Großer Altersvorsorge-Rountable 8 Experten über Altersarmut, Produktkosten und Berater-Anforderungen
Gehen angesichts des Zinsschwunds bald Schockwellen durch die Bevölkerung?
Overbeck: Damit ist zu rechnen, die Effekte sehen wir jetzt schon bei den Rentnern, die bemerken, dass die Rendite bei den klassischen Produkten abschmilzt. Und wer in zehn Jahren in Rente geht, wird ein ganz großes Problem haben, weil die prognostizierten Renten und Ablaufleistungen nicht mehr eingehalten werden können.
Stenger: Aber wir sehen auch, dass diese Realität langsam in den Köpfen ankommt. Neulich bei einer Konferenz in Köln waren alle überrascht, dass eine Dame vom Zentralen Verband der Verbraucherschutzzentralen auf der Bühne sagte, für die erste Halbzeit des Vertrags möge man doch auf Garantien verzichten, denn diese würden nur Rendite kosten. Wer hätte gedacht, dass wir mal Verbraucherschützer zitieren, weil sie ähnlich wie wir argumentieren?
Opel: Die Frage ist doch, welches Level an Garantien wir ansprechen. Für die bAV wird von den Gutachtern für die Nahles-Rente die Defined Ambition, also eine Zielrente, vorgeschlagen. So könnte es sein, dass damit deutlich mehr Fonds auch in der bAV berücksichtigt werden. Im Moment ist ja die Herausforderung, dass wir in der bAV zum Ablauf eine 100-Prozent-Garantie vorhalten müssen. Ich bin überzeugt, dass an dieser Stelle die Initiative des Gesetzgebers nötig ist, und wir beobachten, dass sich die politische Diskussion in diese Richtung bewegt.
Mancher sieht Hybridprodukte als Ersatz für traditionelle Policen an – also eine Versicherung, deren Kapitalanlage aus einem klassischen und einem fondsgebundenen Teil besteht. Ist das richtig?
Kessler: Da Hybride eine Garantie geben, sind Sie für mich nur zweite Wahl. Eine Fondspolice kann eine höhere Rendite erzielen und ist anlagetechnisch die bessere Form. Die Herausforderung liegt hier auf der Seite des Vertriebs, die Kunden diesbezüglich aufzuklären.
Opel: Vom Verkaufserfolg her sieht das zunächst sicher leider noch anders aus, hier werden fondsgebundene Produkte mit Garantie weiter die Hauptrolle spielen. Es gab schon mal einen Boom mit reinen Fondspolicen. Einige Berater und Kunden haben hier schlechte Erfahrungen gemacht, was Kosten und Risiken betrifft. Bei Betroffenen ist daher die Zurückhaltung groß. Mittel- und langfristig werden wir aber eine Renaissance der reinen Fondspolice sehen, auch weil unsere Branche dazugelernt hat. Wir haben die Kosten in den Produkten gesenkt, wir haben die Kommunikation hinsichtlich des Risikos und der Kosten verbessert, und heute bedeuten Garantien auch einen massiven Renditeverzicht, was früher so nicht in dem Ausmaß der Fall war.
Es ist ebenfalls schon angeklungen: Neben Hybriden wurden Indexpolicen in jüngster Zeit als Produktgruppe der Wahl gehandelt. Doch wächst auch hier die Zahl der Kritiker – zu Recht?
Nobis: Die Indexpolice wurde mit dem Hintergedanken, dass Kunden Sicherheit wollen, in den Markt eingeführt. Sie bietet deshalb endfällige Beitragsgarantien. Wir haben in Backtesting-Verfahren herausgefunden, dass Indexpolicen rund 1 Prozent mehr Rendite als klassische Policen erwirtschaften können. Aber wir wissen, dass sich beim Nullprozentzins auch die Indexpolice schwertut. Insofern sagen auch wir vom IVFP, dass bei der echten Altersvorsorge Fondspolicen ohne Garantien für viele Sparer sinnvoll sind, insbesondere bei Laufzeiten ab 15 Jahren. Wir haben auf Basis des Euro-Stoxx mit rollierenden Zeitabschnitten berechnet, dass ab dann ein Verlustrisiko nahe null ist.
Geißler: Ich möchte an dieser Stelle mal einen Kontrapunkt setzen. Ein Vermittler aus der Nähe von Bautzen hat mir vor einigen Tagen erzählt, dass er bei jungen Leuten momentan nicht mal eine Riester-Rente verkauft bekommt, obwohl die durch die staatlichen Zuschüsse bei einem Minimum-Investment vergleichsweise viel bietet. Kein Einzelfall, denke ich.
Nobis: Das Thema Riester ist ja ein Paradebeispiel für den großen Vertrauensverlust bei den Bürgern. Das Jahr 2016 scheint wirklich das Jahr der Populisten zu sein: Ob auf der großen politischen Bühne der Trumps und Erdogans oder auf der kleineren der Altersvorsorge. Für den bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer ist die Riester-Rente tot. Das merken sich die Menschen, ihm glauben sie eher als einem Berater, der eine vergleichsweise sichere Rendite von 4 plus x in Aussicht stellt. Wir haben im Auftrag von einem Investmenthaus und mehreren Versicherern Riester-Renten in der Ablaufphase untersucht. Das waren Echtverträge auf Basis der Beitragszahlungen unter Berücksichtigung von Zulagen und Steuerersparnissen. Bei diesen Verträgen kamen wir nach Abzug aller Kosten auf eine durchschnittliche Rendite von 3,64 Prozent per annum. Das kann sich doch sehen lassen.
Overbeck: Die Politik hilft uns gegenwärtig hier nicht wirklich weiter, das gleicht einem Kampf gegen Windmühlen. Der Frust bei Beratern und Kunden wird ja auch nicht zuletzt dadurch verstärkt, dass man regulatorisch alles transparent machen will, aber dann doch wieder die Sache unnötig verkompliziert. In den Altersvorsorge-Schichten 1 und 2 sind fünf CRK, also Chancen-Risiko-Klassen, vorgesehen. Schicht 3 wird einen Risikoindikator mit sieben Stufen haben. Was ist daran transparent?
Zech: Wenn uns die Politik wenig unterstützt und die Bedenken der Kunden eher schürt, scheint der erfolgversprechendste Weg zu sein, dem Berater neue Wege aufzuzeigen. Dafür ist auch Eigenengagement vonnöten. Wir haben jedoch über Jahre hinweg den Vermittler zu Roadshows und Produktschulungen eingeladen und nett bewirtet. Dafür hat er nichts gezahlt. Jetzt ist dies aus Compliance- oder Kostengründen teils nicht mehr möglich. Ein Umsteuern wird auch hier nicht von heute auf morgen kommen, aber man sieht, dass die Vermittler anfangen, sich benötigte Informationen zu besorgen. Ob das ein Buch für 20 Euro oder ein Seminar für 80 oder 100 Euro ist: Es wird zunehmend verstanden, dass für Bildung und produktneutrales Wissen auch ein Gegenwert geleistet werden muss.