Investmentchefs von American Century Investments Gibt es in der Geldpolitik eine weiche Landung?
Finanzexperten diskutieren, ob den Notenbanken, allen voran der US-amerikanischen Federal Reserve (Fed), in den nächsten sechs bis zwölf Monaten ein sogenanntes „Soft Landing“ gelingen wird. Gemeint ist, ob die Geldpolitik so fein gesteuert werden kann, dass sich zwar die Konjunkturdynamik abkühlt und damit einhergehend die Teuerung verlangsamt, aber nicht gleichzeitig die Wirtschaft so stark einbricht, dass es zu einer Rezession kommt.
Fed-Chef Jerome Powell glaubt, dass die Notenbank diese Gratwanderung meistern kann. Wir hingegen haben unsere Zweifel. Die historische Wechselwirkung zwischen Inflation und Fed Funds Rate zeigt ein klares, konsistentes Muster. Straffungszyklen der Fed haben in der Regel zu Rezessionen geführt, insbesondere wenn die Inflation hoch und steigend war (siehe Abbildung 1). Heute sind die Umstände – sei es im Inland oder global – sowohl von ihrer Art als auch ihrer Natur her noch außergewöhnlicher und dramatischer.
- Die Inflation liegt in den USA im Jahresvergleich bei 8,6 Prozent, so hoch wie seit 1981 nicht mehr (Stand: Ende Mai 2022)
- Die Geldmenge in den USA ist in den letzten zwei Jahren um 42 Prozent gestiegen, was einem 80-Jahres-Hoch entspricht
- Die kurzfristigen Zinssätze sind in den USA, in Europa und in den meisten Industrieländern immer noch auf oder nahe einem Rekordtief
- Das Haushaltsdefizit der USA (insgesamt 678 Milliarden US-Dollar in der ersten Hälfte des Jahres 2022) ist das größte seit dem Zweiten Weltkrieg
- Das Verhältnis der Verschuldung auf Bundesebene zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA ist mit 123 Prozent im vierten Quartal 2021 nahe am Allzeithoch
- Die Preise für viele Rohstoffe und landwirtschaftliche Erzeugnisse befinden sich auf einem Rekordhoch
- Der Einmarsch Russlands in die Ukraine ist der erste große Krieg in Europa seit fast 80 Jahren
- Die Volkswirtschaften haben sich noch nicht vollständig von Covid-19, der ersten Pandemie seit 100 Jahren, erholt.
Umso schwieriger erscheint uns eine sanfte Landung, zumal das Zusammentreffen all dieser Elemente darauf hindeutet, dass seismische Verschiebungen in der globalen geopolitischen und wirtschaftlichen Ordnung stattfinden. Kräfte wie die Globalisierung, technologische Innovationen und die demografische Alterung haben die globale sozioökonomische Landschaft in den letzten 40 Jahren dominiert. Sie alle wirkten deflationär. Doch nun zeichnen sich neue säkulare Trends ab, die in die andere Richtung weisen.
Der vielleicht tiefgreifendste ist eine mögliche Verlagerung von der Globalisierung hin zu einer neuen Weltordnung. Der renommierte China-Wissenschaftler Michael Schuman vom Atlantic Council hat es treffend formuliert: „Die russische Invasion in der Ukraine und eine Reihe von Covid-bedingten Lockdowns in China scheinen auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam zu haben. Dennoch beschleunigen beide einen Wandel, der die Welt in eine gefährliche Richtung führt. Es könnten sich zwei halbwegs getrennte Sphären herausbilden – mit engeren wirtschaftlichen Verbindungen im Innenverhältnis, aber weniger Austausch und Handel im Außenverhältnis. Beide Sphären werden unterschiedliche Technologien nutzen und auf der Grundlage unterschiedlicher politischer, sozialer und wirtschaftlicher Normen arbeiten.“
Reibungsverluste durch Anpassung an neue Weltordnung
Wenn diese säkulare Verschiebung anhält, bedroht sie die wirtschaftliche Interdependenz und die globalen Lieferketten, die in den vergangenen Jahrzehnten sorgfältig aufgebaut wurden. Eine zunehmend gespaltene Welt würde die globalen Handels-, Kapital-, Arbeits-, Rohstoff-, Technologie- und Produktionsströme verringern und zu Engpässen und höheren Kosten führen.
1.200% Rendite in 20 Jahren?
Diese neue Weltordnung würde uns zwingen, die Art und Weise, wie wir produzieren, konsumieren, handeln und Preise festlegen, anzupassen. Die Nationen würden sich auf einen schmerzhaften und langwierigen Prozess einlassen, der sich über mehrere Jahre bis Jahrzehnte erstrecken und die Finanzmärkte und Investitionsentscheidungen beeinflussen würde.
Dies ist der Hintergrund, vor dem wir Preis- und Renditeentwicklungen der letzten Monate sehen: Die Inflation und die Zinsen haben wohl schon im Jahr 2020 ihren historischen Tiefpunkt erreicht, und der Trend zeigt jetzt nach oben. Die anhaltend hohe Inflation wird die Fed und andere große Zentralbanken weiterhin dazu zwingen, die Zinssätze zu erhöhen und ihre Bilanzen durch das Auslaufen von Fälligkeiten und aktive Verkäufe von Vermögenswerten zu verkleinern. Der robuste Arbeitsmarkt schafft den Spielraum für diese restriktivere Geldpolitik, täuscht aber darüber hinweg, dass Arbeitsmarktzahlen unter den Makrodaten diejenigen sind, deren Informationsgehalt der Entwicklung stark hinterher hinkt. So ist es fraglich, ob die Fed rechtzeitig wieder umsteuern wird, um einen harten Aufprall abzufedern.
Der vorgesehene Liquiditätsentzug ist für die Finanzmärkte schon jetzt ein beachtlicher Belastungsfaktor. Ob und inwieweit dadurch auch die Gesamtwirtschaft abgeschwächt und letztlich die Inflation eingedämmt wird, lässt sich heute noch nicht absehen. Ein „Soft Landing“ wäre zwar wünschenswert, ist aber eine schwierige Gratwanderung und in der Historie nur selten gelungen. Höhere Renditen am Rentenmarkt werden die Befürchtung verstärken, dass die Fed in den kommenden Quartalen eine solche weiche Landung hinbekommt.
Über die Autoren: Victor Zhang ist Investmentchef bei American Century Investments, John Lovito ist Co-Investmentchef internationale Anleihen bei American Century Investments.