DAS INVESTMENT: Alte Gewissheiten rund um Gold scheinen ihre Gültigkeit eingebüßt zu haben: Obwohl es mittlerweile wieder Zinsen gibt, steigt der Preis des zinslosen Goldes trotzdem immer weiter. Wie erklären Sie sich das?

Adrian Ash: Westliche Analysten und Händler haben festgestellt, dass die Funktionsweise der Goldpreise durch die starke chinesische Nachfrage auf den Kopf gestellt wurde: Die Zentralbanken, allen voran China, bauen ihre Goldreserven weiter aus, um ihr Portfoliorisiko zu streuen und sich vor den möglichen Auswirkungen westlicher Finanzsanktionen zu schützen, wie sie gegen Russland verhängt wurden. Die Nachfrage der privaten Haushalte in Asien ist stark, angetrieben durch das Wirtschaftswachstum in Indien und Chinas sprunghaft steigende private Investitionen aufgrund der Volatilität des Finanzmarktes.

Westliche Anleger hingegen müssen sich dem derzeitigen Aufwärtstrend des Goldes erst noch anschließen. Tatsächlich haben Investoren in Nordamerika und Westeuropa seit Anfang 2023 insgesamt Nettoverkäufe von Münzen, Barren und ETFs getätigt. Die in Deutschland börsennotierten Goldfonds sind jetzt die kleinsten seit fünf Jahren.

Wenn sich dieser Trend umkehrt – sei es aufgrund neuer finanzieller Spannungen oder einer neuen geopolitischen Krise – wird der Zustrom westlicher Anlagegelder den Aufwärtsdruck, der bereits von den großen Verbrauchermärkten für Gold in Asien ausgeht, weiter verstärken.

Welches ist denn momentan die beliebteste Anlageform von Gold? Selbst verwaltete Barren, Tresorgold oder ETFs? Und wie unterschieden sich hier Privat- von professionellen Anlegern?

Ash: Die Nachfrage nach Gold variiert je nach Markt und Zielgruppe. Westliche börsengehandelte Goldfonds werden typischerweise zu etwa 30 Prozent von Fondsmanagern und anderen professionellen Anlegern nachgefragt. Insgesamt sind sie jedoch seit 2022 rückläufig, besonders in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Die Nachfrage nach Münzen und Kleinbarren ist ebenfalls stark gesunken: In Deutschland sank die Nettonachfrage 2023 um 75 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und halbierte sich im ersten Quartal 2024 im Vergleich zum Vorjahr erneut.

 

Und wie sieht es beim Tresorgold aus?

Ash: Die Investitionen in Tresorgold sind weniger sichtbar, da Geschäftsbanken und viele kleinere Konkurrenten keine Daten über die Bestände oder das Engagement ihrer Kunden veröffentlichen. Bei Bullionvault sind die Abflüsse zwar geringer, aber kontinuierlich. Neun von zehn der 100.000 Kunden leben in Nordamerika oder Westeuropa und sind selbstgesteuerte Privatanleger. Sie halten in der Regel etwa 10.000 Euro in sicher gelagerten und versicherten Edelmetallen.

Seit dem Rekordhoch im letzten Sommer haben unsere Benutzer 6 Prozent ihres Goldbestandes liquidiert, während der Wert ihrer Bestände in Euro um 12 Prozent gestiegen ist und einen neuen Rekordwert von über 3,1 Milliarden Euro erreicht hat.

Und auf dem chinesischen Markt?

Ash: Gold ist auf diesem riesigen Markt inmitten der wirtschaftlichen Abschwächung und der Finanzkrise in China zur wichtigsten Anlageform für Fachleute und private Haushalte geworden. Die Metallentnahmen an der Shanghai Gold Exchange (SGE) beliefen sich im ersten Quartal 2024 auf insgesamt 522 Tonnen. Die Verbrauchernachfrage nach Schmuck, Münzen und kleinen Barren – zuzüglich der Zuflüsse in chinesische börsengehandelte Goldfonds – summierten sich auf nur 330 Tonnen.

Damit bleibt eine Nachfrage von fast 200 Tonnen im Wert von fast 12 Milliarden Euro unberücksichtigt, was größer ist als die Münz- und Barrennachfrage des chinesischen Einzelhandels, der Schmuckverbrauch oder die Zuflüsse in ETFs in diesem Zeitraum.

Wo sind diese 200 Tonnen denn abgeblieben?

Ash: Da die Chinesische Zentralbank keine Ankäufe über das SGE tätigt, sind diese 200 Tonnen höchstwahrscheinlich zur Deckung der Nachfrage nach Tresorgoldprodukten verwendet worden, die online oder über mobile Apps gehandelt werden. Die Chinesische Zentralbank hat ihre App vor mehr als einem Jahrzehnt eingeführt. Inzwischen gibt es auch Goldhandels-Apps auf großen Plattformen wie Ant Fortune, JD.com Finance und Tencent.