Wirtschaftswissenschaftlerin Birte Rothkopf
So funktioniert der Herdentrieb an den Kapitalmärkten

Wirtschaftswissenschaftlerin Birte Rothkopf
Wissenschaftler der Universität Rey Juan Carlos in Madrid haben das kürzlich getestet – und zwar anhand des erwähnten Greed and Fear Index von CNN. In einem Paper soll die Vorhersagefähigkeit des Index für die Märkte validiert werden. Dabei gilt folgende Annahme: Extreme Angst bringt viele Sorgen bei Investoren mit sich. Hier könnten sich Kaufgelegenheiten ergeben. Wenn Investoren laut Index zu...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Wissenschaftler der Universität Rey Juan Carlos in Madrid haben das kürzlich getestet – und zwar anhand des erwähnten Greed and Fear Index von CNN. In einem Paper soll die Vorhersagefähigkeit des Index für die Märkte validiert werden. Dabei gilt folgende Annahme: Extreme Angst bringt viele Sorgen bei Investoren mit sich. Hier könnten sich Kaufgelegenheiten ergeben. Wenn Investoren laut Index zu gierig werden, bedeutet das, dass der Markt kurz vor einer Korrektur steht.
Ein zu diesem Testzweck entwickelter Algorithmus auf der Plattform Trading Motion eröffnete von Juli 2021 bis Juli 2022 jeden Montag der Woche eine Position auf der Grundlage des zuletzt veröffentlichten Werts des CNN Fear & Greed Index. Befand sich der Wert kleiner oder gleich 25 und damit in der Zone der extremen Angst, eröffnete das System eine Long-Position im Futures-Markt.
Wenn das Signal auf extreme Gier (mehr als 75 Punkte) stand, wurde eine Short-Position eröffnet. Wurde keines der beiden Extreme erreicht, blieb die Beteiligung am Markt aus. Die Backtests wurden unter Verwendung der meist verfolgten Aktienindex-Futures durchgeführt – sowohl amerikanischer (Dow Jones, S&P 500 und Nasdaq) als auch europäischer (CAC, Dax, MIB und Ibex).
Das Ergebnis: An allen untersuchten Aktienmärkten waren die Backtests profitabel – und zwar trotz der Tatsache, dass der Index mit sieben Indikatoren aus dem amerikanischen Markt berechnet wurde. Tatsächlich erzielten sogar die europäischen Aktienmärkte rentablere Ergebnisse als die amerikanischen. Rothschild hatte augenscheinlich Recht.
Was heißt das nun für Anleger? Behalten sie evolutionär erworbenen Reflexe im Auge, können sie auf rationaler Ebene Kaufgelegenheiten nutzen, wenn Aktienkurse sinken. Noch wichtiger ist, dass ein bisschen mehr Rationalität am Kapitalmarkt ausschlaggebend für den Fortgang der Ereignisse sein kann. So warnte auch DIW-Präsident Marcel Fratzscher vor einer Panikreaktion an den Kapitalmärkten, da eine solche zu sogenannten selbsterfüllenden Prophezeiungen führen könnte.
Heißt: Die Sorge um die Liquidität von Banken gefährdet die Existenz von Banken, die ansonsten solvent wären. Durch Anleger und Sparer, die aus Angst dem Herdentrieb folgen und ihre Einlagen und Investments abziehen – teils ohne gute Begründung. Instrumente wie der Fear & Greed Index von CNN können Hilfestellung bei der Einschätzung von Empfindungen geben. Doch egal ob er Angst oder Gier, kaufen oder verkaufen anzeigt – am wichtigsten ist es, zu wissen, was man tut, statt sich emotional steuern zu lassen.
Es gilt, bewusst gegen den Herdentrieb zu agieren – auch wenn die erste Reaktion auf das Schrillen von Alarmglocken meistens die Flucht ist. Sich gegen die Masse zu stellen, erfordert Mut und Willensstärke. Erst recht, wenn die Entwicklung zunächst noch gegen einen läuft.
Dass der sogenannte Contrarian-Blickwinkel sich auszahlen kann, haben vor den Wissenschaftlern der Universität Rey Juan Carlos auch schon andere herausgefunden: Warren Buffett etwa ist mit diesem Prinzip Milliardär geworden. Es lohnt sich also, Emotionen zu hinterfragen – und nicht im Affekt hinter der Masse hinterherzujagen. Für die eigenen Anlagen. Und für das Wohl der gesamten Finanzwirtschaft.
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