Heinz-Werner Rapp, Vorstand und Investmentchef bei Feri
Die Fragilität der Eurozone nimmt zu
Heinz-Werner Rapp ist Vorstand und Investmentchef bei Feri. Foto: Feri
Nur wenig von der Öffentlichkeit und den Finanzmärkten bemerkt: Warum Italien zum Spielverderber wird und wie eine Gruppe europäischer Länder eine neue Bruchlinie der Währungsunion bilden könnte.
Italien als Spielverderber
Diese Verweigerungshaltung – also das Verschleppen notwendiger Reformen bei gleichzeitiger Schuldzuweisung an Berlin und Brüssel – hat speziell Italien seit Jahren kultiviert. Mit der neuen populistischen Regierung tritt nun ein möglicher Spaltpilz hervor, der strukturelle Schwächen der EMU schonungslos offenlegt.
Italien leidet seit rund 20 Jahren unter ökonomischem Stillstand, chronischer Reformverweigerung und gleichzeitig (in absoluten Zahlen) der dritthöchsten Staatsverschuldung der Welt. Viele dieser Probleme gehen auf die lange Misswirtschaft des Systems Berlusconi zurück, andere sind eher exogen, etwa als Folge der massiven...
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Italien als Spielverderber
Diese Verweigerungshaltung – also das Verschleppen notwendiger Reformen bei gleichzeitiger Schuldzuweisung an Berlin und Brüssel – hat speziell Italien seit Jahren kultiviert. Mit der neuen populistischen Regierung tritt nun ein möglicher Spaltpilz hervor, der strukturelle Schwächen der EMU schonungslos offenlegt.
Italien leidet seit rund 20 Jahren unter ökonomischem Stillstand, chronischer Reformverweigerung und gleichzeitig (in absoluten Zahlen) der dritthöchsten Staatsverschuldung der Welt. Viele dieser Probleme gehen auf die lange Misswirtschaft des Systems Berlusconi zurück, andere sind eher exogen, etwa als Folge der massiven Migration oder der Finanzkrise. Die Wirtschaftsleistung Italiens zeigt seit 20 Jahren lediglich einen Gesamtzuwachs um rund 4 Prozent, die Staatsverschuldung liegt bei über 130 Prozent des BIP und die Jugendarbeitslosigkeit beträgt dramatische 32 Prozent. Vor diesem Hintergrund war absolut zu erwarten, dass Italiens Bürger ihrem Unmut Luft verschaffen und gegen das Establishment votieren würden.
In Umfragen war bereits Monate vor dem Wahltermin klar absehbar, dass sich die politische Landkarte Italiens stark verändern würde. Der Aufstieg radikaler Anti-Establishment-Parteien zeichnete sich über lange Zeit deutlich ab und wurde am Wahlabend klar bestätigt. Italien als wichtiges Kernland der EU ist nun das erste Land, das von einer offen populistischen Regierung geführt wird. Künftig ist zu erwarten, dass diese Regierungskoalition in wichtigen Fragen einen direkten Konfrontationskurs gegen Brüssel (EU), Frankfurt (EZB) und Berlin (Merkel) einschlagen wird.
Italien ist nicht länger bereit, sich ökonomischen Realitäten oder politischen Zwängen zu unterwerfen. Stattdessen wird offenkundig ein „Befreiungsschlag“ angestrebt, der massive Finanzhilfen, einen Erlass von Staatsschulden oder einen erhöhten Spielraum für Neuverschuldung herbeiführen soll. Äußerst alarmierend – und zugleich entlarvend – war die schnelle Forderung nach einem Schuldenerlass der EZB im Gegenwert von 250 Milliarden Euro.
Auch wenn diese Forderung rasch wieder zurückgezogen wurde, gibt sie ein doch klares Signal für den zukünftigen Kurs Italiens. Viele Ereignisse und Dokumente belegen, dass Italiens populistische Parteien offen über einen Bruch mit der EMU nachdenken und diesen, als Ultima Ratio, bewusst ansteuern könnten.
Das kommende „Game of Chicken“
Ein strategischer Konflikt Italiens mit EU, EMU und EZB ist somit nicht nur gewollt, sondern anscheinend unvermeidlich und von langer Hand geplant: Italien könnte dazu schon in nächster Zeit ein spieltheoretisch geprägtes Manöver einleiten, das auch als „Game of Chicken“ bekannt ist. Dabei soll die Drohung mit dem (ökonomischen) Selbstmord – in diesem Fall konkret: mit einem möglichen Austritt aus der EMU – die „Mitspieler“ zu weitreichenden Zugeständnissen bewegen.
Eine wichtige Rolle bei diesen Überlegungen spielen die negativen Target-Salden Italiens, die inzwischen auf einen neuen Negativ-Rekordwert von minus 481 Milliarden Euro angeschwollen sind. Negative Salden innerhalb des TARGET-Systems repräsentieren faktisch Schulden der italienischen Notenbank (beziehungsweise Italiens) gegenüber dem Rest der EMU, insbesondere jedoch Deutschland. Sollte Italien aus der EMU austreten, würden diese Salden wohl nie mehr ausgeglichen und Italien hätte das EMU-System um einen erheblichen Betrag entreichert.
Da Italien mit 2,3 Billionen Euro nicht nur die höchsten Staatsschulden in Europa hat, sondern auch noch über 480 Milliarden Euro in Form negativer Target-Salden „schuldet“ – in Summe entspricht dies Gesamt-Verbindlichkeiten von 160 Prozent des BIP –, könnte eine solche Drohkulisse kaum ignoriert werden.
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