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Griechenland – Fass ohne Boden?

Daniel Hartmann
Daniel Hartmann
Dauerbrenner Griechenland

Für viele ist nunmehr endgültig klar: Griechenland ist ein hoffnungsloser Fall. Nach zwei Rettungspaketen mit einem Volumen von 240 Milliarden EUR und eineinhalb Schuldenschnitten, hält die »Wiege Europas« erneut die Hand auf. Selbst die Bundesregierung muss eingestehen, dass ein drittes Rettungspaket unvermeidlich ist.

Die Aufregung darüber ist groß, zumal Griechenland mit einer aktuellen Schuldenstandsquote von über 170 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) mehr denn je von einer Stabilisierung entfernt erscheint. Politiker und Ökonomen fordern daher einen nochmaligen Schuldenschnitt – dieses Mal unter Beteiligung der öffentlichen Gläubiger. Nur dies würde Griechenland die Luft zum Atmen verschaffen und die endlose Serie an Rettungsaktionen beenden.

Ist die Lage aber wirklich so trostlos? Ein wesentlicher Unterschied zu früheren Griechenlandkrisen besteht darin, dass die jüngste Finanzierungslücke nicht durch Schlamperei oder Misswirtschaft der Hellenen verursacht wurde. Die Notwendigkeit weiterer Hilfen ergibt sich vielmehr daraus, dass Griechenland noch nicht kapitalmarktfähig ist.

Im Übrigen wurden weitere Hilfen bereits im Rahmen des zweiten Rettungspakets avisiert. So heißt es im Statement der Eurogruppe vom 27. November 2012, dass die Eurostaaten »zusätzliche Maßnahmen und Unterstützung prüfen werden«, sobald Griechenland einen Primärüberschuss aufweist.

Wie groß wird das dritte Hilfspaket?

Ein Staat wendet sich aus zwei Gründen an die Kapitalmärkte: Wegen der Finanzierung neuer Schulden und der Refinanzierung seiner Altschulden. Griechenland ist derzeit weder zum einen noch zum anderen in der Lage, weshalb die Euroländer (und der IWF) in die Bresche gesprungen sind.

Die Finanzierung ist allerdings nur bis Mitte 2014 gesichert. Da Griechenland auch danach noch nicht kapitalmarktfähig sein dürfte, muss die Alimentierung durch die Euroländer fortgesetzt werden. Mit welchen zusätzlichen Beträgen ist zu rechnen?


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Was das laufende Haushaltsdefizit anbelangt, hat Griechenland in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte gemacht (vergleiche Tabelle 1 und Abbildung 1). 2009 startete das Land mit einem öffentlichen Budgetdefizit von 36 Milliarden EUR (= 15,6 Prozent des BIPs). 2012 waren es noch 12 Milliarden EUR (= 6,3 Prozent des BIPs). Für 2013 deuten sich weitere Verbesserungen an. Demnach hat der Zentralstaat (verwaltet 50 Prozent des Budgets) zwischen Januar und Juli gerade einmal ein Defizit von 1,9 Milliarden Euro erzeugt – im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es noch 13,2 Milliarden Euro.

Zu dieser günstigen Zwischenbilanz haben zwar auch Sonderfaktoren beigetragen, dennoch ist davon auszugehen, dass Griechenland 2013 zumindest das mit der Troika vereinbarte Defizitziel von 7,5 Milliarden EUR einhält (= 4,1 Prozent des BIPs), wenn nicht sogar leicht unterschreitet.


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Der Betrag von 7,5 Milliarden Euro entspricht im Übrigen ziemlich exakt den gesamten Zinsausgaben Griechenlands. Mithin würde ein erstes Etappenziel der Haushalskonsolidierung erreicht: Der Primärsaldo (Staatseinnahmen minus Staatsausgaben ohne Zinsausgaben) wäre ausgeglichen.

Sollten sich die Griechen auch in den kommenden Jahren an die Vereinbarungen halten – die jüngsten Erfolge machen dahingehend Mut –, sinkt das Defizit bis 2016 auf 1,5 Milliarden Euro (= ca. 0,8 Prozent des BIPs). Der sich ergebende Finanzierungsbedarf aus der Neuverschuldung wird somit aller Voraussicht nach für die Jahre 2015/2016 vergleichsweise gering ausfallen (zusammen ca. 5,5 Milliarden Euro) und dürfte danach Richtung null sinken.


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Die Refinanzierung der riesigen Altschulden würde Griechenland unter normalen Umständen vor große Herausforderungen stellen. Für gewöhnlich muss ein Staat etwa 20 Prozent seiner Schulden jährlich tilgen und wieder neu am Kapitalmarkt aufnehmen. Im Falle Griechenlands wären dies über 60 Milliarden Euro pro Jahr. Die Hellenen sind mittlerweile aber wesentlich langfristiger finanziert (vergleiche Tabelle 2):

  • Die ohnehin bereits lang laufenden Kredite der Euroländer, die inzwischen die mit Abstand größten Gläubiger sind (tragen 60 Prozent aller Schulden), wurden Ende 2012 um 15 Jahre verlängert und werden daher erst nach 2030 fällig.
  • Anleihen, welche die privaten Gläubiger im Zuge des Zwangsumtausches erworben haben, müssen nicht vor 2023 zurückbezahlt werden.
  • Kurz laufende Staatsanleihen besitzen mittlerweile nur noch die EZB, einige nationale Notenbanken sowie die wenigen privaten Gläubiger, die sich 2012 dem Schuldenschnitt entziehen konnten. Ein Großteil dieser Anleihen (18 Milliarden Euro) wird aber bereits 2014 fällig und ist daher durch das aktuelle Programm gedeckt.

Den Refinanzierungsbedarf für Altschulden in den Jahren 2015 und 2016 taxiert der IMF deshalb gerade einmal auf knapp 8,0 Milliarden Euro.

Per Saldo dürfte daher ein dritte Hilfspaket in Höhe von ca. 15 Milliarden Euro ausreichen, um den Geldbedarf Griechenlands bis Ende 2016 sicherzustellen. Wollen die Euroländer bis 2018 für Ruhe sorgen, ist mit ca. 25 Milliarden Euro zu rechnen. Dieses Volumen könnte ohne Weiteres über den ESM gestemmt werden, der noch über eine Ausleihekapazität von 450 Milliarden Euro verfügt.

Ist ein weiterer Schuldenschnitt zwingend?

Anders als bei den ersten beiden Programmen wird das dritte Paket – wegen der voraussichtlich geringen zusätzlichen Neuverschuldung – nicht mit einer Erhöhung der Defizitquote einhergehen. Die wesentliche Folge des dritten Programms wird stattdessen eine nochmalige Verschiebung in der Gläubigerstruktur sein. Ende 2016 dürften die Euroländer und der IWF über 80 Prozent aller Griechenlandkredite in Händen halten (gegenüber 60 Prozent 2012).


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Die Entwicklung der Schuldenstandsquote hängt vor allem von der künftigen Höhe der jährlichen Neuverschuldung und dem Wirtschaftswachstum ab. Gelingt es den Griechen, das Budgetdefizit bis 2016 auf 1,5 Milliarden Euro zu reduzieren, prognostizieren EU-Kommission und IWF einen Rückgang der Schuldenstandsquote von 175 Prozent auf 160 Prozent (vergleiche Abbildung 2).

160 Prozent ist zwar immer noch ein stolzer Wert – Griechenland bliebe Spitzenreiter in der Eurozone –, dennoch wäre die Trendwende eingeleitet.

Es stellt sich daher die Frage, ob ein neuerlicher Schuldenschnitt wirklich erforderlich ist. Die damit verbundenen Kosten sind unverändert hoch. In den Geberländern müssten die Steuerzahler erstmals für fremde Schulden bluten. Außerdem würden bei anderen Staaten (Portugal, Irland, Spanien) ähnliche Begehrlichkeiten geweckt.

Zur Rechtfertigung eines Schuldenschnitts wird zunächst auf die erdrückende Zinslast verwiesen, die normalerweise mit einer hohen Verschuldungsquote einhergeht. Die Gläubiger haben aber auch in dieser Hinsicht bereits Entgegenkommen gezeigt und den Griechen extrem günstige Konditionen eingeräumt – und dies auf Jahre hinaus (vergleiche Tabelle 2). Die Zinssätze für die Kredite der Euroländer betragen derzeit weniger als 2,0 Prozent. Kaum höher liegt der Durchschnittszins aller Verbindlichkeiten.

Würde man folglich Griechenland zum Beispiel 100 Milliarden Euro an Schulden erlassen, liegt der Einspareffekt bei den Staatsausgaben gerade einmal bei ca. 2,5 Milliarden Euro (pro Jahr). Angesichts der Tatsache, dass Griechenland nicht mehr allzu weit von einem Haushaltsausgleich entfernt ist, erscheint ein solches Zuckerbrot, das mit hohen externen Kosten verbunden ist, nicht zwingend erforderlich.

Als Zweites wird darauf verweisen, dass die Märkte einem Land mit einer Schuldenstandsquote von über 120 Prozent des BIPs kein Vertrauen schenken – selbst unter optimistischen Annahmen dürfte ein solches Niveau erst in 10 Jahren erreicht werden. Gegen dieses Argument lässt sich jedoch einwenden, dass nicht die Höhe der Schuldenstandsquote, sondern deren trendmäßige Entwicklung das eigentlich Entscheidende ist. Wenn Griechenland über Jahre hinweg einen positiven Budgetsaldo aufweist und als Folge davon die Schuldenstandsquote von Jahr zu Jahr fällt, könnte dies bereits ausreichen, um die Märkte von der langfristigen Zahlungsfähigkeit Griechenlands zu überzeugen.

Insgesamt erscheint ein Schuldenschnitt zum aktuellen Zeitpunkt nicht zwingend erforderlich. Jetzt, wo in Griechenland erste Fortschritte sichtbar werden, ist es die bessere Alternative, erst einmal abzuwarten, um zu sehen, ob der Trend einer steigenden Schuldenstandsquote gebrochen wird.

Gelingt der konjunkturelle Tournaround?

Der Erfolg der griechischen Haushaltskonsolidierung hängt neben der konsequenten Umsetzung der getroffenen Sparbeschlüsse insbesondere von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Griechenland erlebte in den vergangenen fünf Jahren die schwerste Wirtschaftskrise aller Zeiten. Das reale und das nominale BIP sind seit Anfang 2008 um über 20 Prozent gefallen. Allein die Entwicklung im Nenner hat somit die Defizitquote (Verschuldung/ nominales BIP) um 30 Prozent nach oben getrieben.

Wie in allen Peripherieländern mehren sich indes seit Jahresbeginn auch in Griechenland die Anzeichen einer konjunkturellen Stabilisierung. Die Stimmungsindikatoren (Einkaufsmanagerindex, Wirtschaftsvertrauen) haben kräftige Sprünge nach oben gemacht und die realwirtschaftlichen Daten (Industrieproduktion, Einzelhandelsumsätze, Pkw- Verkäufe, Baugenehmigungen, BIP) vollziehen zumindest eine Bodenbildung (vergleiche Abbildung 3).


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Was gibt aus fundamentaler Hinsicht Grund zu der Hoffnung, dass dieser Positivtrend anhält und sich die Griechen nachhaltig aus der Rezession befreien? Die Stimulierung des Außenhandels ist auch in Griechenland ein wesentlicher Baustein der Genesungsstrategie. Der Tourismus bietet bereits dieses Jahr Anlass zum Optimismus. Gemäß dem entsprechenden Verband (Sete) lagen die Einnahmen mit ausländischen Gästen im ersten Halbjahr 2013 knapp 20 Prozent über dem Vorjahresniveau.

Aber auch die vergleichsweise kleine Exportindustrie sollte Marktanteile gewinnen. Schließlich hat sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit als Folge der kräftig fallenden Löhne (vergleiche Abbildung 4) markant verbessert.


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Die Kehrseite der Lohndeflation ist natürlich der Kaufkraftverlust bei den Konsumenten. Diese profitieren aber mittlerweile von den parallel rückläufigen Teuerungsraten (seit dem Frühjahr 2013 herrscht Deflation).

Außerdem lässt der Gegenwind vonseiten der Fiskalpolitik nach. Der Schwerpunkt der Haushaltskonsolidierung liegt seit dem vergangenen Jahr bei Einsparungen in der öffentlichen Verwaltung und der Besteuerung von Wohlhabenden (zum Beispiel in Form von Luxussteuern) statt bei Verbrauchsteuererhöhungen sowie Kürzungen von Sozialleistungen.

Das Investitionsklima sollte sich schließlich ebenfalls aufhellen. Unter anderem wegen der bereits durchgeführten Bankenrekapitalisierung, dem Abbau öffentlicher Zahlungsrückstände gegenüber Privatunternehmen (noch über 6 Milliarden Euro) und wegen der effizienteren Abrufung von EU-Geldern für Infrastrukturprojekte.

In Anbetracht dessen erscheinen eine zyklische Stabilisierung im 2. Halbjahr 2013 und ein gering- fügiges Wachstum 2014 – wie es IWF und EU-Kommission in ihren Prognosen unterstellen – realistisch.

Fazit: Griechenland verdient noch eine Chance

Anders als 2010 und 2012 vollzieht sich die Debatte um ein 3. Hilfspaket für Griechenland vor dem Hintergrund rückläufiger Haushaltsdefizite und erster Anzeichen einer zyklischen Erholung. Mithin sind die damit verbundenen Risiken geringer als bei den ersten beiden Programmen. Es spricht daher viel dafür, die Griechenland-Rettung fortzuführen.

Mit einem weiteren Schuldenschnitt sollte man mindestens bis 2016 abwarten. Ist die Schuldenstandsquote bis dahin rückläufig, dürfte Griechenland seine Kapitalmarktfähigkeit zurückerlangen und ein »Hair Cut« obsolet werden.

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