Ex-VW-Chef Herbert Diess im Interview „Die deutschen Autobauer sind unterbewertet“
Herbert Diess, ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns, spricht im Interview mit DAS INVESTMENT über die Zukunft der deutschen Automobilindustrie, die Herausforderungen durch chinesische Konkurrenz und erklärt, warum er die aktuellen Börsenbewertungen der deutschen Autobauer für zu niedrig hält.
DAS INVESTMENT: Herr Diess, die deutschen Autobauer müssen ihr Geschäftsmodell neu ausrichten – weg vom reinen Fahrzeugbau, hin zu ganzheitlicher Mobilität. Wie kann so ein Wandel im aktuellen Umfeld gelingen?
Herbert Diess: Der Wandel der Geschäftsmodelle wird nicht so schnell vonstatten gehen, wie viele denken. Autos werden ja weiterhin gefahren, der weltweite Fahrzeugbestand nimmt sogar zu. Allerdings ist das Wachstum langsamer als in den vergangenen Jahren, und die große Ertragsquelle China schwächelt. Das trifft aber nicht nur die deutsche Industrie – die japanischen Hersteller haben es noch schwerer. Honda hat beispielsweise 40 Prozent Marktanteil in China verloren. Ehrlich gesagt gibt es derzeit kaum einen Automobilhersteller, der positive Schlagzeilen macht. Übrigens auch nicht die neuen chinesischen Anbieter, die mehrheitlich straucheln.
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Herbert Diess, ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns, spricht im Interview mit DAS INVESTMENT über die Zukunft der deutschen Automobilindustrie, die Herausforderungen durch chinesische Konkurrenz und erklärt, warum er die aktuellen Börsenbewertungen der deutschen Autobauer für zu niedrig hält.
DAS INVESTMENT: Herr Diess, die deutschen Autobauer müssen ihr Geschäftsmodell neu ausrichten – weg vom reinen Fahrzeugbau, hin zu ganzheitlicher Mobilität. Wie kann so ein Wandel im aktuellen Umfeld gelingen?
Herbert Diess: Der Wandel der Geschäftsmodelle wird nicht so schnell vonstatten gehen, wie viele denken. Autos werden ja weiterhin gefahren, der weltweite Fahrzeugbestand nimmt sogar zu. Allerdings ist das Wachstum langsamer als in den vergangenen Jahren, und die große Ertragsquelle China schwächelt. Das trifft aber nicht nur die deutsche Industrie – die japanischen Hersteller haben es noch schwerer. Honda hat beispielsweise 40 Prozent Marktanteil in China verloren. Ehrlich gesagt gibt es derzeit kaum einen Automobilhersteller, der positive Schlagzeilen macht. Übrigens auch nicht die neuen chinesischen Anbieter, die mehrheitlich straucheln.
Der Trend geht stark in Richtung „Software Defined Vehicles“, und Künstliche Intelligenz spielt eine zunehmend wichtige Rolle. Wie groß ist der technologische Rückstand Deutschlands gegenüber den USA und China wirklich?
Diess: Man sieht am bisher sehr eingeschränkten Erfolg der Chinesen, dass wir gar nicht von einem Rückstand sprechen müssen. In China entsteht zwar gerade das Ökosystem für diese neuen Fahrzeuge, und das Marktwachstum der sogenannten New Energy Vehicles – also Plug-in-Hybride und Elektrofahrzeuge – geht dort exorbitant schnell voran. Aber für die deutschen Premiumhersteller wird es eine Kernaufgabe sein, sich in diesem Markt durchzusetzen.
Wird Deutschland seine starke Position im Premiumsegment halten können?
Diess: Wir haben in Deutschland einen Premiumanteil von über 30 Prozent. Das hat mit den politischen Rahmenbedingungen zu tun, aber auch mit der hohen Wettbewerbsintensität zwischen Audi, Porsche, Daimler und BMW. In diesem Segment sind wir traditionell sehr stark. Jetzt muss man sich darauf fokussieren, diese Position insbesondere in China zu halten. Dort ist es aus meiner Sicht noch völlig offen, wer die Premiumposition erreichen kann – diese Entscheidung wird in den nächsten 5 bis 10 Jahren fallen. Die deutschen Hersteller haben dort eine echte Chance. Sie sind stark in China und nutzen das gleiche Ökosystem. Die Batteriehersteller machen wahrscheinlich genauso viel Geschäft mit deutschen und US-amerikanischen Herstellern wie mit den Chinesen. Die Chancen sind also da, aber man muss sich sehr anstrengen.
Welche Innovationsfelder sehen Sie als entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit mit Blick auf 2030 bis 2035?
Diess: Vor allem das autonome Fahren wird entscheidend sein, da hat Deutschland noch Aufholbedarf. Man kann heute schon autonomes Fahren in den USA bei Robotaxis erleben, auch in China. Das wäre ein Feld, wo ich mir wünschen würde, dass die Deutschen noch aktiver werden. Allerdings haben wir im Bereich Auto-Software eine hohe Kompetenz, besonders beim Level-3-Fahren sind wir technologisch führend. Neben Mercedes und BMW gibt es meines Wissens nach nur einen außereuropäischen Hersteller, der das beherrscht – also wirklich die Hände vom Steuer zu nehmen auf der Autobahn bei Geschwindigkeiten von derzeit 90 bis 120 Kilometern pro Stunde.
Resilienz ist heute ein Schlüsselfaktor, gerade in der Autoindustrie mit ihren komplexen Lieferketten. Wie kann die Industrie Abhängigkeiten reduzieren, ohne die Kostenvorteile der globalen Vernetzung zu verlieren?
Diess: Das wird wahrscheinlich nicht gehen. Wenn man die Abhängigkeiten reduziert, wird es teurer. Wenn Sie beispielsweise Halbleiter aus Europa beziehen wollen statt aus Asien, müssen Sie mit höheren Kosten rechnen. Ohne Kompromisse wird das nicht funktionieren.
Sie halten die europäischen Autohersteller derzeit für unterbewertet. Können Sie das näher erläutern?
Diess: Alle Volumenhersteller mit Ausnahme von Toyota werden derzeit nur mit dem Dreifachen ihres EBITDA gehandelt. Das ist außerordentlich gering und unterstellt ja praktisch, dass sie die nächsten drei Jahre nicht überleben werden – was ich für eine klare Fehlannahme halte. Der Wandel in der Automobilindustrie ist sehr kapitalintensiv. Tesla hat bis zur Profitabilität wahrscheinlich um die 15 bis 20 Milliarden ausgegeben. Das Gleiche würde ich für BYD unterstellen, die beiden Führenden bei den New Energy Vehicles. Als Nummer drei kommt schon VW, in Europa deutlicher Marktführer bei Elektrofahrzeugen. Viele der gehypten Start-ups sind dagegen schon wieder verschwunden oder werden verschwinden. Denn der Weg, ein etablierter Automobilhersteller zu werden mit zwei bis drei Millionen Fahrzeugen, wie man es im Premiummarkt wahrscheinlich braucht, um die nötigen Skaleneffekte zu generieren – dieser Weg ist sehr weit. Insofern bleibe ich bei meiner Aussage, dass die deutschen Autobauer derzeit unterbewertet sind.