Finanzexperte Bernhard Matthes
Hoher Goldpreis: überraschend oder erwartbar?

Finanzexperte Bernhard Matthes
Seit Mitte 2022 sind die Preissteigerungsraten wieder rückläufig. Doch noch wirkt die über die letzten Jahre durch die lockere Geldpolitik der Notenbanken geförderte Inflation fort. In Jahren der Null- und Negativzinspolitik wurde die Saat für Preissteigerungen gelegt, primär als „Schatteninflation“ – einer erhöhten Vermögenspreisinflation, die erst mit Zeitverzug ihren Weg in die Verbraucherpr...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Seit Mitte 2022 sind die Preissteigerungsraten wieder rückläufig. Doch noch wirkt die über die letzten Jahre durch die lockere Geldpolitik der Notenbanken geförderte Inflation fort. In Jahren der Null- und Negativzinspolitik wurde die Saat für Preissteigerungen gelegt, primär als „Schatteninflation“ – einer erhöhten Vermögenspreisinflation, die erst mit Zeitverzug ihren Weg in die Verbraucherpreise findet.
Der zusätzliche extreme Fiskalstimulus während der Coronakrise führte absehbar zu den massiven Preissprüngen der Jahre 2021 und 2022. Der Goldpreis antizipierte diese Entwicklung mit präziser Treffsicherheit: Gold reagiert in Echtzeit auf monetäre Inflation.
Zum Zeitpunkt der Entstehung des Geldmengenüberhangs performte Gold erwartungsgemäß und zeigte im Jahr 2020 eine Wertentwicklung von 14,9 Prozent. In den Folgejahren – als die Preissteigerungen sichtbar wurden, das Geldmengenwachstum aber bereits wieder zurückging – war hingegen eine etwas schwächere Entwicklung des Goldpreises vollständig erklärt.
Die Hoffnung der Märkte auf eine rasche Rückkehr der Inflationsraten auf das 2-Prozent-Ziel der Notenbanken wurde zuletzt enttäuscht, speziell in den USA zeigt sich die Inflation hartnäckiger als gedacht. Dies führte zu einem Auspreisen der üppigen Zinssenkungshoffnungen. Daraus resultierende höhere Zinsen für eine längere Zeit wären für sich genommen ein Belastungsfaktor für ertragsfreies Gold. Nicht aber, wenn Goldkäufer das künftige Inflationspotential als bedrohlicher einschätzen als den Verlust an realem Zinseinkommen, welches sie als Opportunitätskosten aufgeben.
Neben zyklischen Aspekten (Ölpreis, hohe Wohnkosteninflation, hohe Lohnabschlüsse) spricht eine Vielzahl struktureller Faktoren für künftig erhöhten Inflationsdruck: Die Neuausrichtung globaler Lieferketten („Onshoring“), eine restriktivere Handelspolitik und Protektionismus, der Wegfall der Friedensdividende und das Aufflammen immer neuer geopolitischer Konflikte, der politische forcierte Umbau der Energieversorgung und die immer weiter zunehmenden Fiskaldefizite wirken allesamt preistreibend.
Spätestens seit das fiskalische Füllhorn im Zuge der Corona-Hilfspakete reichlich ausgeschüttet wurde, haben die Entscheidungsträger gelernt, dass Fiskalstimulus politisch opportun ist: Der vereinnahmbare Nutzen liegt innerhalb der Amts- und Wiederwahlperioden. Die Kosten wie Risiken für die Stabilität der Staatsfinanzen und die Gefahr der neuerlichen Monetarisierung der Fiskaldefizite meist außerhalb. Die politische Bereitschaft zu einer Rückkehr zu geordneten Staatsfinanzen ist in den westlichen Staaten derzeit kaum irgendwo vernehmbar.
Einige Anleger begegnen der scheinbar billigend in Kauf genommenen Überforderung der Staatsfinanzen mit Misstrauen. Sie ahnen (etwa aus Erfahrungen der Eurokrise oder der Beinahe-Krise in Großbritannien unter Liz Truss), wie schnell der eingeschlagene Kurs in einer ungeordneten Finanzierungskrise münden kann. Schon ein solcher Vertrauensentzug der Märkte könnte Auslöser für eine systemische Krise werden, deren Bekämpfung dann hochgradig inflationär wirkender Instrumente bedürfte.
Insbesondere bei hoher Verschuldung profitieren Staaten von der Inflation, da diese ihre Schulden entwertet. Insofern ist es für Staaten interessant, den Mechanismus der realen Entwertung wirken zu lassen – in Frühzeiten der Geldgeschichte über Münzverschlechterung, heute über die Druckerpresse. Als Indiz für die geringe Bereitschaft, zum Prinzip der Geldwert- und Preisstabilität zurückzukehren, kann auch die überraschende Entscheidung der Bundesrepublik des Vorjahres gewertet werden, die Ausgabe neuer inflationsindexierter Bundesanleihen einzustellen.
Die Inflation wird zum geduldeten Dauerzustand und nagt beständig an der Werthaltigkeit von Vermögen. Die fortgesetzte finanzielle Repression kann auf höherem nominalen Zinsniveau genauso schädlich wirken wie zum Beispiel bei nominal niedrigen oder negativen Zinsen, wenn die Inflation beständig oberhalb erzielbarer Anlagerenditen liegt.
Die robuste Nachfrage nach dem Edelmetall in den letzten Monaten wird primär physischen Goldkäufern in der östlichen Hemisphäre zugeschrieben. Die chinesische, aber auch andere asiatische Notenbanken kaufen Gold im großen Stil. Gleichzeitig nehmen die Bestände in westlichen ETFs ab. Auslieferungen physischer Bestände in London oder New York werden nach Asien oder in den Nahen Osten verschifft.
Gold wandert damit in erheblichem Umfang von West nach Ost. Hier zeigt sich eine klare Erkenntnis: Während das Systemvertrauen im Westen noch hoch ist, sehen östliche Marktteilnehmer die klare Notwendigkeit einer Versicherung gegen Systeminstabilität und fragen ein von westlicher Finanzinfrastruktur unabhängiges Instrument nach.
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Fast zwei Jahrzehnte war er für die DWS tätig und managte zwei bekannte Strategien
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