

- Startseite
- ETFs & Indexfonds
-
„Der Markt ist heute ineffizienter als vor 20 Jahren“ (Interview)

DAS INVESTMENT: Herr Skibeli, Sie sind seit über 30 Jahren im Asset Management tätig. Was hat sich in dieser Zeit am stärksten verändert?
Helge Skibeli: Die grundlegenden Mechanismen sind gleich geblieben - Märkte bewegen sich in Zyklen, es gibt regelmäßig Krisen. Die Dotcom-Krise Anfang der 2000er, die Finanzkrise 2008, Covid 2020 – das waren ganz unterschiedliche Herausforderungen. Mit solchen...
Warum nur an der Oberfläche kratzen? Tauchen Sie tiefer ein mit exklusiven Interviews und umfangreichen Analysen. Die Registrierung für den Premium-Bereich ist selbstverständlich kostenfrei.
Gratis-Zugang:
Um die Autorisierung über LinkedIn zu aktivieren, müssen Sie sich registrieren.
Um die Autorisierung über Google zu aktivieren, müssen Sie sich registrieren.
DAS INVESTMENT: Herr Skibeli, Sie sind seit über 30 Jahren im Asset Management tätig. Was hat sich in dieser Zeit am stärksten verändert?
Helge Skibeli: Die grundlegenden Mechanismen sind gleich geblieben - Märkte bewegen sich in Zyklen, es gibt regelmäßig Krisen. Die Dotcom-Krise Anfang der 2000er, die Finanzkrise 2008, Covid 2020 – das waren ganz unterschiedliche Herausforderungen. Mit solchen Extremsituationen, mit Höhen und Tiefen, haben wir bei J.P. Morgan Asset Management gelernt umzugehen.
Was sich fundamental geändert hat, sind die Marktteilnehmer. Der Aufstieg der Hedgefonds-Industrie hat die Volatilität deutlich erhöht. Die kurzfristigen Reaktionen auf Nachrichten sind heute viel extremer als früher. Wenn Sie sich die Quartalszahlen anschauen, sind die Kursreaktionen oft brutal, egal ob positiv oder negativ.
Macht die Verfügbarkeit all dieser Informationen die Märkte nicht eigentlich effizienter?
Skibeli: Interessanterweise nein. Während viele in den vergangenen 20 Jahren argumentiert haben, dass Märkte immer effizienter werden und man deshalb passiv investieren sollte, sehen wir genau das Gegenteil. Der enorme Fokus auf kurzfristige Entwicklungen schafft neue Ineffizienzen und damit Chancen für langfristig orientierte Investoren.
Frances Gerhold: Das ist ein wichtiger Punkt. Viele der heutigen Marktteilnehmer haben einen extrem kurzen Zeithorizont. Wenn etwas nicht sofort ihrer Erwartung entspricht, werfen sie die Aktien auf den Markt. Für uns als langfristige Investoren entstehen dadurch immer wieder spannende Gelegenheiten.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Skibeli: Nehmen Sie ASML. Ende 2021 wurde die Aktie doppelt so hoch bewertet wie im dritten Quartal 2022. Wie kann ein Weltklasse-Unternehmen innerhalb von sechs Monaten die Hälfte seines Wertes verlieren? Es gab plötzlich viele Geschichten über strukturelle Probleme, aber fundamental hatte sich nichts verändert. Das war eine massive Chance für uns. Diese Art von Volatilität ist ein relativ neues Phänomen und für uns als aktive Manager fantastisch. Es kann kurzfristig schmerzhaft sein, aber langfristig schafft es Opportunitäten.

Wie nutzen Sie solche Chancen konkret?
Gerhold: Ein wichtiger Aspekt ist unsere Datenbasis. Unsere Analysten speichern seit über 35 Jahren täglich ihre Prognosen. Das sind rund 25 bis 30 Millionen Datenpunkte – eine Goldmine an proprietären Informationen, die sonst niemand hat. Mit künstlicher Intelligenz können wir diese Daten heute viel besser ausnutzen als früher.
Skibeli: Genau. Wir arbeiten unter anderem mit sogenannten Valuation Spreads – also der Differenz zwischen den aus unserer Sicht unter- und überbewerteten Aktien. Früher konnten wir das nur sektor- oder branchenweise analysieren. Heute können wir dank moderner Technologie viel feinere Analysen fahren: Wachstumswerte gegen defensive Titel, zyklische gegen nichtzyklische Aktien - die Möglichkeiten sind praktisch endlos.
Wie gehen Sie damit um, wenn eine Position 50 Prozent verliert? Zweifeln Sie dann nicht an Ihrer Analyse, an Ihren Daten?
Skibeli: Natürlich hinterfragen wir uns ständig. Bei solchen Kurseinbrüchen müssen wir genau prüfen, ob unsere langfristigen Thesen noch intakt sind. Manchmal liegen wir dabei auch falsch. Aber wenn wir bei unseren Entscheidungen etwa 60 Prozent richtig und 40 Prozent falsch liegen, verdienen wir sehr gutes Geld. Und tatsächlich sind unsere Chancen heute besser als früher, gerade wegen der extremen Kurzfristorientierung vieler Marktteilnehmer.
Sie haben Post!
Tipp: Nichts bekommen? Schauen Sie auch in ihrem Spam-Ordner nach.
Frau Gerhold, Sie setzen bei J.P. Morgan Asset Management stark auf künstliche Intelligenz. Was bedeutet das konkret?
Gerhold: Wir nutzen KI in unserem Portfoliomanagement vor allem in zwei Bereichen: Erstens, um effizienter zu werden. Mit modernen Tools können wir zum Beispiel sehr schnell analysieren, was wir vor 10 oder 20 Jahren über ein bestimmtes Unternehmen gedacht haben. Das spart Zeit für tiefergehende Recherchen.
Zweitens hilft uns KI, unsere eigenen Vorurteile zu hinterfragen. Wir sind alle langjährige Stockpicker, aber wenn sich alle einig sind, entsteht schnell eine Echokammer. Deshalb haben wir Tools entwickelt, die uns zeigen, wo wir möglicherweise etwas übersehen oder wo unsere Prognosen in der Vergangenheit daneben lagen.
Sehen Sie auch konkrete Beispiele, wo KI traditionelle Geschäftsmodelle verändert?
Skibeli: Absolut. Nehmen Sie Relx, ein britisches Unternehmen, das seit Jahrzehnten juristische Dokumente in den USA sammelt. Früher war das ein solides, aber wenig wachstumsstarkes Geschäft. Jetzt legen sie KI-Tools über ihre Datenbank. Statt dass junge Anwälte wochenlang Dokumente durchforsten müssen, können Kanzleien diese Arbeit per KI erledigen lassen. Das spart enorme Kosten.
Ein anderes Beispiel ist United Healthcare. Als größter Gesundheitsdienstleister in den USA verfügen sie auch über riesige Datenmengen. Mit KI können sie diese nun nutzen, um die Effizienz des gesamten Systems zu verbessern. Das macht diese Unternehmen nicht unbedingt profitabler, aber es vereinfacht Prozesse, sodass alles effizienter und günstiger wird.
Was bedeutet das für Ihre Investmentstrategie?
Gerhold: Entscheidend ist die Qualität der Daten. Es gab in den USA bereits Fälle, wo Anwälte KI-generierte Schriftsätze eingereicht haben, die sich als fehlerhaft erwiesen. Ein Richter hat daraufhin klargestellt, dass solche KI-generierten Dokumente in seinem Gerichtssaal nicht mehr zugelassen werden. Das zeigt: Nicht die KI selbst ist entscheidend, sondern die Qualität der Daten, mit denen sie trainiert wurde.

Was suchen Sie heute bei jungen Talenten?
Gerhold: Python und andere Coding-Skills sind heute fast schon Standard. Viele Bewerber bringen diese Fähigkeiten bereits mit. Aber viel wichtiger sind intellektuelle Neugier und die Fähigkeit, große Datenmengen kritisch zu analysieren. Wir suchen Menschen, die den Kopf aus der Excel-Tabelle heben und verstehen, was die Zahlen wirklich bedeuten.
Skibeli: Man braucht beides – die Wissenschaft und einen kreativen Geist. Unsere Tools werden immer besser, aber die Erfahrung und die Fähigkeit, Märkte wirklich zu verstehen, sind unersetzlich. Das lebenslange Training, das wir bei J.P. Morgan AM durchlaufen, ist von unschätzbarem Wert.
Herr Skibeli, würden Sie heute nochmal als Analyst anfangen?
Skibeli: Als ich in den frühen 90ern anfing, standen wir vor dem Faxgerät, um als Erste die Quartalszahlen zu sehen. Diese Art von Ineffizienz gibt es heute nicht mehr. In den 2000er Jahren wurden die Märkte dann immer effizienter - aber in den letzten 5 bis 10 Jahren hat sich der Trend wieder umgekehrt. Für langfristigen Investoren wie uns ist das ein enormer Vorteil. Ich würde sogar sagen, die Möglichkeiten für aktive Manager sind heute mindestens so gut wie damals – sie sehen nur anders aus.



