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Aktualisiert am 06.04.2020 - 16:40 Uhrin Märkte verstehen, Chancen nutzenLesedauer: 6 Minuten
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Höhere Kursschwankungen, steigende Zinsen Wie europäische Investoren auf das veränderte Umfeld reagieren sollten

Seit geraumer Zeit argumentieren wir vom BlackRock Investment Institute, dass Portfolios angesichts höherer Kursschwankungen und steigender Zinsen wetterfest gemacht werden sollten. Wetterfestigkeit ist dabei jedoch keinesfalls mit absoluter Risikovermeidung gleichzusetzen. Vielmehr ist es ratsam, eine Strategie zu verfolgen, welche Angelsachsen als „Barbell Strategy“ bezeichnen. Barbell bedeutet auf Deutsch „Hantel“. Die Strategie zielt darauf ab, hinsichtlich des Risikospektrums verstärkt auf die beiden Enden der Hantel zu setzen. So sollten weiterhin dort gezielt höhere Risiken eingegangen werden, wo sie angemessen durch Rendite entlohnt werden. Nach wie vor sind wir beispielsweise der Ansicht, dass Aktien aus ausgewählten Schwellenländern interessant sind.

Der Bewertungsabschlag, mit dem Aktien aus Emerging Markets (EM) aktuell gehandelt werden, ist der höchste seit vielen Jahren. Da Schwellenländer nach wie vor die Wachstumslokomotiven in der Welt sind, ist aus unserer Sicht eine Übergewichtung des Segments EM-Aktien selbst in unruhigeren Zeiten angebracht.

US-Aktien gehören ins Portfolio

Auch US-Aktien sollte in Portfolios nach wie vor ein prominenter Platz eingeräumt werden – unabhängig von der Basiswährung. Das risikoarme Ende der Hantel sollte gestärkt werden, indem die Qualität im Portfolio erhöht wird. So empfehlen wir etwa auf der Aktienseite auf Unternehmen zu setzen, die krisenfeste beziehungsweise konjunkturunabhängige Cashflows aufweisen, gering verschuldet sind und nachhaltige Governance-Strukturen implementiert haben. Die gleichen Kriterien gelten auch für Staats- und Unternehmensanleihen, wobei hier zusätzlich das Zinsänderungsrisiko reduziert werden sollte, um der Gefahr steigender Zinsen zu begegnen.

So plausibel diese Empfehlungen zunächst klingen mögen: Bei der konkreten Umsetzung stoßen gerade europäische Investoren schnell an Grenzen. Insbesondere auf der Rentenmarktseite gibt es große Herausforderungen, da es anders als in den USA hier auf unserem Kontinent keine Möglichkeit gibt, Cash an der Seitenlinie zu parken oder in kurzlaufende Anleihen zu investieren, ohne dabei einen Kaufkraftverlust zu erleiden.

Während in den USA die Geldmarktrenditen mittlerweile über dem Inflationsniveau liegen, sind Anleger hier in Europa von solchem Luxus gefühlt noch Lichtjahre entfernt. Die allgemeine Empfehlung, kurze Laufzeiten ins Visier zu nehmen, ist für Anleger in Europa kaum sinnvoll, da reale Verluste drohen.

Amerikanische Langhantel, europäische Kurzhantel

Aufgrund des nach wie vor sehr niedrigen Zinsniveaus in Europa sind europäische Anleger gezwungen, eine Investment-Strategie zu verfolgen, die von unserer Empfehlung für US-Anleger abweicht. Europäische Anleger müssen selbst am weniger riskanten Ende der Hantel stets mehr Risiko in Kauf nehmen als US-Anleger mit gleichem Renditeziel. Die „Up-in-Quality-Empfehlung“ für den US-Investor ist in Europa nur bedingt umsetzbar. Um bei dem Bild einer Hantel zu bleiben: Die „optimale“ Hantel des europäischen Anlegers ist deutlich kürzer ist als die eines US-Anlegers.

Wie aber schafft ein europäischer Investor es, einerseits widerstandsfähig zu sein und gleichzeitig auskömmliche Renditen zu erzielen? Die Lösung liegt aus unserer Sicht in einem Mix an Maßnahmen. So hat ein europäischer Anleger an den europäischen Rentenmärkten zum Beispiel mit gezielten Investitionen im Bereich Investment-Grade-Unternehmensanleihen die Chance, positive Realrenditen einzufahren.

Auch das Euro-High-Yield-Segment ist interessant, da es eine kurze Duration aufweist. Zudem hat sich die Bonität der Emittenten in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Unternehmen mit einem BB-Rating machen mittlerweile den mit Abstand größten Teil des Segments aus. Im Bereich Euro-Investment-Grade hat sich das durchschnittliche Rating hingegen verschlechtert. Investment-Grade-Anleihen und High-Yield-Anleihen sind in Europa näher zusammengerückt.

Im Gegenzug könnten beispielsweise Exposures im Bereich langlaufender Staatsanleihen reduziert werden. Deutsche, österreichische oder schweizerische Staatsanleihen haben natürlich immer noch eine Daseinsberechtigung in den Portfolios, da deren Kursentwicklung negativ zu den Aktienkursen korreliert ist und sie dementsprechend eine ausgleichende Funktion im Portfolio haben. Dennoch sollten die Positionen deutlich kleiner sein als früher, da das Rendite-Risiko-Profil aktuell ungünstig ist.

Alternative Investments als Zufluchtsort

Da es in Europa keinen positiven risikolosen Realzins gibt, müssen europäische Anleger auf Asset-Klassen ausweichen, die rentenmarktähnliche Auszahlungsströme versprechen. Privatinvestoren setzen verstärkt auf alternative Investments. Manche alternativen Investments können als Substitut für Rentenmarktprodukte eingesetzt werden, obwohl sie in punkto Liquidität oder Rendite-Risiko-Profil häufig nur bedingt vergleichbar sind.

Immobilienfonds sind zum Beispiel eine Möglichkeit, um das Gesamtrisiko in einem Portfolio zu reduzieren und gleichzeitig regelmäßige Ausschüttungen zu generieren. Die Fondszuflüsse in diesem Markt zeigen, wie stark und ungebrochen groß das Interesse in Europa an der Asset-Klasse Immobilien ist. Dennoch müssen Anleger beachten, dass es hier zusätzliche Besonderheiten wie etwa Rückgabefristen gibt, die man bei klassischen Rentenmarkt-Investments nicht kennt.

Auch Fonds im Bereich Infrastruktur können rentenmarktähnliche Auszahlungsprofile haben, mit denen man die in Europa so schwierigen Bedingungen an den Anleihemärkten umschiffen kann. Der Bedarf an Infrastrukturinvestitionen weltweit ist immens: Einer Studie von McKinsey zufolge müssten jährlich weltweit knapp 3 Billionen Euro für Infrastruktur aufgewendet werden, um mit dem erwarteten Wirtschaftswachstum bis zum Jahr 2030 Schritt halten zu können. Infrastrukturanlagen sind wie Immobilien den Realwerten zuzuordnen. Sie bilden eine sehr heterogene Anlageklasse, die sich in die Bereiche Strom, Energie, Transport (beispielsweise Straßen und Schienenverkehr), Kommunikation (zum Beispiel Glasfaserkabel und Funktürme) sowie soziale und sonstige Infrastruktur wie Krankenhäuser, Schulen und Abfallentsorgung einteilen lässt.

Das Problem für Privatanleger: Eine Direktbeteiligung an Infrastrukturanlagen ist aufgrund der Komplexität und der Höhe des Mitteleinsatzes meist nur wenigen institutionellen Investoren vorbehalten. Privatanleger haben Zugang über Aktien börsennotierter Betreibergesellschaften („Listed Infrastructure“) – etwa Flughafen-, Seehafen-, Mautstraßen oder Stromtrassenbetreiber – oder offene Investmentfonds mit solchen Aktien oder  ETFs / Indexfonds, die globale Infrastrukturindizes abbilden. Infrastrukturaktien folgen allerdings weitgehend der allgemeinen Aktienmarktentwicklung und der Konjunktur und bieten somit nur eingeschränkt Substitutions- und Diversifikationspotenzial.

Angesichts der weiterhin mageren Zinsen in Europa befassen sich immer mehr institutionelle Anleger auch mit dem Thema Private Debt. Private Kreditmärkte versprechen höhere Renditen als herkömmliche Anleihen, stabile Erträge, geringe Kursschwankungen und Diversifikationschancen. Allerdings ist die Asset-Klasse in der Tendenz konjunkturabhängiger als Infrastruktur- oder Immobilieninvestments.

Zu guter Letzt sollten Investoren im aktuellen Kapitalmarktumfeld die Qualität aller Vermögenswerte im Portfolio durch einen Fokus auf das Thema Nachhaltigkeit erhöhen. Durch das „G“ in ESG (Umwelt, Soziales, Unternehmensführung) kann beispielsweise die Wahrscheinlichkeit unliebsamer Überraschungen im Bereich Unternehmensführung reduziert werden.

Ausblick: 2019 wird anstrengend

2019 dürfte ein volatileres Anlagejahr als 2018 werden. Schlugen 2018 zwei größere Kursrutsche zu Buche, könnten derartige Ereignisse im kommenden Jahr häufiger auftreten. Das muss nicht heißen, dass am Jahresende wieder ein Verlust stehen muss. Risiken sind derzeit günstig bewertet, und nach Rezession sieht es weder in den USA noch in Asien oder Europa aus. Aber der Schutz, den die ungewöhnlich gute Makrosituation lange Zeit vor exogenen Schocks geboten hat, dürfte sich abschwächen.

Europäische Anleger, ob sie nun in Euro oder Franken bilanzieren, werden sich auch 2019 schwerer tun als US-Anleger. Rund 3 Prozent Kurssicherungskosten fressen die Zusatzrendite eines Engagements in US-Anleihen auf, sodass ein europäischer Anleger bei gleicher Renditeerwartung mehr Risiko in Kauf nehmen muss als ein amerikanischer. Die Welt ist ungerecht. Trost mögen europäische Anleger in der Tatsache finden, dass es auch in unserer Region interessante Möglichkeiten gibt, wenigstens die kurze Version der Hantelstrategie zu spielen.

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