Wachstum. Auch bleibe man operativ unabhängig.
Wiens: Lizenz brachte Getsafe Glaubwürdigkeit im Markt
Zeit und Geld, das die Heidelberger in die Beantragung der Sachversicherungslizenz gesteckt hatte, sieht Wiens offenbar dennoch als sinnvolle Investition an.
In einer Unternehmensmitteilung wird er wie folgt zitiert: „Die eigene Lizenz hat uns geholfen, unsere Technologie entlang der gesamten Wertschöpfungskette aufzubauen und als neuer Marktteilnehmer Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Für unser Ziel, die führende Versicherungsplattform für digitale Kund:innen über alle Sparten hinweg zu werden, ist der Weg über eigene Lizenzen zu langsam und weniger flexibel. Wir haben erkannt, dass der zentrale Mehrwert für uns und unsere Kunden in der Technologie und im breiten Angebot liegt.“
Ottonova hätte angeblich ein Partner sein können
Eine Alternative zur Rückgabe der Lizenz wäre für ihn laut des Medienberichts gewesen, mit einem Versicherer mit Lebens- oder Krankenversicherungslizenz zusammenzugehen, sagt Wiens: „Optionen hätte es gegeben, wir gehen nun aber einen anderen Weg.“ Namen nannte Wiens nicht. Mit Ottonova gäbe es aber ein Insurtech mit Krankenversicherungslizenz am Markt, das möglicherweise als Fusionspartner infrage gekommen wäre, spekuliert das „Handelsblatt“. In der Gewinnzone befindet sich das Münchener Unternehmen indes nach vielen Jahren noch nicht.
Vor wenigen Monaten stand Lizenz noch nicht zur Debatte
Getsafe war seit Gründung kommunikativ stets sehr offensiv aufgetreten, wollte den Markt regelrecht revolutionieren und betonte dabei immer wieder die Erfolgsaussichten des jeweiligen Geschäftsmodells. Insofern wirft die aktuelle Entscheidung auch Fragen auf. Denn trotz der Entwicklung hin zu immer mehr Assekuradeurs-Geschäft hielt man bis zuletzt in der Außendarstellung an den Plänen für das Angebot eigener Kranken- und Lebensversicherungen fest.
Bei einer exklusiven Befragung von DAS INVESTMENT zum Jahresbeginn sprach man unserer Redaktion gegenüber davon, dass sich bei Getsafe weiter alles um Technologie drehe, in die man weiter investieren wolle, zum Beispiel in der Erhebung und Analyse von Daten und in die Anwendung von Künstlicher Intelligenz. Über die Getsafe-App erhalten die aktuell etwa 500.000 Kunden laut Unternehmensangaben unter anderem eine KI-gestützte Beratung und eine Sofortregulierung von Schäden. Vom Umgang mit der Bafin-Lizenz war damals allerdings keine Rede.
Jetzt heißt es aus dem Unternehmen: „Versicherung basierte jahrzehntelang auf Lizenz, Kapital und Vertrieb. Wir bauen sie neu – mit KI“, sagt Wiens. „Unsere KI-Agenten übernehmen heute schon einen Großteil von Schadenregulierung, Beratung und Vertragsabschluss.“ Man wolle zünftig vollständig auf seine technologiegetriebene MGA-Plattform (Managing General Agent) setzen. Ziel sei es, das Mehrsparten-Geschäft effizienter und skalierbarer abzubilden. Nach eigenen Angaben hat Getsafe bereits mehr als 50 Millionen Euro in seine Plattform investiert.
Zuletzt kleines Plus im Versicherungsgeschäft
Immerhin ist Getsafe das einzige deutsche Insurtech aus der Gründungswelle seit dem Jahr 2015, bei dem zumindest das Versicherungsgeschäft heute profitabel ist. Im Jahr 2024 stand beim Sachversicherer der Gruppe den Prämieneinnahmen von 25,6 Millionen Euro ein Gewinn im Versicherungsgeschäft von knapp 700.000 Euro gegenüber Für das Gesamtunternehmen rechnete man im Sommer 2024 indes noch mit einem niedrigen siebenstelligen Verlust für das abgelaufene Jahr. Wiens kündigte damals an, die Gewinnschwelle 2025 erreichen zu wollen.
Wechselvolle Unternehmensgeschichte in zehn Jahren
Gestartet war Getsafe 2015 als digitaler Versicherungsmakler mit einer App zur Verwaltung von Versicherungspolicen. 2019 begann der strategische Wandel zum eigenen Versicherungsanbieter in Kooperation mit der Munich Re. 2021 erhielt Getsafe die Bafin-Lizenz für Schaden- und Unfallversicherungen. Zwischenzeitlich expandierten die Heidelberger nach Großbritannien
Im Jahr 2024 erweiterte Getsafe sein Geschäftsmodell durch die Übernahme des deutschen Portfolios von Luko Insurance und die Einführung eines „Carrier-as-a-Service“-Angebots für externe Assekuradeure. Im Sommer 2024 scheiterte wiederum die Übernahme des Konkurrenten Friday am Veto von dessen Eigentümer Baloise. Wiens hatte die Übernahme oder Fusion als wichtigen Baustein für das weitere Wachstum und die Diversifikation des Portfolios ins Auge gefasst. Friday wurde schließlich von der Allianz-Tochter Allianz Direct übernommen.
Auch andere Versicherer gaben Lizenz bereits auf
Getsafe ist nicht das erste Start-up, das die Versicherungslizenz zurückgibt. Der Gewerbeversicherer Mailo hatte das bereits im Jahr 2022 getan. Andere Akteure verabschiedeten sich nach finanziellen Schwierigkeiten aus dem deutschen Markt – wie etwa Coya und Wefox, dessen Versicherer mit liechtensteinischer Lizenz operierte. In diesem Jahr rutschte der Berliner Digitalversicherer Element in die Insolvenz und produzierte monatelange Negativschlagzeilen, die auch immer mehr die Frage aufwarfen, ob es überhaupt noch die Chance für eine positive Wende im deutschen Insurtech-Markt gibt.
Bei Getsafe scheint die Rückgabe der Lizenz dagegen zumindest eine bewusste geschäftspolitische Entscheidung ohne existenzielle Krise zu sein.