Hagen Schremmer im Interview „Nachhaltigkeit verliert in der Fondsbranche nicht an Bedeutung“
Wie sieht der Fondsvertrieb der Zukunft aus?
Schremmer: Ich glaube, dass es da in zwei Richtungen gehen wird. Einerseits wird der persönliche Kontakt zu allen professionellen und institutionellen Investoren immer extrem wichtig bleiben. Aber die Anforderungen wachsen. Ich sehe in diesem Segment einen permanent steigenden Anspruch hinsichtlich der technischen Expertise und der Fähigkeit, maßgeschneiderte Lösungen für komplexe Anforderungen zu liefern, auch interdisziplinär.
Andererseits wird Technik immer wichtiger. Elektronik und die ständige Verfügbarkeit aller Informationen in Echtzeit vereinfachen das Leben. Außerdem gibt es mehr regulatorische Erfordernisse für die klassische Anlageberatung. Denken Sie zum Beispiel an die ab August verbindlich notwendige Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen. Sie stellt erhebliche Anforderungen an Technik und Beratung.
Die klassischen Vertriebe haben sich bislang gut behauptet,. Sie genießen nach wie vor einen Vertrauensvorteil und haben eine starke Kundenbasis. Der Erfolg hängt hier von einem schlanken und effizienten Beratungsprozess ab, unterstützt durch intelligente Tool. Ich bin aber überzeugt, dass digitale Vertriebskanäle sukzessive in ihrer Bedeutung wachsen wenn es gelingt, mit wenigen Klicks Anlageentscheidungen intuitiv, von überall und regulatorisch einwandfrei abzuwickeln.
Wie schätzen Sie den Markt für aktive und passive Fonds in Deutschland ein?
Schremmer: Deutschland ist der größte Markt für Publikumsfonds in Europa. Ich glaube, wir werden weiterhin überproportional wachsen, allein schon mit Blick auf die notwendige private Altersvorsorge. Ich bin überzeugt, dass von diesem Wachstum sowohl aktive Fonds als auch ETFs profitieren. Es ist keine Frage nach entweder oder, vielmehr sehe ich eine Komplementarität. In unterschiedlichen Marktphasen spielen beide Formen ihre Stärken aus. Aktuell kann ich mir zum Beispiel gut vorstellen, dass die hohe Volatilität und die weiterhin zu erwartende Dispersion zwischen Gewinnern und Verlierern ein gutes Umfeld für aktive Manager bietet, ihre Stärken auszuspielen und Alpha zu generieren. Andererseits sind ETFs ein maximal effizientes Instrument, um einfach und schnell Asset-Klassen und Makro-Marktmeinungen abzubilden.
Welche Besonderheiten hat der deutsche Fondsmarkt?
Schremmer: Es ist schade, dass wir überhaupt über Besonderheiten lokaler Märkte sprechen. Aus meiner Sicht wäre es begrüßenswert, wenn wir über mehr Angleichung und einheitliche Standards und Regeln zwischen europäischen Ländern sprechen würden. Es würde die Transparenz erhöhen und den europäischen Finanzmarkt stärken, gerade im Vergleich zu den vielfach dominierenden angelsächsischen Wettbewerbern. Es ist bedauerlich, dass sich bislang kein europaweites Nachhaltigkeits-Label durchgesetzt hat und wir noch viele lokale Standards sehen. Auch das deutsche Verbändekonzept –so begrüßenswert einige Regelungen sind – bedeutet letztlich mehr Komplexität und Kosten für europäische Anbieter.
Wo investieren Sie persönlich?
Schremmer: Ich bin vergleichsweise klassisch unterwegs und habe einen relativ langfristigen Anlagehorizont. Daher finden sie in meinem Depot eine Mischung aus ETFs auf breite Indizes und einige aktive Fonds, insbesondere mit thematischer Ausrichtung. Außerdem mag ich direkte Venture-Beteiligungen. Neben dem erhofften Wachstum bieten sie Gelegenheit zum Austausch mit Gründern. Es macht Freude, die Entwicklung junger Unternehmen zu beobachten.