Hans-Werner Sinn
Fast 1000 Milliarden Target-Forderungen der Bundesbank: Was steckt dahinter?
Hans-Werner Sinn, Alt-Präsident des Ifo-Instituts Foto: Ifo-Institut
Der Target-Saldo der Bundesbank steigt schon zehn Jahre lang und liegt nun ungefähr bei einer Billion Euro. Zyklisch hat sich der Wert von circa 70 Milliarden Euro Ende 2007 auf den Wert von 976 Milliarden Euro Ende Juni 2018 hinbewegt.
Heute ist in Deutschland noch viel mehr Außengeld vorhanden als damals, doch hat der EZB-Rat die Bundesbank inzwischen gegen deren Willen gezwungen, immer mehr deutsche Staatspapiere zu kaufen und damit zugleich neues Binnengeld in den Markt zu pumpen, um nun endlich die lang ersehnte Inflation loszutreten. Da die Bundesbank sehr viel Außengeld und zugleich sehr viel Binnengeld schaffen musste, war der Anteil des netto in Deutschland geschaffenen Außengeldes bis zum März 2018 wieder auf 72 Prozent gefallen, was aber immer noch ein extrem hoher Wert ist, denn in einem symmetrischen Gleichgewicht, in dem jedes Land nur so viel Geldschöpfungskredit vergibt, wie es seiner Größe entspricht,...
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Heute ist in Deutschland noch viel mehr Außengeld vorhanden als damals, doch hat der EZB-Rat die Bundesbank inzwischen gegen deren Willen gezwungen, immer mehr deutsche Staatspapiere zu kaufen und damit zugleich neues Binnengeld in den Markt zu pumpen, um nun endlich die lang ersehnte Inflation loszutreten. Da die Bundesbank sehr viel Außengeld und zugleich sehr viel Binnengeld schaffen musste, war der Anteil des netto in Deutschland geschaffenen Außengeldes bis zum März 2018 wieder auf 72 Prozent gefallen, was aber immer noch ein extrem hoher Wert ist, denn in einem symmetrischen Gleichgewicht, in dem jedes Land nur so viel Geldschöpfungskredit vergibt, wie es seiner Größe entspricht, ist der Wert null.
Die zwei Target-Wellen
Der deutsche Target-Saldo stieg im letzten Jahrzehnt in zwei Wellen an. Die erste erreichte mit einem Target-Bestand von € 751 Mrd. im August 2012 ihren Höhepunkt. Diese Welle wird durch die Finanzkrise unmittelbar erklärt, denn seit dem Lehman-Crash verweigerten sich die Kapitalmärkte einer Fortsetzung der Finanzierung der Leistungsbilanzdefizite der südeuropäischen Länder und Irlands. Die ausländischen Anleger wollten sogar das bereits verliehene Geld zurück, sobald es fällig wurde, und weigerten sich, Ersatzkredite zur Ablösung der Altkredite zu gewähren. Ferner versuchten inländische Vermögensbesitzer, ihr Vermögen im Inland zu beleihen und die Kreditmittel dann ins Ausland zu bringen. Die Selbsthilfe mit der Druckerpresse in Form der oben beschriebenen Regeln ermöglichte es, die öffentlichen Überziehungskredite im Eurosystem in Anspruch zu nehmen, die durch die Target-Salden gemessen werden.
In den letzten vier Jahren erlebten wir die zweite Welle, wie ich sie in meinem Buch Der Schwarze Juni und auch in meiner Autobiographie Auf der Suche nach der Wahrheit schon beschrieben habe. Sie wurde durch die Erwartung und Implementierung des QE-Programms der EZB ausgelöst, nach dem in der Zeit vom März 2015 bis Juni 2018 für etwa € 2,4 Billionen Wertpapiere gekauft wurden. Von dieser Summe entfielen zwei Billionen auf Staatspapiere im Zuge des Public Sector Purchase Programme (PSPP). Obwohl jede Notenbank nur die Papiere ihres eigenen Landes zurückkaufte, stiegen die Target-Salden nochmals an.
Das lag zum einen daran, dass die Verkäufer die Überschussliquidität in Deutschland in Sicherheit bringen wollten. Das ist ein Aspekt, der angesichts der in Italien wieder aufflammenden Eurokrise gerade in letzter Zeit eine zunehmende Bedeutung erhielt. Auch den in den letzten Monaten rasanten Anstieg der Target-Verbindlichkeiten Frankreichs kann man darauf zurückführen, weil die französischen Banken ein extrem großes Exposure in Italien haben und unmittelbar von der italienischen Krise betroffen sind.
Zum anderen ist der neuerliche Anstieg der Target-Salden auf den technischen Effekt zurückzuführen, dass die Papiere der südlichen Euroländer in der Zeit vor der Lehman-Krise und auch schon vor der Einführung des Euro zur Finanzierung riesiger Leistungsbilanzdefizite in die Welt verkauft worden waren, so dass nun ohnehin Auslandsüberweisungen notwendig waren, um diese Papiere zurückzuholen. So oder so war die Bundesbank – und neben ihr auch noch die Notenbank der Niederlande – häufig gefordert, die Rückkäufe und damit die alten Leistungsbilanzdefizite der Südländer durch eine gigantische Umschuldungsaktion im Nachhinein zu kreditieren.
So musste die Bundesbank zum Beispiel direkt an sie gerichtete Überweisungsaufträge der spanischen Notenbank ausführen, die das Ziel hatten, spanische Wertpapiere aus Deutschland nach Hause zurückzuholen. Die Aktion war gut für Spanien, weil Spanien seine verbriefte, mit einem Zins ausgestattete Schuld gegenüber privaten ausländischen Investoren (die manchmal lästig werden können) in eine bloße Buchschuld einer spanischen Behörde gegenüber dem Eurosystem und indirekt gegenüber der Bundesbank umtauschen konnte, die derzeit keinen Zins trägt und niemals fällig gestellt werden kann. Doch für Deutschland war die Aktion weniger gut. Zwar wurden die deutschen Verkäufer mit Geld von der Bundesbank kompensiert, doch ist dieses Geld eine Forderung gegen die Bundesbank, verbucht auf der Passivseite ihrer Bilanz, während die Bundesbank dafür nur eine Target-Forderung gegen das Eurosystem erhielt.
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