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Hendrik Leber „Im Asset-Management scheint die Zeit stehen geblieben zu sein“

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KI schlägt Brücke zur Finanzwelt

Die internationale AI-Forschergemeinschaft besteht aus Tausenden von Wissenschaftlern, die als Teil des Erfolgsrezepts die neuesten Anwendungen innerhalb von Wochen im Internet publizieren, um den Code weiterzuentwickeln (Hinweis: auf der Website von Arxiv Sanity Preserver sind die neuesten Papers publiziert). Noch vor fünf Jahren war das Erkennen von handgeschriebenen Ziffern oder von videoerfassten Verkehrszeichen eine Herausforderung für die internationale Forschergemeinschaft. Heute werden wir schon nervös, wenn das Training eines modernen AI-Systems für diese Aufgaben länger als zehn Minuten braucht.

Die Entwicklung von Anwendungstechnologien ähnelt den mittelalterlichen Bauhütten: Zunächst werden neue Werkzeuge und Technologien ausprobiert, die Ergebnisse daraus anschließend in der Forschergemeinschaft verbreitet, sodass schließlich Kathedralen entstehen.

Die Kathedralen der künstlichen Intelligenz sind heute Musikstücke, die klingen, als seien sie von Bach komponiert („Deep Bach“), Übersetzungscomputer, die gesprochene Sprache transkribieren und in mehrere Sprachen übersetzen, oder auch Bilder, die aussehen, als seien sie von Rembrandt gemalt. Wer sich inspirieren lassen möchte, findet bei Youtube unter den „Two Minute Papers“ eine Vielzahl von neuen AI-Anwendungen.

Ungeahnte Weiterentwicklungen

Erfolgt nun die Verbindung mit Massendaten (Big Data), ergeben sich daraus ungeahnte Weiterentwicklungen: Drohnen, die Autos vor Einzelhandelsläden zählen und den Umsatz prognostizieren, oder Satelliten, die weltweit die Befrachtung von Schiffen oder den Füllstand von Öltanks messen und damit die Öllieferungen dirigieren. Da ist auch der Übergang zur Finanzwelt nicht mehr weit.

Insbesondere weil im Trading intelligente Maschinen bereits omnipräsent sind. Sie handeln in Sekunden oder sogar Millisekunden und verarbeiten neue Informationen praktisch verzögerungsfrei. Während der Mensch noch die Ad-hoc-Meldung liest, hat der Computer die Aktie bereits verkauft.

Computer übernehmen das Ruder

Nur im Asset-Management scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Da geht es noch um Erfahrung, den persönlichen Kontakt, das Bauchgefühl. Aber Achtung: Die ersten Spieler, die gegen den oben erwähnten Poker-Computer antraten, oder die Kampfpiloten, die gegen AI-gesteuerte Drohnen im Simulator saßen, kamen sehr schnell ins Schwitzen. Genauso wird es in Kürze auch Investmentmanagern ergehen.

Die Logik ist einfach. Investmentmanager sammeln über ihr Arbeitsleben Informationen zu einigen Tausend Firmen. Sie treffen unzählige Kauf- und Verkaufsentscheidungen und beobachten die Folgen ihrer Entscheidung in ihrer Karriereentwicklung sowie auf dem Konto. Dennoch sind Umfang und Diversität ihrer Lebenserfahrung auf ein Berufsleben beschränkt und lassen sich in wenigen Ordnern ablegen.

Was würde man jedoch von einem Analysten halten, der alle Firmen weltweit ohne Ausnahme im Quartalstakt analysiert und sich an die Ergebnisse jeder Analyse und jeder Entscheidung erinnert. Ein solcher Superanalyst wäre zwangsläufig jedem Menschen überlegen. Er wäre wie ein Autorennfahrer, der jedes Rennen, das jemals gefahren worden ist, im Kopf hat, oder aber der Schachcomputer, der jede gespielte Partie kennt. Für Computer ist es ein Leichtes, alle Bilanzen, die jemals erstellt wurden, zu analysieren oder die historische Kursentwicklung zu memorieren.

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