Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Rohstoff-Experte Benjamin Louvet
Weshalb die aktuelle Goldrally keine Spekulationsblase ist
Benjamin Louvet ist Head of Commodities bei Ofi Invest Asset Management. Bildquelle: Ofi Invest Asset Management / Canva
Verliert Gold seinen Status als „sicherer Hafen“ und ist der Preis nur durch Spekulation getrieben? Nein, sagt Benjamin Louvet – und begründet im Beitrag, warum er das so sieht.
Gold hat die historische und symbolische Schwelle von 4.000 US-Dollar pro Unze überschritten. Seit Jahresbeginn ist der Goldpreis um mehr als 50 Prozent gestiegen – der höchste Anstieg seit 1979. Damals ist Gold inmitten der Energiekrise und der damit einhergehenden Inflationswelle um 127 Prozent in die Höhe geschossen.
Manche mögen die Preisentwicklung von Gold seit Jahresbeginn als Spekulationsblase bezeichnen, aber eine genauere Analyse zeigt, dass sie durch starke Fundamentaldaten gestützt ist. Der Preisanstieg liegt vor allem in seiner Funktion als „sicherer Hafen“ in einem zutiefst instabilen wirtschaftlichen, monetären und geopolitischen Umfeld begründet.
Staatsverschuldungen bleiben Hauptgrund für den Anstieg
Der Hauptfaktor für den Anstieg des Goldpreises bleibt die Verschuldung der großen Volkswirtschaften wie den Vereinigten Staaten, Japan und China. Diese Verschuldung zwingt die Zentralbanken dazu, die Zinsen mittelfristig niedrig zu halten, um die Schuldenlast dieser Länder zu verringern. Die Staatsverschuldung der USA beträgt derzeit 120 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), ein historischer Höchststand in Friedenszeiten.
Zur Veranschaulichung: Ein Anstieg der Zinsen um 1 Prozent, führt letztlich zu zusätzlichen Schuldendienstkosten in Höhe von 1,2 Prozent des BIP, was eine enorme Belastung für die öffentlichen Finanzen darstellt.
Sinkende Realzinsen, die in einigen großen Volkswirtschaften sogar negativ sind, verringern die Opportunitätskosten für das Halten von Gold, das keine Dividenden oder Zinsen abwirft. Dadurch ist Gold zu einer glaubwürdigen Alternative zu Staatsanleihen geworden, deren Renditen zu niedrig sind, um die Geldentwertung auszugleichen.
Reale Vermögenswerte sind in Erwartung einer weiteren geldpolitischen Lockerung durch die US-Notenbank und angesichts der anhaltenden strukturellen Inflation attraktiver geworden. Der Goldpreis wurde durch den Shutdown in den USA aufgrund der Uneinigkeit zwischen dem Weißen Haus und dem Kongress über den Jahreshaushalt vor Ablauf des US-Geschäftsjahres am 30. September zusätzlich in die Höhe getrieben.
Seit 2022 hat sich Zusammenhang zwischen Realzinsen und Goldpreis abgeschwächt
Neben der Finanzlage der USA gibt auch die weltweite Verschuldung Anlass zur Sorge: Insbesondere die Staatsdefizite von Ländern wie Großbritannien, dessen Regierung ihren haushaltspolitischen Spielraum ausgeschöpft hat, und Frankreich, wo Premierminister Sébastien Lecornu Schwierigkeiten hat, eine Mehrheit für die Verabschiedung eines Haushaltsplans zu finden.
Deshalb suchen Anleger und Anlegerinnen nach sicheren Häfen wie Gold, als Reaktion auf das Risiko einer schuldenbedingten Währungsabwertung. Die Märkte sind besorgt über die Tragfähigkeit der US-Schulden, wie die jüngste Herabstufung durch Moody’s zeigt, die zum ersten Mal ihre höchste Bewertung „Aaa“ aus ihrer US-Bonitätsbewertung gestrichen hat. Dies treibt Anleger in Sachwerte wie Gold, das keinem staatlichen Emittenten verpflichtet ist. Kurz gesagt: Gold kann nicht Bankrott gehen.
Seit der Invasion der Ukraine im Jahr 2022 hat sich der traditionelle Zusammenhang zwischen Realzinsen und Goldpreis abgeschwächt. Das Einfrieren der auf US-Dollar lautenden Vermögenswerte Russlands hat das Vertrauen in den US-Dollar als sicheren Hafen untergraben, insbesondere in Asien. Infolgedessen wird der Goldpreis zunehmend in Asien statt im Westen festgelegt, wobei chinesische und indische Investoren eine immer wichtigere Rolle spielen.
Diese Verlagerung spiegelt den wachsenden Wunsch nach einer Diversifizierung der Währungsreserven wider, in einer Welt, in der geopolitische Spannungen und Wirtschaftssanktionen das Verhältnis zwischen den Währungen neu gestalten.
Großer Einfluss der Zentralbanken
Auch der Einfluss der Zentralbanken darf nicht übersehen werden. Da sie große Mengen an Gold horten, um ihre Reserven zu diversifizieren und sich unabhängiger vom US-Dollar zu machen. Die Zahlen sprechen für sich: In den letzten drei Jahren haben die Zentralbanken mehr als 1.000 Tonnen Gold gekauft, was mehr als 20 Prozent des Weltmarktes ausmacht.
43 Prozent der vom World Gold Council im Jahr 2025 befragten Zentralbanken gaben an, dass sie ihre Goldbestände innerhalb der nächsten zwölf Monate aufstocken wollten, und keine plant, Gold zu verkaufen. Im Gegensatz zu Anleihen, die einen großen Teil ihrer Reserven ausmachen, gibt es bei Gold keine Kontrahentenrisiken. Zu beachten ist auch, dass Zentralbanken im Gegensatz zu anderen Finanzmarktakteuren mit ihrem Gold Einnahmen erzielen können, indem sie es an andere Unternehmen verleihen.
Was die Zuflüsse in Gold angeht, gibt es noch viel Potenzial. Tatsächlich macht Gold immer noch weniger als 2,5 Prozent der Finanzinvestitionen aus (Quelle: Bank of America Global Fund Manager Survey, September 2025). Einige professionelle Anleger empfehlen, die Allokation in Gold auszubauen: Ray Dalio beispielsweise, Gründer des Investmentfonds Bridgewater, empfiehlt, 15 Prozent des Vermögens in Gold zu investieren. Mike Wilson, Chief Investment Officer bei Morgan Stanley, nennt sogar eine Allokation von 20 Prozent.
Fazit: eine strategische Diversifizierung
Edelmetalle sind keine Kernanlage eines Portfolios, sondern dienen der Diversifizierung. In einer unsicheren Welt können sie eine stabilisierende Rolle spielen. Eine Allokation in Gold und, allgemeiner gesagt, in Edelmetalle muss moderat sein, da die Märkte volatil und anfällig für exogene Schocks sind. Unserer Ansicht nach wird Gold jedoch seinen Status als sicherer Hafen behalten, solange das globale Schuldenproblem nicht gelöst ist.
Trotz seiner soliden Fundamentaldaten ist Gold nicht risikofrei. Nach solch starken Kursanstiegen ist kurzfristig eine technische Korrektur möglich, die jedoch unserer Meinung nach den zugrunde liegenden Trend nicht beeinträchtigen wird.
Das Hauptrisiko besteht nach wie vor darin, dass die Realzinsen schneller als erwartet steigen, was Gold gegenüber Anlagen wie Aktien und Anleihen, die regelmäßige Erträge abwerfen können, unattraktiver machen würde. Gold hat diese Eigenschaft nicht; die einzigen Gewinne werden aus Kapitalgewinnen beim Verkauf erzielt.
Ebenso könnte eine deutliche Verbesserung der finanzpolitischen Aussichten in den wichtigsten Volkswirtschaften die Nachfrage nach sicheren Anlagen verringern.
Ein letzter Faktor, den es zu beobachten gilt, ist die Spekulation. Ein übermäßiger Anstieg des Marktrisikos durch Derivate oder ETFs könnte zu Instabilität führen. Derzeit sind solche Risiken zwar moderat, dennoch ist Vorsicht geboten.
