Hilde Jenssen, Leiterin Fundamental Equities bei Nordea Asset Management in Kopenhagen, spricht im Interview über ihren Karriereweg von New York in ihre skandinavische Heimat, was sie als junge Analystin bei Credit Suisse fürs Leben gelernt hat und wie sie ESG heute in die Nordea Stars Fonds integriert.
DAS INVESTMENT: Frau Jenssen, lassen Sie uns gleich mit der Frage einsteigen, wo Aktienanleger nicht nur in den nächsten 12 Monaten Geld verdienen können, sondern in den nächsten Jahren. Was denken Sie?
Hilde Jenssen: Ich denke, es gibt einige interessante Aspekte derzeit an den Kapitalmärkten. Aber generell verfolgen wir bei Nordea einen fundamentalen, langfristigen High-Conviction-Ansatz. Das bedeutet, wir tauchen tief in die Finanzdaten der Unternehmen ein, lernen das Management kennen und verstehen, was es motiviert, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Besonders interessant finde ich aktuell Small und Mid Caps in Europa.
Weshalb?
Jenssen: Schaut man sich deren Bewertungen an, muss man bis zur Finanzkrise 2008 zurückgehen, um über einen längeren Zeitraum so günstige Bewertungen zu finden. Dabei ist die finanzielle Stärke der europäischen Small und Mid Caps deutlich gestiegen, die Bilanzen sehen gut aus. Der Markt preist hier meiner Meinung nach ein zu negatives Szenario ein.
Was könnte der Katalysator sein, damit sich das ändert?
Jenssen: Ich denke, wir werden eine stark anziehende M&A-Aktivität in diesem Segment sehen. Schließlich sehen Private-Equity-Firmen ebenfalls die günstigen Bewertungen. Das könnte die Trendwende einläuten. Aber auch ohne M&A könnte es langfristig hoch gehen – jedenfalls dann, wenn die Unternehmen weiterhin gute Gewinne liefern. Die Stimmung ist aktuell einfach extrem negativ. Es braucht nicht viel, damit sich das dreht.
Da klingt viel New Yorker Optimismus durch. Sie haben lange an der Wall Street gearbeitet, richtig?
Jenssen (lacht): Vielleicht kommt da der positive Blickwinkel her. Ich habe insgesamt mehr als 20 Jahre in den USA gearbeitet, zunächst bei Credit Suisse, dann bei Goldman Sachs. Bei Goldman haben wir damals viele innovative Optionsstrategien für unsere Kunden entwickelt. Da habe ich gelernt, ohne Denkverbote an Dinge heranzugehen: Wenn es das Produkt noch nicht gibt, erfinden wir es!
Welche Lektion haben Sie mitgenommen?
Jenssen: Diese Neugier und Innovationsfreude versuche ich an mein Team weiterzugeben. Ich ermutige unsere Portfoliomanager, immer wieder unvoreingenommen an ihre Portfolios heranzugehen. Würde ich heute noch die gleichen Aktien kaufen wie vor einem Monat? Mit dieser Fragetechnik identifiziert man Aktien, die vielleicht nicht offensichtlich sind, aber großes Potenzial haben.
Können Sie Beispiele nennen, wo Sie solche versteckten Chancen sehen?
Jenssen: Im Gesundheitssektor zum Beispiel. Viele denken da sofort an die großen Pharmakonzerne. Aber wenn man genauer hinschaut, sehen wir viel Innovation und Potenzial bei Medizintechnik, etwa verbesserte Produktivität durch vernetzte Geräte. Auch bei der Energie- und Verkehrswende steckt viel drin, Stichwort Netzinfrastruktur.
Da ist es sicher hilfreich, auf ein großes Analysten-Team zurückgreifen zu können.
Jenssen: Definitiv, wobei es bei uns nicht nur um die Anzahl geht, sondern auch um die Art der Zusammenarbeit. Viele Asset Manager haben separat aufgestellte ESG- und Finanzanalysten. Bei uns sitzen beide Seite an Seite und tauschen sich ständig aus. Das ist enorm wertvoll, weil wir so Chancen und Risiken ganzheitlich beurteilen können.
Was heißt das konkret?
Jenssen: Stellen wir zum Beispiel bei einer Aktie Kontroversen fest, müssen unsere Portfoliomanager schon sehr gute Argumente liefern, warum wir sie dennoch halten sollten. Und wenn wir bei Gesprächen mit dem Management keine Fortschritte sehen, trennen wir uns auch konsequent wieder von Unternehmen. Diese Gradlinigkeit schätzen unsere Kunden.
Frau Jenssen, Sie sprachen vorhin über Ihre Anfangstage in der Finanzbranche. Was hat Sie damals besonders geprägt?
Jenssen: Da muss ich an meine Anfangszeit als Analystin bei Credit Suisse zurückdenken. Wir hatten damals für das gesamte Team nur ein einziges Bloomberg-Terminal. Für mich hieß das: Früh aufstehen und als Erste im Büro sein, oft schon um 6 Uhr morgens. So hatte ich die Ruhe, tief in die Unternehmensbilanzen einzutauchen, während die meisten noch geschlafen haben. Was ich daraus mitgenommen habe: Um wirklich tiefe Einsichten zu gewinnen, muss man bereit sein, die Extra-Meile zu gehen. Auch mal länger zu bleiben und hartnäckiger zu sein als andere. Das kostet Durchhaltevermögen, aber es zahlt sich aus. Dieses Prinzip prägt mich bis heute.
Sprechen wir über Durchhaltevermögen. Wo sehen Sie Nordea Asset Management angesichts einer Marktkonsolidierung und eines ruppigen Umfelds in 10 Jahren?
Jenssen: Wir wollen auch in 10 Jahren eine Spitzenposition im europäischen Fondsgeschäft einnehmen. Dabei geht es mir nicht nur um Investmentergebnisse, sondern auch darum, bei Zukunftsthemen wie klimabewusstem Investieren ganz vorne mitzuspielen. Ich glaube fest daran: Nachhaltigen Erfolg erreicht man nicht, indem man jedes Modethema mitnimmt. Stattdessen müssen wir den Mut haben, auch mal gegen den Strom zu schwimmen und uns durch Marktschwankungen nicht beirren zu lassen. Der Schlüssel dazu ist, dass wir weiterhin klug in Research und Mitarbeiterentwicklung investieren. Wir brauchen Köpfe, die unkonventionell denken und neue Wege gehen.