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Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding im Interview

DAS INVESTMENT: Auf dem Fondskongress in Mannheim war gerade die These zu hören, dass unter Investoren die Stimmung aktuell besser als die Lage sei. Würden Sie dem zustimmen?
Holger Schmieding: Die Stimmung an den Kapitalmärkten ist tatsächlich ziemlich gut. Die Märkte haben sich zum Erstaunen vieler Europäer auf Donald Trump gefreut. Seine Pläne zur Steuersenkung und Deregulierung werden positiv aufgenommen. Allerdings sehen wir in den letzten Wochen, dass die große Freude in den USA nachlässt, während Europa aufholt.
Der neue US-Präsident sorgt zugleich für viel Unruhe. Fast täglich kündigt Trump neue Erlasse an, mit denen er durchregieren will. Was bedeutet das für Europa?
Schmieding: Man muss Trumps tatsächliche Handlungsmöglichkeiten analysieren. Ein großer Handelskrieg mit Europa ist unwahrscheinlich. Zölle würden die Preise hochtreiben, auch in den USA. Und Inflation ist auch in den USA nicht populär. Trump wurde ja gerade wegen der gestiegenen Preise unter Joe Biden gewählt. Auf seine teils erratischen Ansagen muss man nicht immer reagieren. Es gibt aber einige konstante Forderungen gegenüber Europa: mehr Verteidigungsausgaben und mehr Flüssiggasimporte aus den USA nach Europa. Das sind Dinge, die wir ohnehin umsetzen sollten. Wenn wir ihm hier entgegenkommen und ihm das als seine „Erfolge" präsentieren können, sinkt das Risiko großer Handelskonflikte.
„Für eine richtige Börsenparty sind die Unwägbarkeiten zu groß“
Kann man sich dem überhaupt durch aktives Handeln entziehen? Gegen Kanada, Mexiko und China hat Trump bereits hohe Handelszölle verhängt – wobei er Mexiko und Kanada so etwas wie eine einmonatige „Gnadenfrist“ gewährt. Was steckt hinter den Drohungen?
Schmieding: Er möchte die Länder zwingen, ihm Zugeständnisse zu machen. Mexiko und Kanada kommen ihm offenbar entgegen, vor allem beim Eindämmen der illegalen Zuwanderung. Das wesentlich größere China wird sich wahrscheinlich nicht so leicht einschüchtern lassen. Aber auch dort dürfte es bald zu ernsthaften Verhandlungen kommen.
Haben wir mit dem neuen US-Präsidenten trotzdem noch eine Chance auf eine Börsenparty, so wie in den vergangenen Jahren?
Schmieding: Ich denke nicht, dass dieses Jahr so gut wird wie die beiden Jahre zuvor. Die europäische Wirtschaft wird nach einem schwachen Start besser laufen, die EZB hat auch gerade noch einmal die Zinsen gesenkt. Die US-Wirtschaft dürfte sich gut halten. Die Märkte haben noch Potenzial, aber für eine richtige Party sind die Unwägbarkeiten zu groß. Wenn die Aktienmärkte am Jahresende etwas über dem jetzigen Stand stünden, wäre das ein gutes Jahresergebnis.
Europa und speziell Deutschland gelten als ökonomisches Sorgenkind. Deutschland hat sich lange auf seine traditionellen Industrien fokussiert. Schon bei der Digitalisierung war es spät dran, jetzt kommt KI. Was muss geschehen, damit die deutsche Wirtschaft wieder wettbewerbsfähiger wird?
Schmieding: In der KI-Entwicklung werden wir kein Vorreiter mehr sein, mit unseren begrenzten Finanzierungsmöglichkeiten und unserem Datenschutz werden wir China und die USA nicht einholen. Aber unsere Chance liegt in der Anwendung: Wir haben exzellente Facharbeiter und Ingenieure, die neue Technologien hervorragend in Produkte und Dienstleistungen umsetzen können. Es wäre gut, wenn wir in Europa Fortschritte hin zu einem gemeinsamen Kapitalmarkt machen würden. Das ist leider ein schwieriger Prozess. Zum anderen müssten wir die deutschen Standortbedingungen verbessern: den Anstieg der Lohnnebenkosten stoppen, Unternehmenssteuern senken, bürokratische Prozesse flexibler machen, damit Unternehmen sich bei uns heimisch fühlen. Und bei der Regulierung nicht alles so detailgerecht, sondern so großzügig wie möglich umsetzen. So würden wir es Unternehmen und gerade Start-ups bei uns deutlich leichter machen.
„China ist kein attraktives Investitionsland mehr“
Wie blicken Sie aktuell auf China, mal abgesehen von den jüngsten Zolldrohungen. Das Land hat gerade ein aufsehenerregendes KI-Modell vorgestellt. Andererseits kämpft China mit massiven Problemen im Immobiliensektor und einer schwierigen demografischen Entwicklung. Lohnt sich China noch für Investoren?
Schmieding: Aus Makrosicht ist China kein attraktives Investitionsland mehr. Es hat seinen Zenit überschritten – demografisch, durch hohe Schulden und eine fehlgeleitete Wirtschaftspolitik. Die Menschen in China geben zu wenig Geld aus. Private Investitionen ohne staatliche Förderung sehen schwach aus. Einzelne Unternehmen können zwar interessant sein, aber der breite China-Index ist keine empfehlenswerte Investition für die nächsten Jahre.
Ist Indien die bessere Alternative?
Schmieding: In Asien außerhalb Chinas ist die Wirtschaftspolitik generell besser, weil politische Vorgaben eine geringere Rolle spielen. Indien wird zwar nicht so dynamisch wachsen wie China in seinen besten Zeiten, kann aber zuverlässig Wachstumsraten von über 6 Prozent erreichen. Langfristig bin ich für Indien deutlich optimistischer als für China – auch wenn der Markt für uns kein vollständiger Ersatz für den chinesischen sein wird.
„Beim Klimaschutz auf kosteneffiziente Lösungen setzen“
Man kommt leider nicht umhin, immer wieder über Trump zu sprechen. Durch seine Agenda hat auch das Thema Nachhaltigkeit einen Dämpfer erlitten, und das weltweit, so scheint es. Kann es sein, dass es bald auch in Europa kaum mehr eine Rolle spielen wird?
Schmieding: Die große Welle ist vorbei, aber das Thema bleibt wichtig. Entscheidend ist, wie wir Nachhaltigkeit umsetzen: Mit Detailregulierung wird es teuer, über das Emissionshandelssystem mit sozialem Ausgleich ist es günstiger. Wenn Trump durch mehr Öl- und Gasförderung die Weltmarktpreise senkt, kann das sogar ein Vorteil für uns sein. Denn wir brauchen noch länger Gaskraftwerke als Ergänzung zu den erneuerbaren Energien. An unseren Klimaschutzzielen sollten wir in Europa trotzdem festhalten – dabei aber verstärkt auf kosteneffiziente Lösungen setzen.
Wie können sich Investoren aktuell in Europa positionieren?
Schmieding: Man sollte immer etwas in Europa investiert sein. Auch wenn Europa bei KI nicht führend ist, hat es viele Unternehmen, die Innovationen hervorragend in Produkte umsetzen. Nach dem starken Lauf der Tech-Werte erwarte ich nun eine breitere Marktentwicklung. Europa ist vom jetzigen Stand aus sogar besser positioniert als die USA – vorausgesetzt, wir vermeiden große Risiken wie einen Handelskrieg oder einen Zusammenbruch der Ukraine. Besonders interessant mit Blick auf Europa sind der Bereich Maschinenbau, kleine und mittlere Unternehmen sowie der Wohnungsbau.
Über den Interviewten:
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Bevor er 2010 zu der Privatbank kam, hat er unter anderem am Kieler Institut für Weltwirtschaft und für den Internationalen Währungsfonds gearbeitet. Zudem war er Chefvolkswirt Europa bei der Bank of America Merrill Lynch.