Folke Tedsen muss lachen, wenn er an seine Bewerbung im Jahr 1978 zurückdenkt. „Kein Mensch in meinem Bekanntenkreis kannte die Hansemerkur", erzählt er. Nur durch Zufall – die Schwester der Freundin seines Bruders arbeitete dort – landete er bei dem kleinen, „verschlafenen“ Krankenversicherer.
Einst ein unbekanntes Unternehmen
200 Bewerbungen auf einen Ausbildungsplatz, das war normal. Die Baby-Boomer
kämpften um jeden Job, die Arbeitgeber konnten sich die Besten aussuchen. Bei einem anderen Hamburger Unternehmen wurde er „ziemlich arrogant“ behandelt. Bei der Hansemerkur war jedoch alles anders: „Cola und Kekse standen auf dem Tisch. Ich fühlte mich sofort wertgeschätzt“, erzählt Tedsen. Der heute 63-Jährige bekam die Ausbildungsstelle und blieb – bis auf eine kurze Unterbrechung – bis heute.
Wenn der HSV-Fan ins Hamburger Volksparkstadion geht, wird ihm diese lange Geschichte bewusst. Die Hansemerkur ist seit einigen Jahren Hauptsponsor des Vereins: „Als Kind stand ich ehrfürchtig vor dieser riesigen Kulisse. Gehe ich heute ins Volksparkstadion und sehe überall Hansemerkur, finde ich es toll, ein kleiner Teil dieser Firma zu sein.“
Was der jungen Mitarbeiterin wichtig ist
Die Hansemerkur unbekannt? Antonia Brunkhorst, die beim Gespräch in der Hamburger Konzernzentrale neben Tedsen sitzt, kann sich das kaum vorstellen. Als sich die 22-jährige duale Studentin vor drei Jahren bewarb, war das Unternehmen als Reiseversicherungs-Marktführer und aufgestiegen in die Top Ten des deutschen PKV-Markts längst eine Hausnummer. „150 Jahre – diese Zahl beeindruckt mich“, so Brunkhorst.
Sicherheit und Stabilität sind der jungen Mitarbeiterin sehr wichtig, wie sie sagt. So war auch die Übernahmezusage noch während des Studiums keine Überraschung. Das Unternehmen übernimmt fast alle Absolventen. Für Tedsens Generation war diese Jobgarantie noch undenkbar. Brunkhorst pendelt täglich über eine Stunde nach Hamburg, Homeoffice ist da ein Muss. Aber das Klischee von der freizeitfixierten Generation Z? Trifft auf sie nicht zu. „Ich will Veränderungen bei Themen wie KI, Digitalisierung oder neue Märkte in Zukunft mitgestalten“, sagt sie.
Wie sich die Wahrnehmung im Markt verändert hat
Altersmäßig zwischen den beiden liegt Vera Scheuermann. Die Leiterin des Online-
und internationalen Vertriebs ist 47 Jahre alt und kam 2014 von der Deutschen Bahn zur Hansemerkur. „Deren Vertriebler fielen mir schon bei der Bahn auf“, erinnert sie sich. „Freundlich, kompetent – die wussten, wovon sie reden.“ Ansonsten kannten damals in ihrer süddeutschen Heimat viele die Hansemerkur nicht, erzählt sie.
Ihre europäischen Kollegen nutzen das Jubiläumslogo gern als Verkaufsargument. Denn damit können sie zeigen, dass man kein kleines Start-up ist, sondern ein alteingesessenes
Unternehmen – „das schon 150 Jahre verlässlich an der Seite seiner Kunden steht“, so Scheuermann. Tradition und Innovation – für sie ist das kein Widerspruch, sondern ein Wettbewerbsvorteil. „Was die Hansemerkur auszeichnet, ist das Grundverständnis vom ehrbaren Kaufmann. Aus diesem Leitmotiv heraus versuchen wir uns stetig weiterzuentwickeln.“
Wie im Jahr 1875 alles begann
Das Unternehmensmotto „Hand in Hand ist Hansemerkur“ zieht sich heute durch die gesamte Markenkommunikation. Es steht für Gemeinschaft und partnerschaftliche
Zusammenarbeit – Werte, die schon bei der Gründung zentral waren. Dabei hat sich fast alles verändert: Name, Struktur, Geschäftsfelder, Gebäude, Logos. Nur der Grundgedanke blieb derselbe – die Solidargemeinschaft.
vor den Toren Hamburgs Ende des 19. Jahrhunderts,
@ HanseMerkur
Alles begann am 13. Mai 1875, als neun Männer in Stellingen, damals noch vor den Toren Hamburgs, den „Kranken- und Sterbe-Unterstützungsverein für Stellingen, Langenfelde, Eidelstedt und Lokstedt“ gründeten. Die „Stütze der Kranken“, wie der Verein in einer Zeit ohne staatliche Absicherung genannt wurde, war eine Selbsthilfeeinrichtung von Handwerkern für Handwerker – sechs Jahre vor Bismarcks Sozialversicherung.
Wegen der Ursprünge im Schuhhandwerk hieß sie im Volksmund auch „Schusterkasse“. Dieser Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit wurde zur Keimzelle der heutigen Hansemerkur. Die Verwaltung zur damaligen Zeit war simpel: Der Vorsitzende arbeitete zu Hause, fünf Boten zogen von Haus zu Haus die Beiträge ein, das Geld lagerte in einer Eisenkiste im Schlafzimmer des Kassierers.
Wechselvolle Geschichte
Auf die schwere Wirtschaftskrise nach dem Gründerboom des Deutschen Reichs folgte 1892 die Cholera-Epidemie in Hamburg. Die „Stütze“ zahlte hohe Leistungen aus und musste kreativ werden, um zu überleben: Sie veranstaltete Wohltätigkeitsbälle mit Maskerade. Fundraising auf Hamburger Art könnte man dazu sagen.
Hinrich Behrmann im Stellinger Steindamm
war auch die Hauptverwaltung der „Stütze“,
@ HanseMerkur
Der Erste Weltkrieg dezimierte die Mitgliederzahl, der Hungerwinter 1917 und die Spanische Grippe verschärften die Lage. Paradoxerweise brachte die große Inflation der 1920er Jahre dann einen Aufschwung: Wohlhabende Menschen, die bisher ihre Arztrechnungen aus eigener Tasche bezahlt hatten, suchten nun nach Versicherungsschutz, weil das Geld dafür nicht mehr reichte. Die Weltwirtschaftskrise 1929 beendete diese Phase abrupt. Etliche Private Krankenversicherer (PKV) mussten schließen oder fusionieren.
Die „Stütze“ überlebte durch einen klugen Schachzug: 1931 ging sie eine Arbeitsgemeinschaft mit den Hanseatischen Ersatzkassen (HEK) ein – und stellte so die Weichen für die Zukunft. Die Nationalsozialisten erleichterten 1933 Angestellten den Zugang zur PKV. Die Zahlen explodierten: von zwei Millionen Privatversicherten 1925 auf zehn Millionen bei Kriegsausbruch. Auch die Hanseatische profitierte: Die Mitgliederzahl wuchs von nur 908 im Jahr 1931 auf 57.000 im Jahr 1937.
In diesem Jahr bezog das Unternehmen erstmals ein eigenes Verwaltungsgebäude – eine
Villa in der Neuen Rabenstraße, nur wenige Meter vom heutigen Hauptsitz entfernt.
In diese Zeit fällt auch die erste Verwendung des Namens „Merkur“: Die HEK übernahm 1940 die „Merkur Ersatzkasse Nürnberg“, deren Kooperationspartner „Privatkrankenkasse Merkur Nürnberg“, ging an die Hanseatische. Diese hieß fortan
Hanseatische Krankenversicherung von 1875 Merkur a. G. zu Hamburg.
Frauen übernehmen das Ruder
Der Zweite Weltkrieg veränderte das Unternehmen grundlegend. Fast die Hälfte der männlichen Beschäftigten wurde zur Wehrmacht eingezogen. „Um sie zu ersetzen, wurden vermehrt Frauen eingestellt. Der Frauenanteil stieg bis Kriegsende von zuvor rund einem Viertel auf zwei Drittel, heißt es in der Firmenchronik, die in diesem Jahr aus Anlass des Jubiläums herausgegeben wurde.
Nach dem Krieg gehörte Hamburg zur britischen Besatzungszone. Führungskräfte der Versicherungswirtschaft mussten sich einem Entnazifizierungsverfahren unterziehen. Bei der Hanse wurde 1946 der Vorstandsvorsitzende wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft entfernt.

