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Interview mit dem Stuttgarter Vorstandschef Guido Bader

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DAS INVESTMENT: Herr Bader, Sie fallen in der Versicherungsbranche durch sehr klare, manchmal auch unbequeme Aussagen auf. Was treibt Sie dabei an?
Guido Bader: Ich habe von jeher immer ein klares Wort gefunden und rede nicht um den heißen Brei herum. Dabei scheue ich mich auch nicht, in der Öffentlichkeit Stellung zu beziehen. Das hat im Laufe der Zeit dazu geführt, dass ich zu einem gefragten Gesprächspartner für die Presse wurde.
Dabei bewege ich mich nicht auf irgendwelchen Randgebieten, sondern konzentriere mich auf die branchenspezifischen Fachthemen, das sieht man zum Beispiel an meinem Linkedin-Profil. Ich bekomme dafür häufig positive Rückmeldungen, zum Beispiel bei Vorträgen. Viele sagen mir: Endlich einer, der sich traut, das auszusprechen, was jeder denkt.
Können Sie sich an besonders polarisierende Momente erinnern?
Bader: Bei einem Fachkongress habe ich mich einmal sehr kritisch geäußert. Ich habe sehr markante Aussagen zur DORA-Verordnung gemacht. 70 bis 90 Prozent der Vorgaben dienen nicht der IT-Sicherheit, sondern sind reiner Formalismus. Das zentrale Thema dabei, das mir sehr am Herzen liegt, ist die Überbürokratisierung, die keinerlei Nutzen bringt.
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DAS INVESTMENT: Herr Bader, Sie fallen in der Versicherungsbranche durch sehr klare, manchmal auch unbequeme Aussagen auf. Was treibt Sie dabei an?
Guido Bader: Ich habe von jeher immer ein klares Wort gefunden und rede nicht um den heißen Brei herum. Dabei scheue ich mich auch nicht, in der Öffentlichkeit Stellung zu beziehen. Das hat im Laufe der Zeit dazu geführt, dass ich zu einem gefragten Gesprächspartner für die Presse wurde.
Dabei bewege ich mich nicht auf irgendwelchen Randgebieten, sondern konzentriere mich auf die branchenspezifischen Fachthemen, das sieht man zum Beispiel an meinem Linkedin-Profil. Ich bekomme dafür häufig positive Rückmeldungen, zum Beispiel bei Vorträgen. Viele sagen mir: Endlich einer, der sich traut, das auszusprechen, was jeder denkt.
Können Sie sich an besonders polarisierende Momente erinnern?
Bader: Bei einem Fachkongress habe ich mich einmal sehr kritisch geäußert. Ich habe sehr markante Aussagen zur DORA-Verordnung gemacht. 70 bis 90 Prozent der Vorgaben dienen nicht der IT-Sicherheit, sondern sind reiner Formalismus. Das zentrale Thema dabei, das mir sehr am Herzen liegt, ist die Überbürokratisierung, die keinerlei Nutzen bringt.
Ihre Thesen entsprechen ja weitgehend der Haltung anderer Branchenvertreter, gerade beim Thema Regulierung. Treffen Sie auch auf echten Widerspruch, etwa von Seiten des Verbraucherschutzes?
Bader: Ich scheue keine Diskussionen mit dem Verbraucherschutz. Diese Gespräche finde ich sehr wertvoll. Es gibt durchaus Punkte, bei denen wir unterschiedliche Meinungen vertreten. Manchmal sehe ich aber auch Dinge ähnlich wie die Verbraucherschutz-Seite, was die Branche dann vielleicht nicht so gut findet.
Als Versicherungsverein sind wir ohnehin unseren Versicherungsnehmern verpflichtet. Vielleicht sind wir deswegen dem Verbraucherschutz näher oder sehen uns als Verbraucherschützer des Kollektivs. Da trifft man schon mal auf Widerspruch.
Das Image der Versicherungsbranche ist bekanntlich nicht das Beste. Bräuchte es nicht mehr Selbstkritik?
Bader: Der Branche täte ein bisschen mehr Selbstkritik durchaus gut. Es werden viele Dinge gemacht, die ich für unvernünftig halte – angefangen bei punktuell nicht angemessenen Provisionshöhen. Manche Sachen, die in der Branche passieren, sehe ich kritisch. Was die Bafin momentan mit der Wohlverhaltensaufsicht macht, finde ich genau richtig. Bei der Aussage werden mir nicht alle Kollegen zustimmen. Aber es ist wichtig und richtig, dass man einschreitet, wo es Missstände gibt.
Wir müssen dort, wo wir selbst sehen, dass etwas nicht gut läuft, das auch klar benennen. Kostenquoten, die bei drei bis vier Prozent Renditeminderung liegen, oder Kickbacks aus Fonds an Vermittler – solche Produkte würde ich bei der Stuttgarter nicht einführen.
Wie stehen Sie zum Vorschlag des Vermittlerverbands BDVM für einen Provisionsdeckel bei gleichzeitiger Erhöhung der laufenden Provisionen?
Bader: Die Provision sollte immer der tatsächlichen Arbeitsleistung entsprechen. Bei einem Produkt wie der Berufsunfähigkeitsversicherung erbringt man zu Beginn eine sehr hohe Beratungsleistung – Gesundheitsprüfung, Rentenhöhe, Anbieterauswahl oder Bedingungsvergleich. Dafür braucht es vorne auch eine ordentliche Bezahlung. Eine stattdessen höhere laufende Courtage finde ich in diesen Fällen schwierig.
Der BDVM kommt ja stark aus dem Industriegeschäft, wo jährlich beraten und auch bereits viel mit Honoraren gearbeitet wird. Das ist ein anderes Geschäftsmodell als das eines Einzelmaklers, der seine Kunden betreut. Wenn ein Vertrag normal läuft, kommt es vielleicht erst im Leistungsfall wieder zu einer Unterstützung. Das kann nicht in gleicher Weise vergütet werden. Es muss einfach zum Produkt passen.
Ganz grundsätzlich bin ich ein großer Freund des Provisionssystems, weil es einen wichtigen sozialen Ausgleich schafft. Es darf nur nicht missbraucht werden. Kunden, die einen kleinen Riester-Vertrag abschließen, können keine fünf Stunden Beratung à 150 Euro bezahlen, sondern nur eine relativ kleine Provision über ihren Betrag. Ein Kunde mit einem großen Vertrag zahlt dafür mehr Provision als es die reine Beratung erfordern würde. Das Provisionsmodell ermöglicht somit auch finanzschwächeren Menschen Zugang zu qualifizierter Beratung.
Was erwarten Sie von der Politik, nachdem die geplante Reform der geförderten privaten Altersvorsorge auf Eis liegt?
Bader: Vielleicht kommt ja doch noch – in abgewandelter Form – das viel diskutierte Altersvorsorgedepot, das die Ampel noch vorgestellt hat. Wobei man sagen muss, dass es sehr stark für die Fondsindustrie gebaut wurde. Besonders den geplanten Auszahlplan bis zum 85. Lebensjahr halte ich für grundsätzlich falsch. Wir sprechen hier von staatlich geförderten Produkten, die die Rente unterstützen sollen. Und dann lässt man zu, dass mit 85 Jahren möglicherweise kein Geld mehr da ist. Das war für mich ein Entgegenkommen der Politik gegenüber der Fondsindustrie. Deswegen habe ich das auch sehr kritisch kommentiert.
Nichtsdestotrotz waren im Altersvorsorge-Reformpaket gute Ansätze dabei, zum Beispiel die 80-Prozent-Garantie. Auch die Möglichkeit, im späteren Rentenbezug noch Investmentchancen zu haben – und dadurch zwar leicht schwankende Renten, jedoch mit höheren Renditechancen – das wäre positiv gewesen.
Wie stehen Sie zur Riester-Rente?
Bader: Ich hätte auch gut mit einer reinen Modifikation von Riester leben können. Ich finde, dass es kein schlechtes Produkt ist. Ich habe vor über zehn Jahren schon gesagt, dass die 100 Prozent Beitragsgarantie bei Riester Blödsinn ist. Nun ging es soweit, dass die Garantie bei einem Höchstrechnungszins von 0,25 Prozent nicht mehr darstellbar war und Riester fast keiner mehr angeboten hat. In der Folge haben alle geschrieben, dass Rieser tot sei.
Aber gerade für die Kernzielgruppen, für junge Familien, ist Riester nach wie vor ein sehr gutes Produkt. Es ist nur im Laufe der Jahre viel zu kompliziert geworden. Die Zulagenthematik könnte viel einfacher und effizienter gestaltet werden – erst prüfen und dann zahlen, statt Zulagen später wieder zurückzufordern. Man muss schauen, was die Politik jetzt macht, aber so schnell wird wahrscheinlich im Bereich der Altersvorsorge keine Reform kommen.
Lassen Sie uns über die aktuelle Geschäftsentwicklung sprechen. Wo steht die Stuttgarter am Ende des Geschäftsjahres 2024?
Bader: Wir haben in der Lebensversicherung 2024 das beste Neugeschäft unserer Unternehmensgeschichte erzielt. Das ist besonders erfreulich, weil unser scheidender Vertriebsvorstand Ralf Berndt in seinem letzten vollen Jahr dieses herausragende Ergebnis erzielt hat. Die Stuttgarter wächst in ihrem Bestand seit 15 Jahren kontinuierlich, bei laufenden Beträgen und nach Stückzahlen.
Wir haben einen sehr geringen Anteil an Einmalbeiträgen, holen unsere Kraft aus den wachsenden Beständen. Dabei machen wir auch Marktanteile gut. Trotz anhaltender Inflation und den wirtschaftlichen Sorgen läuft viel Geschäft zu uns.
Was plant die Stuttgarter produktseitig für das Jahr 2025?
Bader: Im Zuge der Anhebung des Höchstrechnungszinses kommen wir mit einer komplett angepassten Produktpalette an den Markt. Wir führen die beitragsorientierte Leistungszusage wieder mit 100-Prozent-Garantie ein. Zudem haben wir auch die Berufsunfähigkeitsversicherung überarbeitet und ansonsten alle Produkte auf den neuen Höchstrechnungszins umgestellt.
Für unsere Kernzielgruppe, die unabhängigen Vermittler und großen Mehrfachagenten, sind wir sehr gut aufgestellt. Da die Entscheidung der Anpassung des Höchstrechnungszinses spät kam, glaube ich, dass das nicht jeder Anbieter so vollumfänglich geschafft hat.
Die Stuttgarter setzt schon seit langem stark auf nachhaltige Produkte. Wie entwickelt sich dieses Geschäft?
Bader: Die „GrüneRente“ hatte 2023 in der betrieblichen Altersvorsorge einen Anteil von über 50 Prozent, über die gesamte Altersvorsorge waren es 28 Prozent. Nachdem der Anteil kontinuierlich gestiegen ist, verzeichnen wir 2024 einen kleinen Rückgang, weil Nachhaltigkeit in der Öffentlichkeit zunehmend kontrovers diskutiert wird.
Aber besonders Unternehmen, die sich nachhaltig aufstellen wollen, greifen nach wie vor gerne zur „GrüneRente“. Als wir 2013 anfingen, war es ein reines Nischenprodukt mit ausgewählten Vermittlern. Mittlerweile ist es zum Produkt in der Fläche geworden.
Was spiegeln Ihnen die Vermittler wider? Wo liegen die Herausforderungen? Gerade die komplexe verpflichtende Nachhaltigkeitspräferenzabfrage bereitet ja vielen Schwierigkeiten.
Bader: Ich glaube, dass wir im Bereich der nachhaltigen Produkte einen großen Marktanteil haben. Es sind oft spezialisierte Vermittler, die Nachhaltigkeit gerne und intensiv beraten, die dann auch mit uns zusammenarbeiten wollen. In der breiten Masse hat die Präferenzabfrage aber eher geschadet. Die Vermittler sind ein Stück weit überfordert und die Kunden haben keine Lust, sich durch unverständliche Fragen zu kämpfen.
Die Konsequenz ist, dass Vermittler und Kunden sich anschauen und sicherheitshalber ankreuzen, dass kein Interesse an Nachhaltigkeit besteht. Es war wieder so ein typisches Bürokratiemonster, das der guten Sache Nachhaltigkeit letztlich eher geschadet hat. So etwas ärgert mich immer wieder.
Wird nicht sehr viel als nachhaltig gelabelt, was in Wahrheit gar nicht nachhaltig ist? Wie gehen Sie damit um?
Bader: Das System lädt leider zum Greenwashing ein. Wir haben ein total kompliziertes Rahmenwerk, das an vielen Stellen auch noch nicht durch sinnvolle Daten gefüllt werden kann. Jeder macht irgendwas und kann dann den Stempel „Artikel 8 oder 9“ draufpacken. Das ist wirklich schade und der Sache nicht dienlich, was da passiert.
Als wir bei der Stuttgarter mit der „GrüneRente“ anfingen, gab es die ganze Diskussion um CSRD und Taxonomie noch nicht. Wir haben uns sehr genau überlegt, was ein wirklich nachhaltiges Produkt ausmacht. Im ersten Schritt haben wir beim Sicherungsvermögen mit einem Zuordnungsansatz gearbeitet – mindestens so viel Deckungskapital wie in dem Produkt steckt, muss auch nachhaltigkeitsorientiert im Sicherungsvermögen angelegt sein.
Mit unserem Partner, dem Institut für nachhaltige Finanzplanung (IVFP), haben wir die Assets, die wir zugeordnet haben, genau durchleuchtet. Schon seit 2014 prüft das IVFP jährlich unsere nachhaltigkeitsorientierten Kapitalanlagen. Und bei der Fonds- und Indexauswahl bei entsprechenden Produkten haben wir uns nicht damit zufriedengegeben, dass die Vorgaben von Artikel 8 erfüllt werden.
Wie differenziert die Stuttgarter Versicherung zwischen den verschiedenen ESG-Kriterien?
Bader: Jeder Kunde hat seine individuellen Vorstellungen, zum Beispiel beim Thema Ökologie. Dem einen ist CO2-Reduktion wichtig, anderen die Wasserqualität oder der Waldschutz. Um diese verschiedenen Bedürfnisse zu bedienen, brauchen wir ein breites Angebot in der Fondsauswahl. Wenn wir beispielsweise als Kreditgeber Hypotheken für ein Senioren-, Pflege- oder Kinderheim vergeben und sehen, dass dort ordentlich gearbeitet wird, ist das eine nachhaltige Investition aus dem sozialen Bereich.
Den Governance-Bereich bewerte ich etwas anders, da er stark von Ausschlusskriterien geprägt ist. Eine ordentliche Unternehmensführung sollte selbstverständlich sein und bekommt kein explizit positives Gütesiegel. Schlechte Governance, etwa durch Korruption, führt zu einem Negativsiegel. Bei sozialen und ökologischen Kriterien können wir dagegen aktiv werden und gezielt investieren, etwa in Photovoltaik- und Windkraftanlagen.
Wie sieht es bei der Datenverfügbarkeit und der Nachweiserbringung vor dem Hintergrund wachsender Berichtspflichten aus. Ist das nicht ein limitierender Faktor?
Bader: Die Daten sind oftmals schwer verfügbar. Es ist vor allem für die Berichterstattung schwierig, weil man über alle Assets die Daten akkumulieren und erheben muss. Das ist nicht nur ein riesiger bürokratischer Aufwand. Die Politik sollte dafür sorgen, dass Daten wirklich auch erhoben und zentral verfügbar werden für jeden, der sie reporten muss und nicht einfach sagen: „Macht schon mal, wir fangen vielleicht später damit an, Daten zu sammeln und bereitzustellen". Momentan läuft jeder zu irgendwelchen Datenanbietern und kauft die Daten für teures Geld ein, was letztlich der Versicherungsnehmer bezahlt.
Was mich zusätzlich stört, ist die Überfülle von Daten, die berichtet werden sollen. Wir haben ein paar zentrale, drängende Probleme, und da ist sicherlich der CO2-Ausstoß wichtig. Aber nicht jedes Detail, das man berichten muss, ist tatsächlich relevant. Die Kernidee ist genau richtig, aber die politische Umsetzung ist leider extrem schlecht gemacht.
Hinzu kommt, dass die EU oft vergisst, dass wir weltweite Anleger sind. Unsere Kapitalanlagen befinden sich zum Beispiel auch in Südamerika oder in Asien. Dort wird es mitunter schwierig, an die geforderten Daten zu kommen. Da kann die EU noch so schöne Vorstellungen haben, welche Daten verpflichtend erhoben werden sollen – in der Praxis muss man dann wieder anfangen zu schätzen.
Am meisten ärgert mich, dass aufgrund der hohen Komplexität und der schlechten Datenverfügbarkeit wahnsinnig viel Zeit in Berichte investiert wird, die vermutlich kaum jemand lesen wird. Diese Zeit würde besser dafür verwendet, die tatsächliche Transformation zu begleiten und zu prüfen, welche Unternehmen sich gut entwickeln. Dort könnte man dann gezielt investieren. Aber genau diese Zeit fehlt.
Wie ist die Stuttgarter Versicherung beim Thema Künstliche Intelligenz und Prozess-Standardisierung aufgestellt?
Bader: Man muss zunächst zwischen dem Einsatz von KI-Methoden und reiner Digitalisierung unterscheiden. Als Versicherungsbranche haben wir bei der Digitalisierung, zum Beispiel in der Dunkelverarbeitung, auch ohne KI noch einen weiten Weg vor uns. Wir haben momentan bei uns im Haus große Projekte laufen wie den Wechsel des Bestandsführungs- und Inkassosystems. Bei diesen Projekten versuchen wir, die Prozesskette zu automatisieren und zu beschleunigen.
Auf der anderen Seite haben wir natürlich auch zwei, drei Pilotprojekte, bei denen wir uns anschauen, wo und wie man künstliche Intelligenz nutzen kann. Jeder denkt bei KI an Large-Language-Modelle. Da muss man insbesondere aber beim Datenschutz aufpassen. Man kann nicht beliebige Kundendaten einspeisen, sondern braucht dafür eine geschlossene, geschützte Umgebung. Dann kommt ein Haus unserer Größe schnell an einen Punkt, wo man sagen muss: Das rechnet sich nur bedingt.
Was wir aber tatsächlich prüfen, ist beispielsweise der Umgang mit eingehenden E-Mails, bei denen eine KI sofort den Geschäftsvorfall erkennt und die Zuordnung zum zuständigen Sachbearbeiter als Vorbearbeitung leistet. Oder Gesprächsprotokolle im Callcenter, die heute von Hand geschrieben werden – hier kann eine KI die Spracherkennung übernehmen und transkribieren. Solche KI-Anwendungen wollen wir künftig einsetzen.
Aber von einer umfassenden Weltformel in Sachen KI sind wir als Stuttgarter noch weit entfernt. Es ist momentan kein Instrument, mit dem wir uns einen großen Wettbewerbsvorteil erarbeiten können. Wir prüfen den Einsatz dort, wo konkrete Prozesse verbessert, Kosten gespart oder die Qualität gesteigert werden können.
Als Arbeitgeber stehen Sie im Wettbewerb um Fachkräfte, gerade auch an einem starken Industriestandort wie Stuttgart. Wie positionieren Sie sich hierbei?
Bader: Aktuell leidet die Automobilindustrie am Standort Stuttgart, entsprechend auch die Zulieferer. Deswegen ist der Arbeitsmarkt hier momentan gar nicht so angespannt. Nichtsdestotrotz sehe ich mit Blick nach vorne einen gewaltigen Bedarf. Denn der Arbeitsmarkt wird immer dünner und der Fachkräftemangel kommt ja erst.
Der geplante Zusammenschluss mit der Süddeutschen Krankenversicherung (SDK) wird unsere Attraktivität als Arbeitgeber sicherlich stärken – wir werden größer, bieten sichere Arbeitsplätze und bessere Entwicklungsmöglichkeiten. Es ist ein wichtiger Aspekt für uns, den geplanten Zusammenschluss nicht nur aus der Perspektive des Wachstums zu sehen, sondern als echten Mehrwert für die Beschäftigten. Viele unserer Mitarbeitenden sehen das auch so, dass sie mehr Chancen haben werden.
Wie handhaben Sie das Thema Homeoffice bei der Stuttgarter?
Bader: Ich bin da eher Traditionalist. Nur von zu Hause aus arbeiten funktioniert auf Dauer nicht. Wir brauchen Tage im Büro, wo man sich persönlich austauscht. Die Nähe, einer unserer zentralen Werte, gilt für die Mitarbeiter untereinander und zu ihren Führungskräften.
Wir haben eine Regelung mit zehn Tagen Homeoffice im Monat, also knapp unter 50 Prozent, mit der ich gut leben kann und die ich auch nicht ändern will. Es ist toll, wenn Mitarbeiter auch mal zu Hause arbeiten können. Aber es sind genügend Tage im Büro, wo man sich sieht und effizient zusammenarbeiten kann. Innovation entsteht nicht in einer Videokonferenz, zumindest nicht in unserer Branche.
Großes Thema ist die angestrebte Fusion mit der SDK. Wie würden Sie die Ausgangslage für beide Unternehmen in dem anstehenden Prozess beschreiben?
Bader: Ich glaube, wir gehen beide aus der Position der Stärke in die anstehenden Gespräche. Das ist mir auch wichtig, denn wenn sich ein Großer und ein Kleiner zusammentun, ist es keine Fusion, sondern eine Übernahme. Wenn sich zwei schwache Partner zusammentun, ist es eine Katastrophe. Es macht nur Sinn, wenn sich zwei starke Partner zusammentun. Unser Ziel ist es, gemeinsam zu identifizieren, wo der jeweils andere seine Stärken hat.
Es gibt sicherlich Punkte, bei denen die SDK besser aufgestellt ist und andere, bei denen es die Stuttgarter ist. Das muss sich aber erst noch herauskristallisieren, denn aus kartellrechtlichen Gründen dürfen wir noch nicht tief in die Bücher und die Strukturen schauen. Dennoch sitzen die Vorstände schon zusammen, machen Workshops und Teambuilding, so dass sich bereits großes Vertrauen entwickelt hat. Wir wollen nicht, dass einer am Schluss sagt: Ich habe mich durchgesetzt. Wir wollen wirklich gleichberechtigt zusammengehen.
Was wird aus den beiden Standorten? Wie werden sie miteinander verknüpft und die Arbeitsmodelle aufeinander abgestimmt?
Bader: Nach dem geplanten Zusammenschluss soll es neben den kleineren Standorten auch weiter beide zentrale Standorte Fellbach und Stuttgart geben. Wir sind ja verbunden durch eine S-Bahn-Linie. Hier trennen uns nur sieben Stationen. Im Detail ist Vieles noch zu definieren, aber ich gehe davon aus, dass ein möglicher Zusammenschluss den Mitarbeitenden zusätzliche Flexibilität bietet, wo sie im Office arbeiten können.
Die SDK hat in Fellbach neu gebaut und ist stärker auf New Work ausgerichtet. Unser Haus ist bisher eher konservativ, auch wenn wir Teile schon umgebaut haben. Wir müssen darauf achten, die eher traditionell orientierten Mitarbeitenden nicht zu verlieren, indem wir zu modern werden.
Manche Mitarbeitenden wollen natürlich flexible Arbeitsplätze und moderne Büros, andere aber schätzen ihr traditionelles Zweier-Büro mit geschlossener Tür. New Work bedeutet für mich nie ein einheitliches Vorgehen – es muss verschiedene Ansprüche erfüllen, um wirklich attraktiv zu sein.
Treffen Sie in dieser Übergangsphase strategische Entscheidungen schon im Vorgriff für das fusionierte Unternehmen, zum Beispiel bei Produktinnovationen?
Bader: Da müssen wir kartellrechtlich sehr aufpassen. Erstens kann man im Vorfeld natürlich nie wissen, ob alles zu hundert Prozent klappen wird, ob der Zusammenschluss tatsächlich zustande kommt. Wir gehen fest davon aus, aber die Due Dilligence muss erst erfolgen. Zweitens handelt jeder von uns so, als würde er auch Ende des Jahres noch alleine am Markt sein. Bei Marktbearbeitung und Produktentwicklung haben wir noch unsere „Chinese Walls“ und handeln unabhängig.
Das fällt uns auch deswegen relativ leicht, weil die SDK einen Lebensversicherer im Run-off hat und einen großen Krankenversicherer, wir haben unser Schaden/Unfall- und Leben-Geschäft – da gibt es nicht viele Schnittstellen. Wir werden also kein Produkt einführen oder auch nicht einführen, nur weil die SDK sich das wünscht und umgekehrt ist es genauso. Bei kartellrechtlich unbedenklichen Themen schauen wir schon gemeinsam hin. Da tauscht man Erfahrungen aus, weil das Potenzial für Synergien hat.
Wie sehen Sie ihre eigene Rolle und die ihrer Vorstandskollegen in dem Fusionsprozess?
Bader: Wir sind uns sehr bewusst, dass wir den möglichen Zusammenschluss intensiv begleiten müssen. Der Change-Prozess findet nicht nur in der operativen Umsetzung statt, sondern vor allem in den Köpfen. Dafür brauchen wir Unterstützung. Was wir bereits jetzt angehen können, ist als Vorstandsteam zusammenzufinden.
Momentan sind wir zwei Dreier-Vorstände. In der gemeinsamen Gruppe sollen es sechs Vorstände sein und daraus wollen wir ein hoch effizientes Vorstandsteam bilden. Daran müssen wir gezielt arbeiten. So werden wir auch unsere Mitarbeitenden auf diesem Weg mitnehmen – nicht nur durch Kommunikation, sondern auch durch gezielte Personalmaßnahmen.
Wie soll perspektivisch die Personalpolitik aussehen?
Bader: Wir wollen keinen Mitarbeitenden, Leitenden und Vorstand verlieren, das ist ein klarer Grundsatz. Wenn irgendwann altersbedingt jemand ausscheidet, werden wir die Synergien nach und nach heben. Schon jetzt schauen wir bei freiwerdenden Positionen genau hin und lassen diese mit Blick auf den möglichen Zusammenschluss auch mal unbesetzt. So werden wir personell über die normale Fluktuation Synergien erzielen.
Aber ich betone: Es ist absolut nicht gedacht, gezielt Mitarbeitende freizusetzen. Im Gegenteil: Ich bin froh über jeden und jede, der und die bleibt. Die Babyboomer gehen in den nächsten fünf bis zehn Jahren in den Ruhestand. Mit Blick nach vorne müssen wir Leute einstellen, und die werden sehr schwer zu finden sein. Unser geplanter Zusammenschluss ist in erster Linie eine Geschichte des Wachstums und nicht der Kosteneffizienz.
Über den Interviewten:
Guido Bader, geboren 1972 in Offenburg, studierte Wirtschaftsmathematik und promovierte in Karlsruhe. Nach ersten Stationen bei der Gothaer Versicherung wechselte er 2009 zur Stuttgarter Versicherungsgruppe. Dort übernahm er zunächst Vorstandsverantwortung für Aktuariat, Produktentwicklung und Kundenservice. Seit 1. Juni 2021 ist er Vorstandsvorsitzender der Stuttgarter. Parallel engagiert er sich in Fachverbänden wie der Deutschen Aktuarvereinigung und war dort von 2019 bis 2021 Vorstandsvorsitzender.



