Hohe Staatsverschuldung
Warum die Italien-Krise Unheil für den Euro ankündigt
Thorsten Polleit: Der Chefvolkswirt bei Degussa Goldhandel sieht in Italien ernste Probleme für den Euroraum. Foto: Degussa Goldhandel
Italien stellt mit seiner immensen Staatsverschuldung „zweifellos ein akutes und gewaltiges Problem für den Euroraum dar“, erklärt Thorsten Polleit. Der Chefvolkswirt bei Degussa Goldhandel warnt, die aktuelle Krise sei ein Menetekel für den Euro und drohe, die Währungsunion zu sprengen.
Italiens Situation ist nach wie vor prekär – auch wenn sich das Augenmerk vieler Anleger derzeit anderen Themen – wie zum Beispiel der Türkei-Krise – zugewandt hat. Seit Einführung des Euro Anfang 1999 ist die italienische Wirtschaft durchschnittlich um weniger als 0,5 Prozent pro Jahr gewachsen. Seit Mitte 2008 ist sie um durchschnittlich 0,5 Prozent pro Jahr geschrumpft. Im Unternehmenssektor zeigt sich eine chronische Investitionsschwäche.
Im Juni 2018 lag die Arbeitslosenquote in Italien bei 10,9 Prozent, während im ersten Quartal des Jahres die Arbeitslosenquote der Männer zwischen 15 und 24 Jahren bei knapp 31,4 Prozent, die der gleichaltrigen Frauen bei 37,2 Prozent lag....
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Italiens Situation ist nach wie vor prekär – auch wenn sich das Augenmerk vieler Anleger derzeit anderen Themen – wie zum Beispiel der Türkei-Krise – zugewandt hat. Seit Einführung des Euro Anfang 1999 ist die italienische Wirtschaft durchschnittlich um weniger als 0,5 Prozent pro Jahr gewachsen. Seit Mitte 2008 ist sie um durchschnittlich 0,5 Prozent pro Jahr geschrumpft. Im Unternehmenssektor zeigt sich eine chronische Investitionsschwäche.
Im Juni 2018 lag die Arbeitslosenquote in Italien bei 10,9 Prozent, während im ersten Quartal des Jahres die Arbeitslosenquote der Männer zwischen 15 und 24 Jahren bei knapp 31,4 Prozent, die der gleichaltrigen Frauen bei 37,2 Prozent lag. Die Banken in Italien weisen faule Kredite in Höhe von 161,4 Milliarden Euro in ihren Bilanzen aus. Die Staatsverschuldung lag Anfang dieses Jahres bei mehr als 2,3 Billionen Euro, etwa 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Weit hinter anderen Euro-Ländern
Die italienische Volkswirtschaft ist weit hinter andere Euroraum-Länder zurückgefallen – und zeigt keine Anzeichen aufzuholen. Wie lässt sich die negative Entwicklung umkehren? Ist das überhaupt möglich? Politiker und keynesianische Ökonomen werden dazu empfehlen, das Wachstum durch eine expansive Nachfrageausweitung zu beleben.
Eher marktorientierte Ökonomen werden hingegen einschneidende Reformen einfordern: Die Italiener müssten sich einer Rosskur unterziehen, die zum Beispiel die Preise und Löhne so lange absinken lässt, bis das Land preislich gesehen wieder wettbewerbsfähig geworden ist, um auch Produktion und Arbeitsplätze aus anderen Ländern der Welt anzulocken. Ein solcher Reformweg wäre jedoch vermutlich mit einer schmerzlichen „Bereinigungsrezession, Firmenkonkursen und hoher Arbeitslosigkeit verbunden. Die Gesamtlage würde sozusagen erst schlechter werden, bevor sie besser werden kann.
Zwei denkbare Entwicklungen Italiens
Wenn aber die keynesianische Politik nicht wirkt und auch der politische Wille, die Leidensfähigkeit fehlt, den harten Reformweg zu beschreiten, was dann? Zwei Entwicklungen sind dann denkbar.
(1) Italien wird zum Subventionsfall. Die übrigen Länder zahlen direkt (mit Steuerüberweisungen) oder indirekt (über „Target-2“) Sozialtransfers nach Italien. Die wirtschaftliche Rückständigkeit Italiens würde damit jedoch zementiert. Sehr wahrscheinlich würde sie sogar noch verschärft, so dass die anderen Euro-Länder nicht bereit sein werden, Italien auf Dauer zu subventionieren.
(2) Italien tritt aus dem Euro aus und führt eine eigene Währung ein. Die „neue Lira“ wertet gegenüber dem Euro ab und verschafft Italiens Produzenten preisliche Wettbewerbsfähigkeit. Steigende inländische Inflation könnte die realen Preise und Löhne in Italien auf ein wettbewerbskonformes Niveau bringen, ohne dass eine Senkung der nominalen Preise und Löhne erforderlich wäre (was politisch schwer durchsetzbar ist).
„Italiens gewaltige Schuldenlast“
Über all dem schwebt jedoch drohend Italiens gewaltige Schuldenlast. Die darauf zu zahlenden Zinskosten betrugen in 2017 etwa 4,5 Prozent der italienischen Wirtschaftsleistung. Das zeigt das ganze Dilemma: Die Zinszahlungen auf die öffentlichen Schulden sind höher als die (nominale) Wachstumsrate des Landes. Die Italiener zahlen folglich die Zinskosten der öffentlichen Schuld aus der Substanz. Das ist kein dauerhaft durchhaltbarer Zustand.
Italiens neue Regierungskoalition hatte anfänglich bereits lautstark gefordert, die Europäische Zentralbank (EZB) solle Italien einen Schuldenerlass von 250 Milliarden Euro gewähren – indem die EZB auf die italienischen Anleihen, die sie bereits gekauft hat, keine Zins- und Tilgungszahlungen mehr einfordert. (Gegen Ende August 2018 hatte die EZB Euro-Staatsanleihen, einschließlich Anleihen supranationaler Emittenten, in Höhe von 2.093 Milliarden Euro aufgekauft. Davon waren 352,8 Milliarden Euro italienische Staatsanleihen.)
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