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Innovation und neue Gesetze Hoffnung für Allergiker

Anthony Fauci, Leiter der US-Behörde für Allergien und ansteckende Krankheiten
Anthony Fauci, Leiter der US-Behörde für Allergien und ansteckende Krankheiten: Eine bessere Gesetzgebung zur Allergenkennzeichnung von Lebensmitteln kann helfen, das epidemische Aufkommen von Lebensmittelallergien im Griff zu behalten. | Foto: Imago Images / ZUMA Wire

Olivier ist neun Jahre alt und lebt in London. Als er drei war, aß er eine mit Zucker umhüllte Schokolinse, die eine Erdnuss enthielt. Kaum eine Minute später schwoll sein Gesicht an und er bekam keine Luft mehr. Seitdem muss Olivier genau aufpassen, was er isst. Auf Geburtstagspartys von Freunden muss er um den Kuchen einen Bogen machen und in der Schulkantine ist Nachtisch für ihn tabu. Auch Restaurantbesuche bleiben die Ausnahme. Er ist kein Einzelfall.

Olivier ist einer von 250 Millionen Menschen weltweit, die laut World Allergy Organization (WAO) an einer Nahrungsmittelallergie leiden, einer Erkrankung, von der mehr Kinder als Erwachsene betroffen sind. Besorgniserregend ist, dass das Phänomen mittlerweile epidemische Ausmaße annimmt. In den USA nahmen Lebensmittelallergien bei Kindern zwischen 1997 und 2011 um 50 Prozent zu, wobei sich Erdnussallergien – die besonders schwerwiegend und hartnäckig sein können – zwischen 1997 und 2017 mehr als verdreifachten, wie das National Center for Health Statistics (NCHS) kalkuliert.

„Die Komplikationen, die durch Lebensmittelallergien entstehen, gehen weit über ihre unmittelbaren physischen Auswirkungen hinaus“, sagt Dr. Stefan Catsicas, geschäftsführender Gesellschafter von Skyviews Life Science, einem privaten Beratungsunternehmen, das auf Präzisionsmedizin und gesundes Altern spezialisiert ist. „Sie stellen Familien vor große Herausforderungen, wozu beispielsweise soziale Isolation und Angst gehören, und können sich in einigen Fällen zu chronischen lebensbedrohlichen Erkrankungen entwickeln.“

Hinzu kommen die wirtschaftlichen Kosten. Heute belaufen sich die Kosten für die Versorgung von Kindern mit Lebensmittelallergien in den USA auf 25 Milliarden US-Dollar pro Jahr, wobei einer Standford-Studie zufolge pro Kind und Jahr rund 4.200 US-Dollar aufgewendet werden.

Bis vor kurzem war aufgrund fehlender zugelassener Therapien die Vermeidung von Allergenen die einzige Möglichkeit, allergische Reaktionen zu verhindern. Dank neuartiger Behandlungsmöglichkeiten, der Entwicklung innovativer allergikergeeigneter Lebensmittel und strengerer Vorschriften zur Kennzeichnung von Lebensmitteln könnte das Leben von Olivier und anderen Lebensmittelallergikern jedoch bald viel einfacher werden.

Evolutionäre Diskrepanz macht den Unterschied

Catsicas erklärt, dass allergische Reaktionen auftreten, wenn das Immunsystem des Körpers – insbesondere seine Immunglobulin-E-Antikörper (IgE) – fälschlicherweise bestimmte Nahrungsmittel als Bedrohung wahrnimmt und eine Überreaktion auslöst, indem es diverse Chemikalien freisetzt, die Symptome wie Schwellungen des Gesichts, roten Ausschlag oder Erbrechen verursachen.

Dass so etwas überhaupt möglich ist, erscheint auf den ersten Blick seltsam. Das Immunsystem des Menschen ist bemerkenswert anpassungsfähig. Seine Fähigkeit, Bedrohungen zu erkennen, hat sich im Laufe von Millionen von Jahren weiterentwickelt und verbessert. Eine derartige Fehlfunktion mutet daher merkwürdig an.

Einige Wissenschaftler führen Allergien auf eine „evolutionäre Diskrepanz“ zurück, das heißt, dass sich eine bestimmte Anzahl körperinterner Mechanismen in einem Umfeld entwickelt hat, das sich radikal von dem unterscheidet, in dem der Mensch heute lebt.

Diese Diskrepanz ist auf das langsame Tempo der Evolution und die schnellen Veränderungen in den menschlichen Gesellschaften zurückzuführen. Kurzum, unsere Verdauungssysteme hatten nicht die Zeit, sich an Nahrungsmittel aus intensiver Landwirtschaft oder verarbeitete Lebensmittel anzupassen, wie sie vor einigen Jahrzehnten die Supermarktregale erobert haben.

Eine weitere Erklärung für die explosionsartige Zunahme von Allergien sind radikale Veränderungen unserer Essgewohnheiten.

Als die Globalisierung einsetzte und das Internet sich verbreitete, erhielten die Menschen plötzlich Zugang zu einer Vielzahl von Lebensmitteln aus verschiedenen Kulturen – Nahrungsmittel, mit denen das Immunsystem einzelner Menschen nicht umgehen konnte. So hat beispielsweise eine Studie gezeigt, dass bestimmte Nüsse seit Jahrhunderten gängige Zutaten in der chinesischen Küche sind, ihre Einführung in Europa jedoch dazu führte, dass immer mehr Europäer unter Nussallergien litten, wie das „Journal of Ethnic Foods“ beschrieb.