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Ausblick Stehen Wachstumsaktien vor einem Revival?

Produktpräsentation auf einer Mikroelektronik-Messe in Taiwan
Produktpräsentation auf einer Mikroelektronik-Messe in Taiwan: Wachstumswerte aus dem Technologiesektor könnten im kommenden Jahr ein Comeback erleben. | Foto: Imago Images / ZUMA Wire
Daniel Morris, BNP Paribas AM

Wenn Investoren dem Kapitalmarktjahr 2022 etwas Gutes abgewinnen wollen, dann vielleicht das: Es ist bald vorbei. Es weiß allerdings jeder, der seine guten Vorsätze schon einmal wenige Tage nach Silvester über den Haufen geworfen hat, dass mit dem Jahreswechsel nicht automatisch alles besser wird – das gilt auch für die Aktienmärkte. Daniel Morris, Chef-Marktstratege bei BNP Paribas Asset Management, sieht Gründe für Optimismus mit Blick auf die zuletzt stark gebeutelten Wachstumswerte und die Schwellenländer. Er sagt aber auch: „Den Aktienmärkten dürften noch einige schwierige Monate bevorstehen.“

Die Inflation ist hartnäckig und liegt sowohl in den USA als auch in Europa weit über dem Zielwert. „Die Zentralbanken sind entschlossen, sie zu senken. Dafür ist wahrscheinlich eine Rezession in Kauf zu nehmen“, sagt Morris. In Europa sei ein Wirtschaftsabschwung schon allein wegen des Energieschocks wahrscheinlich. Vor diesem Hintergrund rechnet der Experte zunächst mit weiteren Kursrückgängen am Aktienmarkt.

Gewinnschätzungen dürften sinken

Mut machen könnte Anlegern, dass die Erwartungen an das Gewinnwachstum trotz der jüngsten Abwärtsrevisionen immer noch recht positiv sind. Für 2023 wird außerhalb des Energiesektors mit einem Anstieg um 10,4 Prozent in den USA (4. Quartal) und um 7,0 Prozent in Europa (Gesamtjahr) gerechnet. „Aus unserer Sicht sind die Schätzungen aber zu hoch“, sagt Morris. Um die Inflation zu drücken, sei eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums notwendig. „Das bedeutet, dass die Gewinnprognosen irgendwann sinken müssen.“ Darüber hinaus stehe der Optimismus der Analysten im krassen Gegensatz zum Pessimismus der meisten Unternehmen.

Wie es mit der Geldpolitik weitergeht, scheint aus Morris‘ Sicht klar: Die Leitzinsen steigen, bis die Inflation nachlässt. Dann werden die Notenbanken umschwenken und die Zinsen senken, um das Wachstum zu stützen. „Weniger klar ist der Zeitplan“, gibt der Kapitalmarktexperte zu bedenken. Die Marktteilnehmer rechnen in sechs bis neun Monaten mit der geldpolitischen Wende; die US-Notenbank erst 2024. „Diese Diskrepanz sollte jedoch ein geringes Risiko darstellen. Entweder kann die Fed die Zinsen schneller senken, weil sich die Inflation rascher verlangsamt als erwartet – was gut wäre. Oder sie muss die Zinsen zu senken, weil das Wachstum stärker unter Druck gerät als erwartet und die Märkte deutlich fallen – was schlecht wäre. In beiden Fällen aber würden Aktien wahrscheinlich mit Kursaufschlägen auf die Zinssenkungen reagieren.“

US-Realrenditen könnten Höchststand erreicht haben

Die Schätzungen für die US-Leitzinsen sind aus Sicht von Morris nun auf einem angemessenen Niveau. Daher könnten die realen Renditen ihren Höchststand erreicht haben. Aktuell liegen sie nahe oder sogar über den Höchstständen der globalen Finanzkrise. Zwar befinden sie sich nach wie vor unter den längerfristigen Durchschnittswerten. Ein geringeres Wirtschaftswachstum spricht jedoch für niedrigere reale Renditen als in der Vergangenheit. „Und wenn sie weiter steigen sollten, dürfte das ein mehrjähriger Prozess sein, da die Zentralbanken die quantitative Lockerung nur allmählich zurückfahren und ihre Bilanzen abbauen.“

 

Für Morris deutet das darauf hin, dass die Underperformance von Wachstumswerten zu einem Ende kommen könnte. „Der größte Teil der schwächeren Entwicklung im Vergleich zu Value-Aktien wurde in diesem Jahr durch steigende Diskontsätze aufgrund anziehender Zinsen sowie sinkende Bewertungen verursacht.“ Wenn die Zinssätze nun stabil bleiben, dürfte sich seiner Meinung nach der relative Gewinnwachstumsvorteil von Wachstums- gegenüber Value-Werten wieder zeigen. „Die Konsensschätzungen gehen für 2023 im Jahresvergleich von 11 Prozent Gewinnwachstum pro Aktie für Growth gegenüber 7 Prozent für Value aus.“ Sobald die Wende bei den Leitzinsen vollzogen ist, dürfte sich eine mögliche Outperformance von Wachstumswerten noch beschleunigen.

China und die Schwellenländer

Mit Blick auf die Schwellenländer weist Morris darauf hin, dass die Underperformance im bisherigen Jahresverlauf fast ausschließlich auf China zurückzuführen ist – auf das 30 Prozent der Marktkapitalisierung des globalen Schwellenländerindex MSCI Emerging Markets entfallen. Dieser ist in US-Dollar gerechnet bis zum 17. Oktober 2022 um 28 Prozent gefallen, während der weltweite Industrieländerindex MSCI World mit 23 Prozent etwas weniger Verluste zu verzeichnen hatte. Der chinesische Aktienmarkt verlor indes 34 Prozent, während die übrigen Schwellenländer um 25 Prozent nachgaben – also ungefähr so stark wie der MSCI World.

Interessanterweise haben Aktien aus den aufstrebenden Volkswirtschaften ohne China in den vergangenen Monaten sogar an Boden gewonnen. „Diese relative Widerstandsfähigkeit ist umso erstaunlicher, wenn man die Stärke des US-Dollars und den Anstieg der US-Zinsen bedenkt“, betont Morris. „Schließlich führen diese Faktoren normalerweise zu einer deutlicheren Underperformance.“ Zuletzt spielten jedoch makroökonomische Faktoren für die Entwicklung von Schwellenländeraktien eine noch größere Rolle als normalerweise.

Da die Aussichten sowohl für Europa als auch für die USA eher negativ als positiv sind, haben die Schwellenländer (ohne China) nach Morris‘ Meinung das Potenzial, von nun an besser abzuschneiden. Er relativiert jedoch: „Die Anpassung an den Anstieg des US-Dollars und der Treasury-Renditen hat weitgehend stattgefunden und wir erwarten mit Blick auf diese beiden Faktoren in naher Zukunft keine weiteren großen Zugewinne.“ Das langsamere Wachstum sei zwar weltweit ein Problem. Mit Ausnahme der Staaten Osteuropas seien die Schwellenländer ohne China aber nicht mit den direkten Auswirkungen des Konflikts in der Ukraine konfrontiert. Außerdem müssten ihre Zentralbanken die Zinsen nicht so stark anheben wie die Fed, da die Inflation weniger hoch ist. „Wenn die Rohstoffpreise im nächsten Jahr fallen, könnten die Länder, die sich zuletzt besser gehalten haben, zurückbleiben – und umgekehrt. Insgesamt aber sehen wir ein höheres Ertragswachstum für die Schwellenländer.“

China steht vor Herausforderungen

In China bestimmen wie in den USA und Europa auch länderspezifische Faktoren die Aussichten – nämlich die Null-Covid-Politik und ein schwacher Immobilienmarkt. „Wahrscheinlich wird keine dieser beiden Herausforderungen schnell verschwinden“, sagt Morris. Er rechnet aber damit, dass das Land schließlich einen wirksamen Impfstoff entwickeln und einführen wird. „Und die Geschichte hat uns gelehrt, dass sich die Wirtschaft schnell erholt, wenn Beschränkungen gelockert werden.“

Die Bereinigung des Immobilienmarktes werde allerdings länger dauern und das Ziel der Regierung, das Wachstum unabhängiger von Investitionen voranzubringen und den Binnenkonsum zu stärken, ist nun noch dringlicher geworden. „Hinsichtlich der Möglichkeiten, mit diesen Problemen umzugehen, gibt es jedoch einen entscheidenden Unterschied zwischen China und dem Westen: Die Inflation im Land ist niedrig. Die Regierung und die Zentralbank können also sowohl fiskal- als auch geldpolitische Stimuli einsetzen, um das Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln.“

Wachstumswerte könnten wieder in den Fokus rücken

Insgesamt geht Morris davon aus, dass die Aktienmärkte noch vor schwierigen Monaten stehen. Trotz erheblicher Zinserhöhungen in den Vereinigten Staaten ist das US-Wachstum weiterhin zu stark, um die Inflation auf den Zielwert der US-Notenbank zu bringen. Daher werde wahrscheinlich eine Rezession notwendig sein. „Die Frage ist nur, wie schwer sie ausfallen wird“, sagt Morris. Europa stehe bereits vor einem Abschwung und einem herausfordernden Winter.

Dennoch: Wachstumswerte hält der Marktstratege für relativ interessant – insbesondere, wenn sich die Fed dem geldpolitischen Wendepunkt nähert. Schwellenländer ohne China scheinen vergleichsweise gut aufgestellt, aber auch die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt weise attraktive Bewertungen und mittelfristig positive Aussichten auf. Geduld dürfte sich für Anleger auszahlen.

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