Einblicke in ein modernisiertes Unternehmen Arbeiten ist das neue Wohnen – wie die Hansemerkur ihre Zentrale umgestaltet
Als Christoph Hähnel anfängt zu sprechen, merkt man sofort, dass seine Stimme irgendwie anders klingt – gedämpfter. Der an zwei Seiten vollverglaste Meetingraum, in dem der IT-Gruppenleiter der Hansemerkur sitzt, ist schalldicht und akustisch optimiert. Die eigentlichen Arbeitsplätze stehen nicht weit weg. Man kann Hähnel sehen, aber nicht hören. „Normalerweise schicken wir alle Leute, die telefonieren, hier rein“, sagt er.
Kleine Räume, große Wirkung
Wegen der Nutzung, aber wohl auch wegen des Aussehens wird das freistehende Raum-in-Raum-System in Kubus-Form intern bereits Telefonzelle oder Zugabteil genannt. Vier Personen passen rein, es ist durchaus eng, man sitzt sich direkt gegenüber, nur ein kleiner Tisch ist dazwischen. Die Räume scheinen genau den richtigen Mittelweg zwischen Privatsphäre und Zusammenarbeit zu bieten. Sie ermöglichen besonders fokussierte und auch spontane Gespräche. Bildschirme gibt es nicht, es geht um den Dialog. Anderseits kann man auch störungsfrei allein arbeiten, ohne sich von seinen Kollegen abschotten zu müssen. Hähnel: „Wenn jemand eine Stunde ein Meeting hat, was keinen anderen interessiert, dann geht er hier rein.“
Erster Stock heißt jetzt „Future Work Place“
Überall im ersten Stock der Hamburger Unternehmenszentrale der Hansemerkur finden sich diese besonderen Rückzugsräume. Man könnte wegen der Beliebtheit bei den Mitarbeitern sagen, sie sind der heimliche Star des Konzepts „Future Work Place“. Hinter dem Namen verbirgt sich ein 2023 gestartetes Pilotprojekt für den Bau einer modernen Kollaborationsfläche, die vor einigen Monaten eingeweiht wurde. Neben der kompletten Umgestaltung hat der Versicherer dabei auch ein weiteres Stockwerk als Pilotprojekt grundlegend saniert. Denn so nobel die Hauptverwaltung der Hansemerkur zwischen Alster und Bahnhof Dammtor in Hamburg wirkt, im Inneren des Gebäude-Ensembles, das teilweise unter Denkmalschutz steht, hatten die Büros vielfach noch den Charme der 90er-Jahre.
Millioneninvestitionen für neue Arbeitswelten
Ein Projekt dieser Größenordnung ist natürlich mit erheblichen Kosten verbunden. Vorstandsmitglied Johannes Ganser spricht von einem mittleren einstelligen Millionenbetrag. Doch die Veränderung war dringend notwendig. Er arbeitete einige Jahre selbst in den alten Büros: „Lange, dunkle Flure, doppelte kleine Fenster, kaum Tageslicht, unglaublich viel Lärm“, so beschreibt er die damalige Zeit. Ein späterer Besuch im dritten Stock der Zentrale, wo diese Realität noch vorherrscht, macht die Worte von Ganser sichtbar.
Der Kontrast zu den neuen Räumlichkeiten könnte kaum größer sein. Dort prägen jetzt helle, offene Flächen, flexible Arbeitsplätze und modernste Technik das Bild. Die Decken wurden geöffnet, alles hat damit einen modernen „Industrial-Look“. Zudem gibt es wesentlich mehr Gemeinschaftsbereiche als zuvor, neben Meetingräumen unterschiedlicher Größe auch ein Work Café. „Wir wollten den Ort, das Büro, zu einem attraktiven Arbeitsort machen, mehr zu einem Ort des Austausches und der Zusammenarbeit als zu einem Ort des reinen Abarbeitens", sagt Personalvorstand Ganser.
Langfristig soll komplette Firmenzentrale modernisiert werden
Bisher sind über 500 Mitarbeiter über alle Umbaumaßnahmen hinweg aus- und wieder eingezogen. 1.500 Mitarbeiter hat die Hansemerkur an ihrem zentralen Verwaltungsstandort. Für Ganser ist klar, dass der Umbau weitergehen wird, auch wenn ein formaler Beschluss des Unternehmens noch fehlt. Sechs Stockwerke hat die Hauptverwaltung der Hanseaten. Und da der bisherige Umbau abschnittsweise im laufenden Betrieb lief, könnte eine vollständige Modernisierung wohl noch Jahre dauern.
Der lange Weg zum „New Work“-Konzept
Zurück in die Gegenwart und zu Maria Kern. Die Geschichte des ambitionierten Projekts hat viel mit der Change Managerin der Hansemerkur zu tun. Mit ihrem Einstieg beim Versicherer Anfang 2023 hat sie die Umbauarbeiten der beiden Pilotflächen als Projektverantwortliche begleitet. Der Startschuss für die Bauarbeiten war dabei das Ergebnis eines langen und intensiven Planungsprozesses, der schon vor Kerns Arbeitsaufnahme begann.
„Es gab ein Vorprojekt, in dem mit den Pilotteilnehmern Bedarfsanalysen gemacht wurden und Workshops, die auch extern begleitet wurden, um zu gucken, wie der Arbeitsalltag der Pilotteilnehmer aussieht“, erklärt sie. Diese gründliche Vorbereitung sollte sich auszahlen. Statt ein fertiges Architekten-Konzept überzustülpen, entwickelte man gemeinsam mit den Mitarbeitern individuelle Lösungen. Denn, so betont es Kern, die Wünsche und Bedarfe der Mitarbeiter sind je nach Abteilung und Aufgaben sehr unterschiedlich. Demnach gibt es weiterhin Teams, die gerne auch in traditionellen Büroclustern arbeiten.
So blieb es beim Pilotprojekt im zweiten Stockwerk auch bei einer behutsamen Modernisierung. Die Wände blieben drin, wurden aber an einigen Stellen durch großzügige Glassfronten ersetzt. Auch entstanden neue Treffpunkte für Mitarbeiter. Kern sagt: „Wir haben die Struktur im Zweiten bewusst gelassen, einfach weil das ein anderer Arbeitsalltag ist.“
Der Umbau: Eine logistische Meisterleistung
Die abschnittsweise Umsetzung des Projekts wurde zur logistischen Herausforderung. Das zeigen allein einige Zahlen: So wurden rund 4300 Kilogramm Spachtelmasse und 3.600 Liter Farbe für die Decken und Wände verwendet. Mehr als 200 Tonnen Schutt und (Bau-)Material mussten entsorgt werden. Zehn Gewerke waren in der Bauphase beteiligt.
Teilweise wurden einzelne Gebäudeflügel erst leergeräumt, nachdem andere bezugsfertig waren. Dafür wurde viel in den Randzeiten gearbeitet, bis 8 Uhr morgens, ab 17 Uhr abends und am Wochenende, gerade wenn es sehr laut wurde, zum Beispiel bei den mittlerweile über 420 Kernbohrungen oder der Installation von Bodentanks. Kern sagt: „Wir wären sicherlich schneller gewesen, hätte man sich dazu entschlossen, von morgens bis abends sozusagen die Bohrmaschine hier laufen zu lassen.“ Doch für die Akzeptanz der Mitarbeiter habe sich diese Vorgehensweise ausgezahlt. Nach Fertigstellung des ersten Stocks sei ein regelrechter firmeninterner Tourismus entstanden, weil jeder die neuen Flächen sehen wollte.
Technische Innovationen: Mehr als nur schöne Räume
Der Umbau war nicht nur eine optische Auffrischung, sondern brachte auch bedeutende technische Neuerungen mit sich. Hähnel ist besonders von der neuen Ausstattung der Besprechungsräume begeistert: „An der Decke haben wir Sennheiser-Mikrofone. Wir hatten davor bei Meetings immer die Situation, dass man einzelne Leute nicht versteht. Das passiert jetzt nicht mehr.“ Auch die Integration von Videokonferenzsystemen wurde deutlich verbessert. „Jetzt ist es so integriert, dass ich sagen kann, ich hätte gerne ein Teams-Meeting in diesem Raum mit diesen Leuten, und wenn ich dort hingehe, drücke ich auf einem Steuerungspanel nur noch Beitreten und kann loslegen“, so Hähnel. Das sei eine enorme Zeitersparnis.
Flexible Arbeitsplätze: Das Ende des persönlichen Schreibtischs
Eine der radikalsten Änderungen in der ersten Etage war die Abschaffung fester Arbeitsplätze. Stattdessen gibt es nun ein Buchungssystem, über das sich die Mitarbeiter täglich einen Arbeitsplatz reservieren können. Dabei ist die Zahl der Arbeitsplätze geschrumpft. Ein Standard, den man auch aus anderen New-York-Konzepten kennt. „Wir treiben aber niemanden durch Raumverknappung ins Homeoffice“, betont Ganser. Stattdessen verfolge man einen hybriden Ansatz: „Für uns ist das Thema Zusammenarbeit vor Ort weiterhin total wichtig. Aber wir wissen und respektieren, dass für viele Mitarbeitende eine gewisse Flexibilität in Raum und Zeit wichtig ist.“
Laut Hähnel arbeiten in seinem Team die Mitarbeiter durchschnittlich 60 Prozent der Zeit von zu Hause aus. Gleichzeitig berichtet er von einer gestiegenen Motivation, ins Büro zu kommen und von einer neuen Dynamik der Zusammenarbeit durch die Umgestaltung: „Die Kollegen sitzen normalerweise immer irgendwie zusammen, und dann wird automatisch geredet." Doch was passiert mit persönlichen Gegenständen und Unterlagen? „Jeder hat ein Schließfach“, erklärt Hähnel. Rollcontainer oder größere Schränke sieht man entsprechend nicht mehr im „Future Work Place“.
Kontinuierliche Anpassung: Der Schlüssel zum Erfolg
Ein zentraler Aspekt des Projekts ist die Bereitschaft, aus Erfahrungen zu lernen und Anpassungen vorzunehmen. „Uns ist zu jedem Zeitpunkt bewusst gewesen, dass es ein Pilot ist“, sagt Ganser. „Das heißt, wir probieren hier Dinge aus.“ Kern erzählt: „Wir hatten zum Beispiel Akustikvorhänge, die sich als keine gute Idee herausgestellt haben“. Jetzt werde man stattdessen Glaswände einziehen. Auch gebe es vereinzelt Kritik an fehlenden Steckdosen.
Die fortlaufende Evaluation des Projekts ist einer der Hauptaufgaben von Kern. Sie organisiert regelmäßige Feedback-Runden, führt Einzelgespräche mit Mitarbeitern und sorgt dafür, dass Probleme schnell erkannt und angegangen werden. „Wir sind einfach sehr dicht dran“, erklärt sie. „Es ist ein ganz wichtiges Signal für die Mitarbeitenden zu sehen: Wenn Dinge tatsächlich nicht passen, dann ändern wir die auch“, so Kern.
Bei all den baulichen und technischen Veränderungen betont Ganser die Bedeutung des Change Managements als übergeordnete Aufgabe: „Arbeitsplätze sind ein bisschen wie Wohnen, und Wohnen ist enorm emotional. Die Begleitung durch unser Change Management ist genauso wichtig, vielleicht manchmal sogar wichtiger, als ob das Möbelstück jetzt ein bisschen edler und von einem bekannten Designer ist.“
Investition in die Zukunft: Mitarbeiterbindung und -gewinnung
Die Modernisierung der Arbeitsplätze ist für die Hansemerkur natürlich auch eine Investition in die Mitarbeiterbindung und -gewinnung in Zeiten des Fachkräftemangels. „Wenn man in ein Gebäude kommt, wo man das Gefühl hat, es ist irgendwie hell, offen, einigermaßen modern, dann fühlt man sich gleich wohl“, sagt Ganser. Das Unternehmen nutzt die neuen Räume entsprechend bereits aktiv für Bewerbungsgespräche und Recruiting-Filme. Auch wenn das Unternehmen den genauen Effekt noch nicht quantifizieren kann, sind die ersten Reaktionen vielversprechend. Ganser: „Es gab bereits viele positive Reaktionen.“